Wow, das nenne ich DIY-Kultur mit Herzblut und Leidenschaft. Nicht nur, dass ich ein wirklich nobles Produkt in den Händen halte, nein – Christoph, einer der beiden Musiker des Duos Schnaps, schickt mir auch gleich noch ein persönliches Anschreiben mit. Mit den besten Wünschen für 2021 und ein paar erläuternden Worten zu “Perspektive: Lost”, dem Erstlingswerk von Schnaps. Wenn die das bei jedem Promo-Paket so machen, dann… wow! Die zwei, also auch noch Ronald dazu, scheinen jedenfalls sehr für ihre Sache zu brennen und viel Zeit und Energie in ihre Band zu stecken. Sehr sympathisch! Und wo wir eben schon beim noblen Produkt waren: lasst uns die Sache heute doch mal andersrum aufziehen und zunächst mal über das haptische und optische Erlebnis quatschen. Neben Zeit und Energie scheinen Schnaps auch noch jede Menge Geld in “Perspektive: Lost” investiert zu haben. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die zwei Musiker für ihr Baby alles zu geben scheinen, gehe ich doch davon aus, dass kein Öl-Scheich oder sonstiger Mäzen hinter der Finanzierung stand. Wäre auch insofern irrwitzig, da derlei Leute auf “Perspektive: Lost” ordentlich ihr Fett abbekommen. Aber dazu später mehr. Jedenfalls wird hier mit nichts gegeizt. Es wird das ganz große Besteck aufgefahren: Inside/Out-Cover mit tollem Ratten-Artwork, bedruckte Innenhülle mit sämtlichen Texten, Foto und Linernotes, Download-Schnipsel und dann das Herzstück des Ganzen, die Platte selbst: 180g multicoloured Öko-Vinyl sprechen für sich. Doch damit nicht genug! Sämtliche acht Songs tummeln sich auf der A-Seite, um auf der B-Seite Platz für ein, nein zwei Ratten-Etchings zu schaffen. In dieser Hinsicht also schon mal ganz großes Kino.
Textlich wird – ich hatte es schon angedeutet – auch gegen die Kirche, vor allem aber gegen Kapitalismus, seine Abgründe und diejenigen, die dahinter stecken, gewettert. Dabei müssen wir alle, die wir unseren Wohlstand auf Kosten anderer begründen und zu denen – seien wir doch mal ehrlich – wahrscheinlich der Großteil der Schnaps-Konsumenten gehört, die Schnaps‘sche Wut über uns ergehen lassen. “Aber ich, bin allergisch. Gegen Menschen und Ignoranz. Gegen Dummheit, ja auch Deine. Was kann man bloß dagegen tun?” wird in “Höllenfeuer” geschrien. Antworten darauf liefern auch Schnaps uns keine und so bleiben wir weiterhin ratlos und desillusioniert zurück. Wenigstens aber mit einem 1a hörbaren und kurzweiligen Soundtrack im Gepäck.
Auch wenn Schnaps in ihrer textlichen Darbietung nicht ganz die metaphorische Tiefe eines Nagel und seiner Band Muff Potter erreichen, so muss ich beim Hören von “Perspektive: Lost” doch unweigerlich an diese denken. Und an Reiz, Jupiter Jones, Knochenfabrik, Pascow und die alten Turbostaat auch. Und dann dazwischen so ein heftiger Kracher wie “SchrotSchussSchädel”, der in seiner musikalischen Machart an die genialen Youth Avoiders erinnert. Der gänzlich fehlende Bass fehlt auf “Perspektive: Lost” nicht wirklich, auch wenn der ein oder andere Song förmlich nach einem schönen Basslauf im Hintergrund schreit. Ist zumindest meine subjektive Wahrnehmung. Die kraftvolle Produktion jedenfalls täuscht locker über den fehlenden Tieftöner hinweg.
“D.I.Y.-Initials on the flag you wave when your shitty records won’t sell anywhere” wird Ben Weasel auf meinem persönlichen Anschreiben zitiert. Ich hoffe und wünsche mir für Schnaps aber, dass sie das eine oder ganz viele andere Exemplare von “Perspektive: Lost” an den Mann oder die Frau bringen. Verdient hätten sie es in jeder Hinsicht! Käuflich erwerben kann man die Scheibe z.B. hier oder in bester DIY – Manier direkt bei der Band.
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