Heureka! Dirty Talons aus Wien wollen’s aber wissen. Aus den Überresten der Punkband Astpai entstanden, bietet die Band auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum so ziemlich genau das Gegenteil von rudimentären Drei-Akkorde-Songs. Bombastrock vom feinsten ist das hier. Schon beim Opener, der den Bandnamen der Dirty Talons trägt, fahren diese sämtliche Geschütze auf, die das Arsenal zu bieten hat. Kurzes countryeskes Intro, dann direkte Überleitung in ein stampfendes NWOBHM-Riff. Mit dem Einsetzen des Gesangs von Sängerin Jess ist man dann plötzlich auf einem ganz anderen Planeten, klingt sie doch astrein nach Madonna in den 80ern, oder auch nach Cyndi Lauper, was der grundsätzlich hart rockenden Band eine poppige Note verleiht. Jetzt der Refrain. Da wird tatsächlich geblastet, bevor die Dirty Talons dann, als wäre es das Normalste der Welt, einen auf Fröhlichkeit wie Church Of The Cosmic Skull machen.
What the f***?! Wo bin ich hier gelandet? Nachdem ich meine Fassung wieder einigermaßen gefunden habe, komme ich zu dem Schluss, dass Jess, Marco, Bernie, Zock, Roman und Martin wohl jeweils ziemlich große Plattensammlungen haben müssen. Einige Teile davon haben sie sicherlich von ihren Eltern übernommen. Boston, The Sweet, Thin Lizzy und AC/DC könnten da doch heiße Kandidaten sein. Und da! Zweistimmige Gitarrensoli. Ich raste aus! Das ist unglaublich geil.
Ähnlich wie beim Hören einer Dragonforce-Platte, stelle ich mir jedoch zumindest kurz die Frage, ob Dirty Talons nur so abgefahrenes Zeug spielen, weil sie es können, oder weil sie es tatsächlich auch wollen. Ich komme erneut zu einem Schluss und denke, sie wollen es tatsächlich so haben. Das ist schon Musik für Liebhaber*Innen, die trotz fetter Produktion und höchster musikalischer Qualität nie den fragwürdigen Charme des Anbiederns versprüht.
Textzeilen wie “I feel like I’m screaming. and no one can hear. They’re watching and scheming. Clouded by power, while I’m drowning in fear.” aus dem Song “Boiler Room” hinterlassen jetzt auch nicht gerade den Eindruck, dass die Dirty Talons vor Selbstüberzeugung und Selbstbewusstsein strotzen. Vielmehr zeigt Jess sich in ihren Lyrics verdammt offen und verletzbar. Das dann in teilweise fast schon Dicke-Hose-Hardrock zu verpacken… tja, das hat echt Stil. Warum denn immer Post-Punk machen, wenn man sich nicht so gut fühlt? Dirty Talons führen hier zusammen, was erwartungsgemäß nicht zusammen gehört. Und das ist das Geile daran.
So. Seite A ist um und ich bin völlig fertig. Aber glücklich. Zeit für ein bisschen Entspannung. Ah ja, “Have Mercy” meint es tatsächlich gnädig mit mir und fährt erst mal einen Gang runter. Nicht, was das Energielevel angeht. Also bitte nicht falsch verstehen, gell! Nein, nein. Nur was den Stil angeht. Dirty Talons setzen ihrer ohnehin schon gut bestückten Stilpalette noch einen hinzu. Der Song erinnert an die Meister des poppigen Rocks, oder rockigen Pops, an Cheap Trick, könnte aber auch von Weezer sein. Mensch, was können die eigentlich noch alles?
Wer bei der Aufzählung all der Referenz-Antiquitäten in diesem Review glaubt, Dirty Talons selbst mögen bereits jetzt schon antiquiert sein, der/die hat sich aber mal mit dem Schlachtermesser in den Finger geschnitten. Dirty Talons gelingt es geradezu hervorragend, ihren Sound frisch und dynamisch aufzutischen. Schön, dass junge Menschen immer noch bereit sind, Musik zu machen, bei der sich so manche (natürlich völlig geschmacksbefreite) Altersgenossen*Innen pikiert wegdrehen würden.
Schon wieder eine Platte des Jahres, wo es doch heuer schon so viele davon gab. Aber um Dirty Talons komm ich beim besten Willen nicht drum rum. Hoffentlich kommt die Band auch bald mal live in meine Gegend. Muss dann nur noch entscheiden, ob ich lieber mein AC/DC– oder mein Maiden-Shirt überstreife. Wer Rockmusik auch nur im Ansatz mag, der/die MUSS hier zugreifen. Das Album wird von Noise Appeal Records am 13.10. veröffentlicht. Ihr könnt es dort auch schon jetzt pre-ordern.