Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, da verzückte mich die Hamburgerin Anna Wydra mit ihrem Debütalbum „The Absurdity Of Being“. Damals waren das zehn wunderbare Indie-Songs, die sich für meinen Top 3-Artikel, den ich nie geschrieben habe, qualifiziert haben und die sich dank ihres jugendlichen Charmes – man möchte fast sagen, jugendlichen Leichtsinns! – für immer in meine Hirnrinde eingebrannt haben. Und heuer? Der Albumtitel mit dem bösen Wort drin lässt vermuten, dass Anna Wydra nahtlos da anknüpfen wird, wo sie einst aufgehört hat. Aber: weit gefehlt!
Auch an Anna Wydra geht die Zeit nicht spurlos vorbei. Soll heißen, auch sie ist inzwischen vier Jahre älter geworden und gemessen an der Musik auf „Lonely Motherfucker“ möchte man mutmaßen, auch reifer. Reifer im wörtlichen Sinn auf jeden Fall. Ihr Gesang, ihre Art zu singen ist deutlich perfektionierter – oder eben gereifter. Das ist schon die musikalische Upper Class, in der sie sich da bewegt und insofern auch wichtig, da die Songs auf „Lonely Motherfucker“ förmlich mehr auf den Gesang angewiesen sind, von diesem geradezu leben. Teilweise recht minimalistisch instrumentiert, steht der Gesang konsequenterweise und im Sinne einer Singer/Songwriterin deutlich im Vordergrund.
Songwriting und Gesang lassen Anna Wydra zudem nachdenklicher und reflektierter wirken. Muss dann wohl auch, da sie auf „Lonely Motherfucker“ intimer wird und uns an ihren Gedanken intensiver teilhaben lässt, als das noch auf „The Absurdity Of Being“ der Fall war. Diese sind so vielseitig wie die verwendeten Musikstile selbst. In dieser Hinsicht ist das Album immer für eine Überraschung gut, wenn da beispielsweise an dritter Stelle der Titeltrack auf’s Parkett tritt. Eine spitzenmäßige Country-/Americana-Nummer. So ein klein bisschen „Once Upon A Time In The West“- Feeling.
Kurz einmal durchgeschüttelt und schon sind wir mit „My Adderall“ in einer ganz anderen Ecke. New Order lassen grüßen. Ganz schön soulig wird es dann in „The Idea Of Us“. Die B-Seite raubt einem den Atem. Oder vielmehr: man möchte kaum atmen, schließlich will man ja nicht stören. Sämtliche Songs sind von einer bittersüßen Melancholie überzogen und leben paradoxerweise von ihrer Ruhe, ohne dabei an Intensität zu verlieren. Das ist ganz große Kunst, wenn man von der Melancholie angefixt wird und gleichzeitig Glückshormone produziert.
Im direkten Vergleich mit dem Vorgängeralbum ist Anna Wydra mit „Lonely Motherfucker“ ein Meisterwerk gelungen, welches sich am besten mit dem Adjektiv „ungewöhnlich“ beschreiben lässt. Wichtig ist jedoch erneut der Titel „Meisterwerk“ und ungewöhnlich kann etwas nur sein, wenn man es bisher anders gewohnt war. Vielmehr beschleicht mich aber schon jetzt der Verdacht, dass man sich bei dieser außergewöhnlichen Künstlerin, bei Anna Wydra, nie zu sehr an etwas gewöhnen sollte.
Und so warte ich schon jetzt mit Spannung auf das dritte Werk, obwohl doch das zweite erst am 14.11. via La Pochette Surprise Records erscheinen wird. Für dieses aber – und da dürfte die Spannung jetzt wohl schon raus sein – gibt es eine glasklare Kaufempfehlung, am besten dann wohl direkt bei Anna Wydra selbst, oder bei La Pochette Surprise Records.

