So manche Platten brauchen bei mir erst einige Runden auf dem Plattenteller, bis ich so weit bin, das Review zu schreiben. Für die neuste LP “Morning Shift” des sechsköpfigen Bluegrass-Ensembles Steep Canyon Rangers aus Asheville in North Carolina hat es sich aber auch richtig gelohnt, etwas tiefer einzusteigen. Neben der besonderen Instrumentation, bestehend aus den überwiegend traditionellen Volksinstrumenten der Western, Country und Bluegrass Bewegung, sind es vor allem die Texte und Geschichten, welche dieser durchaus vielseitigen LP ihren völlig eigenen Charme verleihen und somit auch bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben.
Aber ich fange am besten ganz vorne an. Die mir bis dato leider noch nicht bekannten Steep Canyon Rangers veröffentlichen Anfang Herbst 2023 bereits ihr Studioalbum Nummer 14! Allein das verdient meiner Meinung nach schon Respekt. Es erfreut mich immer wieder, wenn sich Bands auch über Jahrzehnte hinweg ihren Wurzeln treu bleiben und regelmäßig mit Leidenschaft neue Musik veröffentlichen. Und diese Leidenschaft hört man den Rangern an. “Morning Shift” hat mich ab Minute eins gefesselt. Mit dem Eröffnungstitel “Hominy Valley” tritt dieser Southern Country, Folk Sound in Erscheinung. Egal ob Gitarre, Banjo, Fiddle oder Mandoline die Instrumente harmonieren wunderbar miteinander und erzeugen bei mir diese Wohlfühlatmosphäre, wie ich sie vielleicht noch am ehesten aus meiner Kindheit und meinen ersten Berührungspunkten zur Western und Country Musik kenne. Aber “Hominy Valley” ist nicht nur musikalisch ein grandioser Einstieg in dieses Album, der Song legt auch inhaltlich den zentralen Grundstein für die besondere Stimmung dieser LP.
Graham Sharp, Banjospieler der Steep Canyon Rangers und Co-Autor der Single “Hominy Valley”, sagt, seine Nachbarschaft sei verflucht. “Hominy Valley” erzählt die sich darauf stützende Hintergrundgeschichte von General Rutherfords Feldzug gegen die Cherokee während des Revolutionskriegs. Der Geschichte nach habe die Armee Rutherfords Kenntnis davon erlangt, dass zwei Cherokee-Scouts sie verfolgen würden. Rutherfords Streitkräfte entschieden sich dazu, einen Bach zu vergiften, aus dem einer der beiden Natives trank und letztlich tödlich verunglückte. Sein Freund habe ihn anschließend aufrecht sitzend unter einer riesigen alten Eiche begraben, sodass er weiterhin das Tal überblicken konnte, um dort Wache halten zu können. Dies sei der Ursprung der verfluchten Nachbarschaft. Jahrelang versuchte Sharp diese Geschichte in einem Song unterzubringen, bis er ihn eines Tages gemeinsam mit den beiden Co-Autoren Aaron Burnett und Barrett Smith passend für das Album fertiggestellt hat. “Hominy Valley” erzählt die bewegende Geschichte über die menschlichen Schichten von Sharps Nachbarschaft. Er selbst sagt dazu, es sei nicht nur eine gemeinsame Geschichte, sondern auch eine lebendige Geschichte. Nichts davon wäre abgestempelt oder abgeschlossen.
“Hominy Valley” ist aber nur eine von vielen Geschichten, welche auf diesem Album erzählt werden. Beim Hören lohnt es sich definitiv auch auf die anderen Texte zu achten, was dank des großzügigen Einlegers inklusive aller Songtexte sehr gut möglich ist. Jeder Song entwickelt seine ganz eigene Dynamik und strahlt somit eine ganz andere Aura aus. Seien es die rhythmisch schnelleren Stücke wie zum Beispiel “Deep End”, welche einen durchaus zum Tanzen anregen oder eben die ruhigeren Passagen wie im Song “Harvest Queen”, welche mich eher entspannt haben und dabei helfen, sich einfach mal wieder zu erden. Morning Shift bringt hier genau die richtige Abwechslung mit, ohne dass es mir persönlich musikalisch zu viele Umbrüche gibt. Vermutlich liegt es auch an den vielen verschiedenen Solo-Stimmen und dem beeindruckenden Satzgesang auf dieser LP, welche sich über die 12 Songs hinweg immer wieder abwechseln und dann von neuem begeistert.
Klanglich gefällt mir der natürliche und besonders eigene Carolina-Sound, welcher aus der Produktion von Darrell Scott und Dave Sinko hervorsticht, sehr gut. Aufgenommen wurde das Album in Bat Cave, North Carolina im Inn Bat Cave, einem historischen Zufluchtsort an einer längst vergessenen Kreuzung der südlichen Appalachen. Zu sehen ist dieser Ort nicht nur auf dem Cover der LP selbst, sondern auch im Einleger inklusive alles Bandmitglieder. Schaut euch diesen Ort unten in der Fotogalerie ruhig mal in Ruhe an. Ich war fasziniert davon, wie gut hier die Musik mit dem Entstehungsort zusammenpasst und wie sehr mich diese rustikale Art der Einrichtung direkt angesprochen hat. Auch die Bandmitglieder waren begeistert von dieser Räumlichkeit und die Zeit, welche sie dort zusammen verbringen durften.
“Es war wie ein Aufnahmecamp” – Darrell Scott.
Vielleicht für manche nur eine Kleinigkeit, aber gepaart mit der musikalischen Darbietung dieser Platte rundet dieser schöne Zusammenhang das Erlebnis für mich grandios ab.
Wem also generell die amerikanische Volksmusik des Bluegrass zusagt oder wer sich dafür interessiert, musikalisch mal etwas Neues zu entdecken, dem kann ich das neuste Album von Steep Canyon Rangers nur wärmstens weiterempfehlen. Die Platte kommt in einem schönen orangefarbenem Vinyl daher. Veröffentlicht wurde das Album über YepRoc Records und ist aktuell zu haben bei JPC.
Viel Spaß beim Hören!