Im Interview mit Nick und Celina klären wir, wie man unter der Dusche oder per WhatApp Songs schreibt, dass ein Cis-Dude den feministischen Song schrieb, wie man sich über Textpatzer fett ärgern kann und das im Nachhinein ausbügelt, Kommentare – Kommentare – Kommentare, wenn frau merkwürdige Fragen zur Frisur statt zur Musik gestellt bekommt, #PunkToo, Empowerment bei Depressionen, Burnout & Panik – danke für die Offenheit zu diesem (leider immer noch) Tabuthema, gute Gedanken zum Barriereabbau Backstage.
Arnica: Hi ihr zwei! Ich wollte heute mal mit euch hauptsächlich über die Themen Sexismus und Feminismus sprechen, die ja auch Inhalt eures Albums „Heartache Radio“ sind. (Hier geht’s zu meinem Rattster Short Story Review über das neue Bloodstrings Album)
Ihr wart ja auch in der PunkToo-Gruppe?
Celina & Nick: Ja genau, da waren wir.
Da habe ich euch auf jeden Fall bemerkt, vor allem habt ihr dort mit als erstes die Auskopplung aus dem neuen Album „Ich Hab’s Schonmal Gesagt“ gepostet. Das war zum Frauentag, wenn ich mich richtig erinnere.
N: Genau, das ist wahr, das ist am 8. März 2023 gewesen.
C: Ich habe damals die Nacht durchgearbeitet, damit ich es noch fertig bekomme.
Es hat also vom Timing her perfekt hingehauen. Der einzige deutsche Song auf dem Album ist das. Gibt es einen speziellen Grund, dass ihr ihn auf Deutsch performt habt?
C: Wir haben uns gesagt, wir brauchen noch einen Song mit einer klaren Aussage. Da wollten wir auch gerne die Ansage: „Nein, heißt nein!“. Wir hatten mit der Band intern drüber gesprochen und dann ist lustigerweise Manni, unser Gitarrist, mit dieser Songidee um die Ecke gekommen. Er hat’s einfach erstmal auf Deutsch geschrieben, weil ihm Deutsch mehr liegt. Dann haben wir zusammen weiter daran gebastelt. Ich habe noch ein paar Zeilen angefüllt, dann war’s auch schon ein fertiges Ding, wo wir alle dachten: „Passt!“ Das ganze ist dann auch insofern cool, weil wir damit die Tradition weiterführen, auf jedem Album einen deutschen Song zu haben.
Wie ist das mit dem Songschreiben – also, normalerweise macht Manni das nicht?
C: Doch schon, aber der Manni macht das ganz selten. Nick und ich sind verheiratet und wohnen auch zusammen. Da ist es eben oft so, dass wir uns abends mit der Gitarre hinsetzen, um zusammen Songs zu schreiben. Wir motivieren uns gegenseitig. Manchmal kommt auch eine/r von uns aus der Dusche und ruft: „Hol was zum Schreiben, ich hab’ einen Song!“
Wie schreibt ihr das dann auf, macht ihr Evernote bzw. was digitales, so dass ihr noch eine kleine Song Audiodatei mit reinbasteln könnt oder macht ihr das ganz klassisch auf einem Fetzen Papier, der grad irgendwo rumfliegt?
C: Eigentlich erst mal Papier, aber wir haben uns letztens erst neu erkundigt, was Aufnahmematerial angeht. Eine Freundin mit einem Synthesizer, die eine super Musikerin ist, hat uns im Musicstore mal ein bisschen beraten. Das war dann dahingehend, dass wir mal ausprobieren können, das Songwriting von einer anderen Seite anzugehen. Dafür würden wir erst mal einen Beat brauchen und da dann einfach ein bisschen drüberbrabbeln. Vielleicht kommt durch die geänderte Herangehensweise etwas ganz neues dabei raus.
N: Wir sind jetzt bei Album Nummer drei und Platte Nummer fünf. Da wollen wir darauf achten, dass das Songschreiben nicht irgendwann immer nach Schema F läuft. Das tut es zwar eh nie, aber man entwickelt ja seine eigenen Gewohnheiten, wie man Songs schreibt und strukturiert. Wir denken, neuer kreativer Input macht auf jeden Fall Sinn. Aber generell ist es, wenn wir schreiben, bisher hauptsächlich Akustikgitarre und Papier. Danach wird es häufig auf dem Laptop aufgenommen und in Form gebracht, bis es soweit stimmt.
Die Songtexte kommen neben dem Musikalischen dann auch meistens von euch und nicht so unbedingt von den anderen beiden?
N: Genau. Die Texte sind häufig Celina, ich habe Textideen und Themenideen, bin aber auch nicht so der große Lyriker. Musikalisches kommt viel von Manni, unserem Gitarristen. Der geht viel hin und macht Riffs und Arrangements.
C: Das stimmt. Ich muss sagen, das Songwriting kommt bei uns von zwei Seiten. Entweder Nick und ich fabrizieren was zu Hause und nehmen es mit, oder Manni schickt uns irgendwas. Dann komponieren wir etwas dazu, das auf das Riff passt.
Okay, ihr habt da also eine Art online Workflow?
C: Manchmal kommt von Manni auch einfach nur eine WhatsApp ohne Kommentar. Da ist dann etwas drin, das er geschrieben hat. Das ist total cool so.
Ich finde es natürlich auch bemerkenswert, dass ausgerechnet dieser Song von einem Cis-Dude kommt. Wenn ich da mit dem Cis-Dude richtig liege, weil das sieht man ja nicht unbedingt von außen.
N: Ja, da liegst du richtig.
Das ist genau das, was man sich oftmals wünscht: Alleys, die das einfach mal raushauen und sagen, was Sache ist. Das finde ich schon genau richtig so.
N: Auf jeden Fall, wir haben auch gedacht, irgendwie passt es echt total. An den Lyrics haben wir dann später im Studio noch ein bisschen rumgedoktert, aber der Song stand echt superschnell, mit dem Refrain und dem ersten Vers. Obwohl es für uns als Band bisher relativ untypisch war, so einen Song zu machen, dachten wir, das machen wir auf jeden Fall. Denn einen deutschen Song haben wir bei den bekannteren Alben zwar immer zwischendrin gehabt, aber wir sind eigentlich eine englischsprachige Band. On top haben auch vorher nie diese sehr klaren Messages gehabt. „Nein, heißt nein, wie erbärmlich muss man sein!“, da ist ja nichts verschnörkelt, da ist ja keine Metapher dahinter. Das ist halt eine sehr klare Haltung.
C: No means no wäre auch gegangen. Aber die deutsche Sprache klingt härter. Da kommt die Message schärfer rüber.
Im Juli 2016 gab es zu dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ die Neuregelung im Paragrafen 177 StGB. Die Grundlage ist, dass die sexuell belästigte Person erkennbar Nein sagen muss. Leider genau an dieser Stelle ist wieder ein Knackpunkt. Nein, heißt ja nicht immer nur nein. Sondern nein kann auch heißen, ich habe einen Freund, ich bin müde, bitte lass mich. Letztendlich bietet das ja doch noch Spielraum. „Nein heißt Nein“ ist zwar eine klare Ansage, aber ich persönlich finde auch, bei diesem Paragraphen müsste man eigentlich noch mal darüber nachdenken, dass es für manche Betroffene in diesem Moment auch gar nicht möglich sein kann, erkennbar Nein zu sagen.
C: Jep!
Fraglich ist auch, ob es allein in der Verantwortung des Opfers liegt, erkennbar Nein zu einer Handlung sagen zu müssen. Die Beweislage könnte dünn sein, wenn es darauf ankommt. Sollte nicht vielmehr die übergriffige Person vorher wissen, erkennbar machen und handeln nach dem Prinzip: „Ich tue nichts gegen den Willen einer anderen Person!“
C: Ja, unbedingt.
Das war bei dem Rammstein Fall, wo mir das einfach wieder so richtig krass aufgefallen ist. Aber darauf will ich jetzt eigentlich gar nicht weiter in diesem Interview eingehen.
N: Da wird man ja eh nur stinksauer!
Ja, da wird man richtig sauer. Es ist so schlimm, oder? Einfach keine Chance. Ich hab auch überlegt, was ich machen würde, wenn mir das passiert wäre, was die Frauen berichtet haben. Da kann ich ja eigentlich nur nichts sagen und schweigen, so wie die Beweis- und Rechtslage ist. Es gibt zwar noch einen Zusatz, der auf Personen eingeht, die nicht mehr in der Lage sind, z.B. aufgrund von Alkohol oder Drogen Nein zu sagen. Hier ist die Beweisaufnahme notwendig durch Atteste und bei Zeitverzug im Nachhinein schwierig. Aufgrund der Beweislage ist das Verfahren ja auch eingestellt worden, was nicht einem Freispruch gleichkommt. Puh, schwieriges Thema, lassen wir das.
Noch eine letzte kritische Sache bei eurem Song. Die Lyrics, die auf dem Sheet stehen, sind ja eine Sache, aber du singst im Song noch ein paar andere Zeilen dazu. Gestolpert bin ich über: „Hat dir das deine Mami nicht gesagt?“ Da wollte ich natürlich fragen, was mit dem Vater ist?
C: Ja, mir ist das leider auch irgendwann aufgefallen. Ich habe ein Kommentar bei uns gelesen von einer total netten Frau, mit der ich mich dann auch später noch auf einem Konzert lange darüber unterhalten habe. Sie hat dort nämlich geschrieben: „..warum ist es jetzt wieder Mami’s Schuld, dass der Bub kein „Nein“ akzeptiert? Wäre ja der Job vom Papi gewesen…“
In dem Moment ist echt in meinem Kopf etwas zerbombt >Klirr!< und ich dachte: „Oh mein Gott, da hat sich Sexismus eingeschlichen, ohne dass ich es gemerkt habe! Das ist so tief verankert.“
Ich habe dann super lange mit ihr darüber gesprochen, denn bei ihr ist es so, sie als Mutter wird immer angerufen, wenn ihr Kind etwas verkackt hat und der Vater wird benachrichtigt, wenn das Kind etwas super gut gemacht hat. Es ist ihr übel aufgestoßen, dass sie immer wieder merkt, dass manche so einen großen Unterschied zwischen der Verantwortung der Mutter und der des Vaters machen. Ich habe dann eingesehen, dass es voll berechtigt ist, sich darüber zu ärgern. Deshalb habe ich ihr versprochen, dass ich auch manchmal Papi singe. Auf der Bühne singe ich seitdem also manchmal Mami und manchmal Papi.
N: Korrigiert mich, wenn ich da falsch liege, aber ich hab auch so ein bisschen das Gefühl, dass den Männern, die mit dem Song adressiert werden, „deine Mami“ als Spruch einfach schon noch mal ein bisschen mehr wehtut.
C: Das ist wieder die Muttersöhnchen-Floskel, die tut einigen Männern immer weh. An dieser Stelle muss man eben auch mal darüber nachdenken, warum tut das den Männern mehr weh, als wenn Papisöhnchen gesagt wird? Weiter stellt sich die Frage, warum besteht nur der Begriff Mamisöhnchen und nicht der Begriff Papisöhnchen?
Also, mit dem Thema haben wir glaube ich echt einen ganzen Abend füllen können.
N: Ja, da haben wir alle als Band auf einmal gestockt und gedacht: „Oh, das stimmt ja.“
Ich würde sagen, bei diesem Song trägt die ganze Gesellschaft Mitverantwortung. Besonders der Vater als Vorbild sollte jedoch seinem Sohn sagen: „Pass mal auf, Sohn, sowas macht man einfach nicht!“ Das kann absolut wirkungsvoll sein, wenn jemand seinen Job als Vater gut macht und ernst nimmt. Ich finde es auf jeden Fall mega, dass ihr euch darüber so ausführlich Gedanken gemacht habt und dass du vor Publikum frei variierst und anpasst, was auf dem gedruckten Text nicht vorkommt.
C: Ehrlich gesagt war ich damals echt total schlecht gelaunt, als ich das festgestellt habe, weil es ist ja ein Song gegen Sexismus und gegen die Objektifizierung von Frauen. Na klar habe ich mich super geärgert. Aber wenigstens ist online darüber gesprochen worden. Es gab eine kleine Diskussion, die für manche vielleicht auch irgendwo produktiv war und wovon Leute was mitgenommen haben.
N: Deine Zeile hat dafür eine Plattform geschaffen. Da hast du dann aus der Not fast eine Tugend gemacht.
Wo war diese Diskussion, war die dann bei euch auf der Band Seite?
N: Ja genau, die war bei Facebook.
C: Wir hatten Bilder vom Videodreh gepostet und dann kam halt, als die Leute sich die Single angehört hatten, dieser Kommentar. Ich dachte nur: „Oh Shit!!“
N: Mein erster Gedanke war ehrlich gesagt, geil, die Leute haben sich den Song wirklich richtig angehört und nicht so nebenbei irgendwo dudeln lassen. Du musst ja eine Zeile hören, um über diese zu stolpern. Die Diskussion in dem Kontext war bei uns total friedlich. Bei uns kommen auch keine zehn Cis-männlichen Die-hard-fans und sagen: “Lass die in Ruhe!“ oder so’n Kram, sondern da wird dann wirklich drüber gesprochen und das ist cool, finde ich.
Schön, dass es so angenehm geblieben ist und eben diese Die-hard-fans nicht gekommen sind, um noch mal Öl ins Feuer zu gießen, dort wo es eh schon richtig schlimm am Brennen ist.
N: Ich glaube die Fans, die wir gehabt hätten, die das gemacht hätten, die haben wir mit dem Song wahrscheinlich eh verloren.
Würdet ihr so Typen als Follower eventuell entfernen?
C: Also, wenn die sich erkennbar machen, als solche Machotypen, denke ich ja.
N: Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Bei uns kann schon jemand sagen: „Sehe ich jetzt anders“.
C: Es kommt halt darauf an, wie sie sich verhalten. Wenn das Verhalten störend oder verletzend wird, dann ist es halt ein Problem, sowas wollen wir natürlich nicht auf unserer Seite haben. Ist ja klar!
Das gibt es ja durchaus, dass manche Menschen andere mit ihren Kommentaren retraumatisieren. Es gibt ja teilweise richtig schlimme Diskussionen, diese K.O.-Tropfen Geschichte, zum Beispiel.
C: Genau das ist auch der Grund, warum wir bei dem YouTube-Video die Kommentarfunktion ausgeschaltet haben. Weil in dem Video spielen Freundinnen von mir mit und ich habe keine Lust, dass die nachher irgendwelchen sexistischen Kommentaren ausgesetzt sind.
Das finde es wirklich gut. Ich finde es ist auch gut, einen Disclaimer zu schreiben, dass man sich vorbehält, eventuell Kommentare zu löschen, die grob verletzend sind. Gerade im Internet, wo es ja noch mal anders zugeht, als im Real Life. Dort führt die Anonymität ja gelegentlich dazu, dass die Leute sich komplett anders verhalten, als wenn sie der angegangenen Person gegenüberstehen würden.
Mal zurück zu den Songs auf dem Album. Ihr habt ja noch einen weiteren Song zum heutigen Thema und zwar „Heavy Cross“. Das ist der Text mit dem X-Chromosomen.
C: Das kaputte X-Chromosomen! Dazu gibt’s auch noch eine Geschichte. Das war, glaube ich, als wir einen Weekender mit Pascow gespielt hatten. Da habe ich noch eine Ansage dazu gemacht, was mir der Song bedeutet. Später kam ‘ne super witzige Frau zu mir, die zu mir meinte: „Hey, können wir ein Foto zusammen machen?“ Als ich sagte; „Soll NICK auch mit drauf?“, meinte sie: „Ja, auch die Person mit dem kaputten X darf drauf.“ Sie meinte halt das Y-Chromosomen, fand ich total gut.
Ja, du hast aus der Perspektive gesehen die beiden „heilen“ Chromosomen, das Doppel X. Du siehst dich aber stigmatisiert und fühlst dich dadurch kaputt in dem Song. Das ist so widersprüchlich, weil frau ja eigentlich sagen könnte, Doppel X ist perfekt.
C: Ja, könnte! Ich könnte auch stolz sein, eine Frau zu sein. Ich könnte mich mit meiner Weiblichkeit auch identifizieren und das abfeiern, das zelebrieren und ownen auf der Bühne. Aber ich fühle mich sehr gehemmt und ich trage auch nicht mehr so gerne sehr knappe Klamotten auf der Bühne. Ich fühle mich häufig unwohl. Je länger wir spielen, desto mehr merke ich auch, dass Sexismus immer noch ein großes Thema ist. Häufig sind es nicht diese offensiven Sprüche, meistens sind es diese kleinen Sticheleien, diese kleinen Papercuts, die sich so anhäufen. Eine Situation war zum Beispiel, als ein Typ nach dem Konzert zu mir kam und sagte, darf ich dich mal was fragen? Ich will mir als Antwort darauf in Zukunft merken: „Wenn es was mit der Musik zu tun hat, dann ja.“, ansonsten höre ich es mir am besten gar nicht erst an. Denn die Frage war: „Wo sind denn deine schönen langen Haare hin?“
Ich habe gesagt: „Im Müll, wolltest du da noch was draus basteln, oder wie?“ Ich weiß ja nicht, was das soll! Ich fühlte mich halt direkt unwohl, durch die Weise, wie er mein Äußeres unterschwellig kritisierte. Als Hintergrund muss ich dazu sagen, dass ich on Top zu der Zeit sehr sensibel war, was mein Äußeres anging, denn ich hatte gerade eine schwere Depression hinter mir und eben meine Antidepressiva abgesetzt. Durch die Medikamente hatte ich mich auch körperlich verändert und einige Kilo zugenommen, weshalb ich mich fremd fühlte. Ich würde mir halt für solche Momente wünschen, wenn vor allem Cis-Dudes sich vorab mehr Gedanken darüber machten, dass jeder Mensch auch eine Geschichte hat, jeder Mensch ist anders sensibel, wird durch andere Sachen getriggert.
Es gibt Fragen, die schon von vornherein so angelegt sind, dass sie ein hohes Potenzial haben, völlig taktlos und triggernd zu sein. Also, wenn du zum Konzert gehst und eine Band abfeierst, dann feierst du am besten die Band wegen der Musik und wegen ihren musikalischen Talenten und lässt diesen ganzen anderen Sch**ß bitte beiseite.
Ich komme in meinen Interviews immer gerne auf das Thema unserer Interview-Reihe MusInclusion, in der es um Menschen mit Behinderung im Musikbusiness geht. Wir haben da schon viele Interviews geführt, unter anderem mit Musiker*innen, Veranstalter*innen usw. Es ist immer sehr spannend, wie sich das Thema in einem Interview entwickelt, wenn dies nicht das Hauptthema ist. Häufig treten unvermutet tolle Dinge zu Tage. Du hast ja, wie du eben berichtet hast, schon die Erfahrung einer schweren Depression gemacht. Depressionen können natürlich auch durch die Einschränkungen, die damit einhergehen können, ein Grund sein, einen Schwerbehinderten Ausweis zu haben. Es handelt sich dabei natürlich um eine unsichtbare Behinderung, die man von außen nicht sieht. Das führt häufig dazu, dass Leute einer betroffenen Person nicht glauben, dass es ihr so geht und den Zustand bagatellisieren, indem sie zum Beispiel Dinge sagen, wie, „das wird schon wieder“, oder, „ich bin auch manchmal traurig.“ Manche können sich da nur schwer hineinversetzen.
C: Geh mal ein bisschen an die Sonne!
Ha ha, genau!
Gerade im Hinblick auf Barrierefreiheit steht es ja auch immer öfter im Gespräch, dass Stilleräume bzw. Rückzugsorte Teil von Barrierereduzierung und Awareness-Konzepten sein können. Wie ist deine Erfahrung damit?
C: Also, da kann ich echt sagen, einen ruhigen Rückzugsort hätte ich mir häufig gewünscht auf Gigs. Eine Zeit lang habe ich wirklich sehr gestruggled mit meinen Depressionen in Verbindung mit der Bühne. Ich hatte ein schweres Burnout und war eigentlich schon länger in einer Depression, habe es jedoch nicht gemerkt. Durch zu viel Arbeitsstress und diese Depression, die ich nicht als solche erkannt habe, ist dann das Burnout entstanden. Das war kurz nach unserer Studiozeit, wir waren eben aus dem Studio raus. Ich hatte schon im Tonstudio gemerkt, ich bin so träge, es fällt mir alles so schwer, ich war so überkritisch und habe alles hinterfragt, war unzufrieden. Das hat sich alles weiter zugespitzt und dann war Weihnachten. Da hatte ich dann mal nichts zu tun und auf einmal bin ich einfach nur komplett zusammengeknickt, dann ging gar nichts mehr.
Ab da konnte ich auch nicht arbeiten. Wir hätten eigentlich auch noch einen Zusatz-Studio-Tag gehabt, aber den mussten wir verschieben. Ich habe gesagt: „Nick, ich mache jetzt hier nur Sch***, ich kann nicht mehr.“ Ich konnte auch körperlich nichts mehr, ich habe nur Krächzen rausgebracht, keinen normalen Gesang.
Wir konnten keine Gigs spielen, es ging einfach gar nichts. Dann kam Therapie, dann kamen Medikamente, die ich auch wirklich brauchte, weil ich hatte eine Panikstörung entwickelt. Das äußerste sich so heftig, dass ich dann nicht mehr zum Briefkasten konnte, ich konnte nicht mehr ans Telefon gehen. Nick hat meine Briefe geöffnet, weil ich Angst hatte, Briefe zu öffnen.
Ist das wieder weggegangen?
C: Ja, es ist wieder weggegangen. Man muss versuchen, die Dinge, vor denen man Angst hat, wieder mit etwas positivem zu assoziieren. Wenn man zum Beispiel Angst vor dem Laptop hat, dann muss man zum Beispiel ‘ne Zeit lang einfach mal irgendeinen Quatsch in Photoshop malen. Das dauert und man trainiert sich das sozusagen an.
Mit viel Gesprächstherapie nebenbei ging das dann auch wieder weg. Aber es war mir oft zu viel hinter der Bühne, ich hätte mir einen ruhigen Rückzugsort manchmal gewünscht. Ich bin dann auch oft früher zu pennen gegangen als die anderen. Mittlerweile ist es besser. Auch deswegen, weil meine Bandkollegen so rücksichtsvoll sind, immer auf mich achten und fragen, ob ich was brauche.
So super, dass deine Kollegen so hilfsbereit sind. Es ist ja sonst leider oft so, dass gerade Depressionen zu einer Lappalie herabgeredet und nicht ernst genommen werden. Du kannst dich ja auch bemühen und lächeln, dabei eine super Show machen und trotzdem sieht es in dir drinnen ganz anders aus, als es wirkt. Manche können das schwer akzeptieren.
Deshalb ist wichtig, dass darüber geredet wird. Es handelt sich ja leider noch immer um ein Tabuthema. Rolemodels sind da zur Aufklärung und Unterstützung echt wichtig.
C: Ja, die Transparenz darüber ist sehr wichtig. Denn ich muss auch immer an meine Situation damals denken, wenn ich Nick darum gebeten habe, einen Kollegen anzurufen, dass ich nicht mehr arbeiten kann, weil ich es selbst nicht konnte. Ich hatte so eine Angst davor! Ich war auch einfach geschwächt.
Als mein Kollege dann gesagt hat, er hasst das auch, ihm ging es eine ganze Zeit lang ebenfalls super schlecht und er kann das voll verstehen, war ich erleichtert. Da habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, ich kann wirklich darüber reden und die Leute verstehen es auch und ich muss nicht einfach nur sagen, ich bin lange krank.
Ich sage es auch mittlerweile in allen Interviews, weil ich denke, wenn andere es hören, dass ich darüber spreche, dann tun Sie es vielleicht auch.
Ich bin super froh, dass du das gemacht hast und so offen bist, darüber zu reden.Vielen Dank! Das gibt ganz sicher anderen Menschen Mut. Es tut gut, zu wissen, damit nicht alleine zu sein und es gibt Anlass, auch in diesem Bereich über Barriereabbau zu diskutieren. Inklusion betrifft ebenso die Teilhabe mit dauerhaften oder vorübergehenden unsichtbaren Beeinträchtigungen.
Möchtet ihr noch etwas als Schlusssatz sagen?
C: Das Sexismus sch**sse ist, haben wir ja schon besprochen.
Auf jeden Fall, das kann nicht oft genug gesagt werden.
N: Supportet euch gegenseitig, ist immer so etwas, das wir gerne als kleine Message andeuten. Wenn ihr jemanden kennt, der/die etwas tolles macht oder den/die ihr irgendwie nett findet, dann supportet diejenigen.
C: Nicht mit Ellbogen durchs Leben gehen, sondern mit offenen Armen!
Vielen Dank für das Interview.