Leipzig hat definitiv nicht nur irre viele Bands zu bieten, sondern auch jede Menge engagierte Menschen, die sich im subkulturellen Bereich verschiedensten Projekten und Vernetzungsaktivitäten annehmen.
Heute beantwortet uns im Interview Tarcy von “The Heroine Whores” ein paar Fragen zu ihrer gerade erst ins Leben gerufenen Booking-Agentur für grrrl Bands! Viel Spaß beim Lesen.
Hallo Tarcy, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst, um uns ein paar Fragen zu beantworten. Du ziehst gerade “Fight Like A Grrl – Booking” hoch – was hat es damit auf sich, wie kamst du dazu und was hast du vor?
Hallo Chrissi, danke für die Intervieweinladung! Ja, genau. Seit Anfang Februar ist das Fight Like A Grrrl Booking eines meiner Hauptprojekte, an denen ich in jeder freien Minute arbeite. Ich spiele seit 11 Jahren in einer Band, die zu zwei Dritteln aus Frauen besteht, The Heroine Whores aus Leipzig. In diesen 11 Jahren habe ich genügend Erfahrungen darin gesammelt, was es bedeutet, eine Frau zu sein, die aktiv mit ihrer Band unterwegs ist, Songs schreibt und Alben veröffentlicht, sich um alles im DIY-Stil kümmert, wie Online-Präsenz, Booking, Auftritte spielen und auch was es heißt, dabei abgelehnt oder nicht ernst genommen zu werden, weil man eine Frau ist, vor allem zu Beginn der Bandkarriere. Man muss sich den Respekt anderer Musiker und Veranstalter verdienen, muss hart an sich und den eigenen Fähigkeiten, an Songs, etc. arbeiten.
Da es sich bei mir in den letzten Jahren so eingebürgert hat, auch für befreundete Bands Shows in Leipzig zu buchen und auch zu anderen Locations in Deutschland zu vermitteln, wurde ich mittlerweile auch von Bands – die ich überhaupt nicht kenne – mit Bookingaufträgen angeschrieben. Als ich dann Anfang des Jahres mal wieder verzweifelt nach einer lokalen Grrrl-Band als Support für eine Show gesucht und nur Absagen erhalten, aber immer wieder Anfragen von Männerbands erhalten habe, die sich sozusagen einzecken wollten in die Show, habe ich mir gesagt: “Jetzt ist Schluss damit”. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr darauf, dass andere Personen und Bands meine Booking-Lorbeeren ernten. Wenn, dann möchte ich auch, dass mein Name drauf steht. Es ist so wichtig, v.a. junge Musikerinnen zu unterstützen, v.a. im Underground-/Independent-Bereich! Da ich gerade noch in den Anfangsphasen der Organisation stecke, kann ich nur so viel verraten, dass ich mich stark an den Prinzipien und Wertvorstellungen des 90er Jahre DIY Riot Grrrl orientiere, Bands und Künstlerinnen dabei helfen möchte, sich zu vernetzen und Shows zu buchen. Außerdem gibt es schon Pläne für einen regelmäßig stattfindenden Grrrl-Open-Jam-Session-Abend und für ein Mini-DIY-1-Tages-Festival in Leipzig. Ich habe vor, irgendwann eine so gut laufende Bookingfirma zu haben, dass allein der Name “Fight Like A Grrrl Booking” Locations dazu bringt, die Künstlerinnen aus meinem “Katalog” zu buchen. Ich möchte mit diesem Projekt die männerdominierte Underground-Musikszene verändern.
Auf der Facebook-Seite steht, es sollen sich Bands bei dir bewerben, deren “1/2 der Mitglieder an den Instrumenten Frauen sind”. Wie begründest du diese Kriterien?
Es gibt so viele reine Männerbands die eine Frau als Sängerin haben, um sich selbst als “female fronted” bezeichnen zu können. Wir haben auch schon mit solchen Bands zusammen gespielt. Einige Bands sind echt nett und für diese tut es mir auch irgendwie leid, dass ich die Grenze da ziehen muss, aber auf der anderen Seite gibt es auch viele Bands, die einfach nur ätzend prollig und übermännlich daher kommen und die Frau soll den schönen Blickfang der Band darstellen, wobei ihr nicht zugetraut wird ein Instrument zu spielen. Mit meinem Projekt möchte ich lieber Bands unterstützen, die zu den meisten Teilen oder mindestens zur Hälfte aus Frauen bestehen, die aktiv an den Songstrukturen, am Booking, an der Präsenz, an der Seele der Band beteiligt sind. Eine Band besteht in der Undergroundmusik meist aus männlichen Musikern, die (Rock-/Punk-/…) Musik so repräsentieren wie sie schon seit viel zu vielen Jahrzehnten wahrgenommen wird. Ich finde es mittlerweile langweilig, Männerbands zuzuschauen, oftmals nur noch ein und demselben Musikstil, Anschlag- und Rhythmustechniken, denselben zehnminütigen Solis zu lauschen. Ich möchte mehr Frauen auf Bühnen sehen. Ich möchte entdecken, was es außerhalb der männlichen Musiksphäre gibt, welche Songs erschaffen werden können, welche Genres, welche Lebenswelten gespiegelt und neu interpretiert werden können. Dies möchte ich mit anderen Menschen teilen, indem ich dazu beitrage, die Beteiligung von Frauenbands an Konzerten zu erhöhen. Somit war es auch eine sehr private und eigennützige Entscheidung, ein Booking Projekt zu begründen. Somit kann ich selbst entscheiden, für welche Bands ich einstehe, Werbung mache, Gigs organisiere.
Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Kannst du einen “Turning Point” ausmachen, ab dem sich etwas veränderte? Und denkst du, du kannst mit deiner Booking-Idee etwas dazu beitragen?
Ich habe das Gefühl, dass es seit ca. 5 Jahren wieder zunehmend mehr Frauenbands in der Untergrundszene und zugleich ein gesteigertes Interesse an ihnen gibt. Im Bereich des Mainstreams habe ich eher das Gefühl, dass Einzelkünstlerinnen wieder mehr gefragt sind. Meine Booking-Idee soll Bands und auch Einzelkünstlerinnen im Bereich der Undergroundmusik fördern, die sonst keine oder nur wenige Möglichkeiten hätten, sich zu vernetzen, Konzerte außerhalb ihrer Heimatstadt zu organisieren, oder als Support für “größere” Bands gebucht zu werden. Meiner Meinung nach kehren die Prinzipien und die Energie, der Mut der 90er Jahre nach und nach zurück. Dies zeigt sich auch darin, dass mein FLAG Booking Projekt bereits in den ersten Wochen so gut angenommen wurde, sowohl von zahlreichen Bands, die gern daran teilhaben möchten, sowie von Privatpersonen, die es unterstützen. Das Konzept, das ich geschrieben habe, wurde zu 100% von den beteiligten Bands angenommen, z.B. durch Aussagen wie “Das ist genau das, was wir fühlen”, “Es muss sich etwas ändern für Frauenbands” usw. – das bestärkt mich ungemein in meinem Vorhaben und der Motivation, dass es tatsächlich etwas bewirken wird. Es zeigt mir, dass ich nicht die Einzige bin, die sich so fühlt, sondern dass auch andere Musikerinnen ähnliche Erfahrungen gemacht haben und man sich nicht dafür schämen muss, benachteiligt worden zu sein. Man sollte stattdessen für Veränderungen kämpfen, damit zukünftige Musikerinnen einen besseren und leichteren Start haben. Denn das ist das, was ich mir für die Anfangszeiten meiner eigenen Band gewünscht hätte.
Du machst auch selber Musik. In welchen Kombos hast du schon gespielt oder sind “The Heroine Whores” deine erste eigene Band? Wie kamst du zur Entscheidung Musik zu machen?
“The Heroine Whores” ist meine erste eigene Band, ich habe sie 2009 gegründet und seitdem ist sie mein ganzes Herzblut. Bereits im Alter von 8 Jahren wusste ich, dass ich mal auf einer Bühne stehen, Gitarre spielen und singen wolle. Im Alter von 9 Jahren habe ich das auch begonnen, im Rahmen des Gitarrenunterrichts und der Teilnahme an Schulchorauftritten an Akustikgitarre und Gesang. Im Alter von 11-13 habe ich mich dann nicht mehr für handgemachte Musik interessiert. Erst mit 14 Jahren habe ich Punkrock, Grunge, Riot Grrrl und meine Leidenschaft für elektrische Gitarrenmusik für mich entdeckt und diese Leidenschaft bis heute am Leben erhalten. Mit 16 Jahren habe ich beschlossen, eine Grrrl Band zu gründen, ihr den Namen “The Heroine Whores” gegeben, den sie bis heute trägt. Als ich 18 Jahre alt war, habe ich die Band schließlich gegründet und somit meine Jugendträume in die Tat umgesetzt. Seitdem spielen wir zusammen, zwar immer in anderen Zusammensetzungen, aber mein Freund und ich bilden seit 11 Jahren die Basis der Band. Hinzu kommt noch, dass ich vor etlichen Jahren in unterschiedlichen Bands Bass gespielt und den Backgroundgesang übernommen habe: zuerst bei den “Phagocytes”, danach bei den “Wrackspurts” und zeitgleich auch bei der “Unicorn Verschwörung”. In dieser Position hatte ich weniger Einfluss auf die Strukturen der Songs und auf die Organisation von Artwork, Booking etc. – am Anfang war das sehr erleichternd, dass ich mich nicht um Alles kümmern musste, aber mit der Zeit vermisste ich das sehr und habe alle anderen Bands außer die Heroine Whores wieder aufgegeben. In der Zeit bei den “Wrackspurts” habe ich erlebt, wie es ist, in einer reinen Frauenband zu spielen, wie man vor allem bei den ersten Shows betrachtet und auch kritisiert wurde z.B. dafür wie man spielt und auftritt. Bei der “Unicorn Verschwörung”, die eine reine Männerband war, mit mir am Bass als einzige Frau, zeigte mir wiederum, wie diese Situation für eine Musikerin ist. Rückblickend erinnert es mich stark an das, was Kim Gordon in ihrem Buch “Girl in a Band” berichtet, natürlich in einem viel kleineren Rahmen. Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich gemacht habe, aber bin auch froh, mich nur noch auf Heroine Whores und auf FLAG Booking konzentrieren zu können.
Was habt ihr mit “The Heroine Whores” für die Zukunft noch geplant?
Auf jeden Fall wollen wir bis Mai unser neues Album “Grunge Sells” rausbringen und weiterhin viele Shows spielen. Wir haben einige Bookinganfragen bekommen, waren Ende Februar gemeinsam mit unseren Freunden von “I’m A Sloth” auf einer Mini-Tour unterwegs, haben dort wiederum neue Angebote bekommen, und so weiter. Vor allem die kleinen feinen DIY Shows machen richtig viel Spaß. Es wäre natürlich schön, in Zukunft auch ein breiteres Publikum zu erreichen, z.B. über Zines, Magazine, Blogs, DIY Radios – etwas woran wir zur Zeit anknüpfen wollen. Wir streben zudem an, in Zukunft auch mehr “größere” Auftritte zu haben, für 2021 am besten alle gängigen DIY Festivals zu stürmen. In diesem Jahr spielen wir das erste Mal auf dem Rock Am Kuhteich und dem Sternburg Festival, worauf wir uns sehr freuen.
Was bedeutet für dich Feminismus?
Feminismus bedeutet für mich, sich nicht unterkriegen zu lassen, egal welchem Geschlecht man angehört. Wenn man viel Zeit mit meist männlichen Musikern verbringt, mit ihnen bekannt oder befreundet ist, hat man oft das Gefühl, dass man viel zu oft unterschätzt wird. Man sollte sich nicht davor scheuen, die eigenen Rechte und Freiräume einzufordern. Wenn man einem Projekt nachgeht, sollte man selbst entscheiden, wie man es angeht und sobald man genug Zeit und Energie hineinsteckt, wird man auch meist dafür belohnt. Feminismus bedeutet, Frauen zu unterstützen in Zeiten in denen viele der oberflächlichen Meinung sind, dass eine Gleichberechtigung bereits erreicht wäre – ist sie aber nicht. Es darf dort “keine Luft rangelassen” werden und v.a. auch im Alltag müssen Korrekturen an sexistischen, homophoben und rassistischen Aussagen getroffen werden. Man muss in´s Gespräch kommen, etwas, das sehr aufwühlend aber auch sehr bereichernd sein kann – damit Personen, die selbst keine sexistischen o.a. Benachteiligungen fühlen, ein größeres Bewusstsein dafür entwickeln können. Zudem gehört für mich zu einer feministischen Perspektive das Durchdringen aller gesellschaftlichen Bereiche – jede Person packt dort an, wo sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen kann – sei es im Bereich Politik, Wohnen, Sport, Soziales, Wissenschaft, Kunst, oder anderen. Mein besonderes Interessen- und Fähigkeitengebiet liegt in der Musik und Organisation, darin bin ich völlig eingebunden. Ich bewundere alle, die mehr als einen Bereich zufriedenstellend abdecken können. Oftmals wünsche ich mir mehr Zeit, um mich auch in anderen Gebieten engagieren zu können.
Wie nimmst du die Verteilung der Geschlechter vor und hinter der Bühne im subkulturellen Bereich wahr? Würdest du was ändern wollen? Wie?
Das, was ich bisher wahrgenommen habe, ist, dass es definitiv mehr männliche als weibliche Musikerinnen auf den Bühnen im subkulturellen Bereich gibt. Auch hinter der Bühne treffe ich zumeist männliche Personen an, die am Aufbau, Soundcheck, Organisation, Booking etc. beteiligt sind. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Frauen gäbe, die sich beteiligen wollen.
Wie? Zum Beispiel mit der Idee, die ich bereits angesprochen habe: eine Grrrl-Open-Jam-Session. Diese Art von Open Stages gibt es bereits in verschiedenen deutschen Städten und nun möchten ich und Judith von Samsara Sounds dies auch in Leipzig umsetzen. Abende, die von Frauen für Frauen organisiert werden, an denen man sich in einem safe space frei entfalten und zusammen Musik machen kann, ohne Einschränkungen und Hemmungen erleiden zu müssen. Es soll v.a. Musikerinnen helfen, die vorher noch nie in einer Band gespielt haben oder zurzeit in keiner eingebunden sind und noch Mitstreiterinnen für ein Projekt suchen, sich aus diesem Grund erst einmal kennenlernen und/oder austauschen möchten. Bislang steckt diese Idee noch in der Organisation, aber hoffentlich können wir sie bald in die Tat umsetzen.
Wie empfindest du den Umgang mit Frauen in der Szene? Gibt es besonders schöne, miese oder dir in Erinnerung bleibende Vorfälle, zu denen du vielleicht etwas loswerden möchtest?
Es kommt wirklich auf den Einzelfall an. In zahlreichen DIY Locations wird mittlerweile Fokus darauf gelegt, aktiv und bewusst mehr Bands mit Musikerinnen zu buchen, weil es ihnen wichtig ist und sie die Musik wertschätzen. Dort fühlt man sich wohl, gut aufgehoben und anerkannt. Bei anderen Locations und Veranstaltungen hat man das Gefühl, lediglich als Quotenband ausgenutzt zu werden, nur um präsent zu sein, jedoch ohne dass die eigene Musik gewertschätzt wird.
Darüber wie Musiker mit unterschiedlichen Geschlechtern behandelt werden, hier eines der besten Negativbeispiele von einer befreundeten Musikerin aus Freiburg. Als sie vor einigen Jahren versuchte, Shows für ihre Band zu buchen, gab es unterschiedliche Reaktionen der Locations – als sie die Anfragemails mit ihrem Spitznamen “Alex” unterschrieb, erhielt sie meistens in kurzer Zeit eine Antwort, auch wenn sie z.T. eine Absage bedeuteten. Unterschrieben mit “Alexandra” führten die Mails jedoch meist zu ausbleibenden Antworten. Weiter ging es in den gebuchten Locations. Sobald ihre Band eintraf, ging der Veranstalter meist davon aus, dass der Mann der Band der Organisator “Alex” sein müsse, begrüßte ihn zuerst und nicht Alexandra, die sich um alles gekümmert hatte. Dieses Beispiel zeigt eine Diskriminierung, die vermutlich nicht einmal “böse gemeint” oder bewusst bewirkt wurde, ABER es veranschaulicht Vorurteile, die sich in den Köpfen festgesetzt haben, dass Frauen solche Aufgaben einfach nicht übernehmen könnten.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt noch erleben willst? Bestimmte Festivals, Bühnen, Bands?
Das klingt ja so, als wäre mein Leben bald vorbei! Nein, Scherz. Ich freue mich vor allem, mein Booking Projekt wachsen zu sehen, zu sehen, wie Frauenbands zunehmend wieder geschätzt werden, wie es immer mehr Frauenbands gibt, die mich erfreuen, denen ich gern zuhöre und deren Message mich berührt. Ich freue mich, meine Band auf größeren Bühnen und auf vielen kleinen Bühnen spielen zu sehen, darauf, neue Kontakte zu knüpfen, befreundete und noch unbekannte Bands zu treffen, neue Songs zu schreiben, neue Alben und Musikvideos rauszubringen, zu mehr Interviews eingeladen zu werden und was noch alles dazu gehört. Das absolut Beste wäre es, eines Tages mal Supportband für Bands wie L7, Bikini Kill oder Mudhoney sein zu dürfen.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Glaubt an euch und lasst euch von niemandem einreden, dass ihr es nicht könntet. Niemand wird für euch kämpfen, wenn ihr es nicht selbst tut. Lasst euch nicht davon unterkriegen, sondern fasst selbst mit an, wo ihr könnt! Falls ihr in einer Frauenband spielt, Shows bookt, euch um Stagetechnik/Aufnahmen/Mixing kümmert, zeichnet/malt oder ein Zine betreibt, sowie anderweitig in der Musikszene eingebundet seid, meldet euch gern bei mir. Zusammen schaffen wird das!
Danke für das ermutigende Interview, Tarcy!
Copyright Titelbild: Susi Schü
Fight Like A Grrl Booking (Facebook)