Vermutlich gäbe es 1000 gute Gründe, warum eine*r meiner Kolleg*innen diese Platte fundierter und professioneller hätte besprechen können, als ich es je tun werde. Und ich habe sogar ein bisschen Angst davor, diesem Album mit meinen Worten nicht gerecht werden zu können, aber es gibt einen Grund, warum ich vielleicht doch nicht die Falsche bin: Ich bin schockverliebt. Und zwar mit allen Fasern meines Körpers. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal auf eine Art und Weise Musik gehört habe, wie in dem Moment, als ich das erste mal das mir vorliegende Debütalbum der Hamburger Band FHEELS, das den blumigen Namen “Lotus” trägt und auf dem Hamburger Label Superlaut erschienen ist, aufgelegt habe. Eigentlich schreibe ich im Moment aus Zeitgründen kaum mehr Reviews und wenn, dann eher Tapes und besonders die, auf denen sich die Songs eher unter 2 Minuten Spielzeit bewegen. Aber bei dieser Platte war einfach klar, dass ich sie besprechen MUSS.
Ich gehöre zu den Menschen, die Künstler*in und Werk nicht voneinander trennen können. Und weil ich das Glück hatte, zusammen mit meinem lieben Punkrockersradio-Kollegen René, Sänger Felix im März als Gast in unserer “MusInclusion”-Interviewreihe begrüßen zu dürfen (das wirklich bewegende Interview könnt ihr hier in unserer Mixcloud nachhören oder auf Youtube mit Bild anschauen), hat diese Platte für mich einen ganz besonderen Wert. Ich habe bereits vor Veröffentlichung (und vor dem Interview) schon in “Lotus” reinhören dürfen (Herzlichen Dank an dieser Stelle an Benni von Fleet Union) und war danach schon ziemlich beeindruckt von der Bandbreite und Virtuosität von Instrumenten und Gesang, die mir da entgegen geflossen sind. Ja, geflossen, genau so hat es sich angefühlt, wie eine Schleuse, die geöffnet wird und plötzlich ergießt sich die Musik über mich und ich floate sanft hindurch…
Ich muss zugeben, dass ich normalerweise eher weniger auf Perfektionismus im Zusammenhang mit Musik stehe, aber dieses Album ist anders. Ja, es ist perfekt, und zwar alles daran, von der Musik bis zum Cover (dem Pinsel von Künstler und Illustrator Ramón Springer entsprungen). Es zeigt eine Lotusblume in voller Blüte, die hell und in orangegold aus der düsteren, Beklemmung erzeugenden, dunklen Szenerie erleuchtet und ist im Grunde die perfekte, bildhafte Inhaltsangabe dieses musikalischen Werkes. Es geht um Selbstfindung, Zwiespalt, Sexualität, Finsternis und Schönheit. “Seine ultimative Befreiung erfährt das intime und introvertierte Songwriting auf “Lotus” durch bipolare Extreme (…)”, so heißt es im Pressetext und genau das ist es, was mich vom ersten Ton an abgeholt hat: Diese Vertrautheit, die Emotionen, die Ehrlichkeit, und Allem voran diese unfassbare Stimme, mit der Sänger Felix mich die Texte fühlen lässt, noch bevor ich den Worten bewusst zugehört habe. Vielleicht liegt es am Alter, daran, dass die Welt gerade so ist , wie sie ist und sich die Prioritäten und die Menschen parallel dazu scheinbar ständig verändern – aber diese Musik passt einfach perfekt in mein derzeitiges Gefühlschaos und das im bestgemeinten Sinne. Und weil ich persönlich finde, dass diese Platte nur so vor Empfindungen strotzt, werde ich auch dabei bleiben, und genau darüber schreiben.
Trotz Allem ein paar Informationen vorab: Felix Brückner (der neben dem Gesang auch die Gitarre übernimmt), Tobias Nitzbon (Keyboard & Backing Vocals), Jens Boysen (Bass) und Justus Murphy (Drums & Backing Vocals) haben mit Christoph Hessler (Sänger bei The Intersphere) als Produzent Ende 2019 im Toolhouse Studio in Rottenburg die folgenden 9 Lieder live aufgenommen.
“Lotusland” lässt mich auf einer Welle von Synthesizer und Bass in das Album gleiten und erzeugt eine Atmosphäre, die ich sonst nur von Größen wie Peter Gabriel erwarten würde. Und was dann kommt, trifft mich mitten ins Herz. Diese Stimme, die in einer Leichtigkeit von einer zerbrechlich zarten Kopfstimme in volle, rauhe Tiefen wechselt, triggert genau den Punkt in meinem Körper an, der für Gefühlsregungen zuständig ist. Alles an diesem Song spiegelt innere Zerissenheit wieder: Melodie, Gesang, Text (“(…)moments of clarity, between days of champaign and cocaine (…)”), alles greift ineinander bis am Ende die Gegensätze doch wieder ein harmonisches, stimmiges Ganzes ergeben.
“Mr. Elephant” greift die sich voneinander abstoßenden Pole der Schwerelosigkeit der Musik und der gleichzeitigen Last der Lyrics auf: “(…) you took the weight of the world on your shoulders (…)”.
FHEELS erzeugen, neben Emotionen, auch lebhafte Bilder im Kopf, wie auch beim anschließenden “Daybreak”, das geradezu mantraartig direkt in meine Tränendrüsen gallopiert. Für mich eines der stärksten und beeindruckendsten Stücke auf dem Album, ein wilder Ritt durch das Spektrum an Empfindungen wie Hoffnungslosigkeit, Trauer, Wut und Entschlossenheit. Puh.
“Sharp Dressed Animal” greift das Thema Sexualität und im Besonderen Sexualität mit Behinderung auf. In Kombination mit dem dazugehörigen Video hat dieser Song eine klare Botschaft: Behinderte Menschen haben dieselben sexuellen Bedürfnisse, wie Menschen ohne Behinderung. Das sollte eigentlich klar sein, ist es aber leider oft noch nicht. Und so ist dieses Lied mehr als “nur” Musik, es ist eine Botschaft, eine klare Message für Body Positivity und Aufklärung.
Mit der bittersüßen, melancholischen, schleppenden Tragik und hymnenhaften Momenten gepaart mit rezitativ vorgetragenem Text endet die A-Seite mit “Pieces”, und ich bin fast froh, mich kurz erholen zu können.
Seite B beginnt mit “Phil The Beggar” und vereint Bedrohlichkeit und Harmonie, Orgelklänge und tighten, akzentuierten Drum Sound. “(…) Hello, i’m Phil the beggar, and i’m dancing on your arrogance, it’s such a pleasure (…)“. Dazu erschien bereits eine professionelle Videoproduktion mit einem Film-Noir-Animationsfilm.
Mit “Time” folgt ein astreiner Soul Song und ich wundere mich ein bisschen- bis völlig unterwartet Stimmung, Tempo, Gesang und Instrumente in einem chaotisch, wütenden Wirbelwind verschwimmen, um sich kurz darauf wieder in Zartheit und Minimalismus auseinander zu dividieren.
“Empathy” strotzt von derartiger Schönheit, dass ich es fast nicht aushalten kann. Ich möchte meine Augen schließen und mich einhüllen lassen von den blumigen, verletzlichen Klängen, möchte mich wieder befreien, ja, häuten, wenn “(…)it’s about helping, instead of blaming them (…) ausgespuckt wird, um mir danach wieder meiner eigenen Verwundbarkeit bewusst zu werden. (…) Nothing but fear left…(…)
“Dark Water” beschließt dieses fulminante musikalische Werk und passt – leider – besser als nötig in diese bedrückende Zeit und lässt mich als Hörerin nach Befreiung schreien.
Wenn ihr einen Zugang zu Euch selbst sucht, dann gelingt euch das mit Gewissheit mit diesem Album. Wenn ihr das gar nicht wollt, weiß ich nicht, ob ihr Erfolg dabei haben werdet, bei dieser Intensität dicht zu machen.
Wenn doch, ist es trotzdem aus musikalischer Sicht eine grandiose Platte, die ihr unbedingt in euren Plattenschrank stellen (und auch regelmäßig hören) solltet.
Zu kaufen gibt es das Album ab heute zum Beispiel hier bei JPC:
Interpret | Keine Daten vorhanden |
Titel | Keine Daten vorhanden |
Veröffentlichung | Keine Daten vorhanden |
Label: | Keine Daten vorhanden |