In Zeiten von Corona haben nun endlich auch mal die Konzertfotografinnen Zeit für Interviews bei uns! 😉 Wir begrüßen heute in unserer Reihe “Frauen im Musikbusiness” Susi von LAUTUNDWILD Konzertfotografie (Unterwegs in Sachen Punkrock). Erst vor zwei Wochen hatten an dieser Stelle Sophia Vogel im Interview, die ebenfalls fleißig auf Shows fotografiert. Werft auch noch einmal einen Blick auf unseren Beitrag letzte Woche, in dem Bea aus Berlin über die Konzert Crew dance-our-revolution berichtet. Habt Spaß beim Lesen und bis nächsten Dienstag!
Hallo Susi, schön dich in der Interview-Reihe dabei zu haben! Hauptsächlich fotografierst und filmst du Punkkonzerte und veröffentlichst die Mitschnitte auf www.lautundwild.de – seit wann machst du das und gab es ein spezielles Ereignis, das für dich der Auslöser war damit anzufangen?
Erstmal lieben Dank für die Interviewanfrage. Es ist mal interessant auf der „anderen Seite“ zu sitzen.
Der Auslöser war das Punk’n Roll Festival im September 2004 am Nürburgring. Ursprünglich waren wir wegen der Hosen Cover Band “Die Toten Ärzte” dort, die mich komplett enttäuschten. Davor spielten Betontod, Planlos, Massendefekt, die Parasiten und Wilde Zeiten, die wir ausnahmslos zum ersten Mal sahen und alle für gut befanden. Letztendlich sind wir heimgefahren und haben die “Könige der Nacht” Maxi von WZ auf Dauerschleife laufen lassen und ab da regelmäßig kleine Konzerte besucht und viele wunderbare (uns bis dato unbekannte) Bands entdeckt. Ich versuche mit meiner Arbeit Bands, Solokünstler bzw. Festivals zu supporten und sichtbarer zu machen. Mein Mann unterstützt mich bei (fast) jeder durchgeknallten Idee.
Kannst du dich an dein allererstes Konzert erinnern, das du auf diese Art und Weise verewigt hast?
Das war 2004, als wir bei Rock im Park waren und beim Hosen Konzert in der ersten Reihe standen. Das waren die ersten Fotos, die mir auch Jahre später noch gefallen haben. Meine erste Spiegelreflexkamera legte ich mir ein Jahr später zu.
Gutes Gedächtnis! Dann kannst du uns sicher auch einen kurzen Einblick geben, wo man dich in den letzten Jahren antreffen konnte…
Vorwiegend sind wir bei Punkshows vom Jugendzentrum bis zum großen Punkfestival in ganz Deutschland unterwegs. Das trifft es ganz gut.
Es gibt ein Festival, was uns besonders am Herzen liegt. 2009 fand auf der Burgruine Vacha das “Rock am Berg Festival” statt. Wann immer wir Zeit hatten, versuchten wir in den Folgejahren wiederzukommen, was bis auf wenige Male funktionierte. Irgendwann hat es angefangen, dass wir eine Woche Urlaub dort machten und auch als Helfer aktiv wurden. Das Rock am Berg im Waldstadion Merkers ist unser Lieblingsfestival mit “Wohnzimmer-Charakter”. Ich gebe zu, dass kurz Tränen geflossen sind, als klar wurde, dass 2020 coronabedingt abgesagt werden musste. Dafür habe ich mit viel Herzblut ein Video mit den besten Momenten aus den letzten 10 Jahren erstellt.
Ansonsten trifft man uns neben dem „Rock am Berg“ bei vielen weiteren Szenefestivals wie z.B. der „Fight Night“, „Rock am Kuhteich“, „Resist to Exist“, dem „Spirit Festival“ und beim „Punk im Pott“ sowie beim 1-Tages Festival „Aufmucken gegen Rechts“.
Ist das alles Hobby oder machst du “im echten Leben” vielleicht sogar etwas ganz anderes?
Mit meinem echter Beruf hat die Konzertfotografie überhaupt nichts gemeinsam, außer dass ich auch beruflich viel unterwegs bin. Die Fotografie sowie die Arbeit in Form von Interviews, Berichten und CD Kritiken für meine Seite sind ein zeitintensives Hobby, was einige Kompromisse für den Alltag einfordert.
Fotografie heißt für mich besondere Momente einzufangen und auf dem Papier wieder lebendig werden zu lassen. Anfragen zu Shootings, Konzerten und anderen Fotoprojekten sind jederzeit gern gesehen, aber zeitlich leider nicht immer realisierbar. Meldet euch einfach bei Bedarf mit Euren Ideen.
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis in deiner Zeit mit LAUTUNDWILD, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Da gibt es einige. Erfreuliche Momente sind die, in denen ich Bands bzw. Festivals fotografisch begleite, die ich charakterlich und musikalisch mag. Es sind auf den Konzerten einige tolle Bekanntschaften und Freundschaften entstanden, die uns teilweise seit über 15 Jahren begleiten.
Eine Ehre ist natürlich, wenn Bands meine Bilder in Booklets zu ihren Alben abdrucken oder anderweitig offiziell für Promozwecke verwenden und teilen. Besonders habe ich mich gefreut, dass meine Fotos es in den letzen 3 Jahren sogar zwei mal auf Albencover (2018 Normahl, 2019 Tante Inge) geschafft haben.
Davor ergab es sich, dass Wölli (der frühere Drummer von der Hosen) 2011 mit seiner Band „Wölli & die Band des Jahres“ tourte und ein Bild, welches ich fotografierte, zu seinem Profilbild auf Facebook machte. Leider erlag er im Jahr 2016 einem Krebsleiden. Es ist schön und traurig zugleich, dass dieses Bild bis heute dort zu sehen ist.
Weniger schöne Erfahrungen sind die, bei denen Equipment durch Diebstahl verloren oder kaputt ging. Bei einem Gig von „BUMS“ wurde ich mitten im Pogo von einem unabsichtlichen Ellbogenstoß am Kopf ausgeknockt und das Objektiv tat es mir gleich. Ich funktionierte nach wenigen Augenblicken wieder, das Objektiv leider nicht. Aber das gehört zum Risiko, wenn man „mittendrin“ dabei ist. Der Abend hat sogar ein tolles Fazit: Ein Pärchen aus dem Freundeskreis ist an diesem Abend dort zusammen gekommen und bis heute sehr glücklich. Alles Gute an dieser Stelle!
Eine Erfahrung, auf die gern verzichtet hätte: Bei einem größeren Festival wurde mal der Graben geräumt, nachdem einer der Fotografen beim ersten Lied mit Blitz arbeitete und dann durften keine Fotos mehr gemacht werden, was sehr ärgerlich war.
Passt zu mir: Bei einem Festival habe ich gefühlte Ewigkeiten 4 Uhr nachts (und nüchtern) mein Auto auf einem unbeleuchteten Festivalparkplatz gesucht und ein betrunkener Festivalbesucher empfahl mir, besser nicht mehr zu fahren, wenn ich mein Auto nicht mehr finden würde. Was ein Witzbold! Ich musste wenige Stunden später auf der Arbeit sein. Kurzum: Ich fand das Auto nach einer 20minütigen Suche und hatte im letzten Kreisverkehr vor der Autobahnauffahrt einen Achsenbruch mit dem Auto und musste abgeschleppt werden. Irgendwie schaffte ich es gerade noch rechtzeitig (in Festivalklamotten) in die Arbeit und wurde trotz meines Zustandes zwischen Aufgedrehtheit und Übermüdung für meine gute Arbeit gelobt. Zwei Jahre später fand ich eine winzige Momentaufnahme aus dieser Festivalnacht zufällig auf dem Cover einer Maxi CD von einer nicht ganz unbekannten Band, die ich sehr mag. Diese Nacht bleibt definitiv unvergessen.
Unzählige Momente aus 13 Jahren mit „Wilde Zeiten“ trage ich immer noch im Herzen.
Das hört sich wirklich nach vielen unvergesslichen Momenten an. Kommen wir zum Thema Gleichberechtigung: Wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Ich empfinde keine Benachteiligungen, wenn ich meine Arbeit mit der meiner männlichen Kollegen vergleiche. Man sollte immer aufeinander Rücksicht nehmen und niemanden stören. Dann hat jeder seinen Spaß – das Publikum beim Feiern, der Künstler beim Konzert und der Fotograf beim Festhalten von tollen Momenten.
Noch immer bekommt man auf der Bühne deutlich mehr Männer als Frauen vor die Linse. Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Was ich beobachtet habe, ist die Tatsache, dass es schon immer Bands mit weiblicher Besetzung gab und diese mit den Jahren gefühlt präsenter wurden. In den letzten Jahren ist dieses Thema vielleicht auch dank einer gewissen „Frauenquote“ für alle sichtbarer geworden. Einen konkreten Turningpoint habe ich nicht wahrgenommen, was möglicherweise daran liegt, dass ich schon immer Bands mit weiblicher Beteiligung mochte und als gleichwertig zu ihren männlichen Kollegen erachtet habe. Im Übrigen gibt es viele ehrgeizige Musikerinnen, die musikalisch auf einem sehr hohen Level spielen und locker ihre männlichen Mitmusiker übertrumpfen. Seit mehreren Jahren nehme ich bei Bands, Konzerten und Festivals stetig mehr Künstlerinnen, Technikerinnen, und Bookerinnen wahr, sowie Frauen, die wichtige Funktionen bei der Veranstaltungsdurchführung innehaben. Jede/r sollte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten entfalten können. Dabei spielt es für mich keine Rolle, wer was macht, wenn jede/r sich mit seinem Einsatz wohl fühlt.
Bezeichnest du dich als Feministin? Wenn ja, was bedeutet das für dich?
In dem Sinne, dass ich an Chancengleichheit in vielen Bereichen glaube, ist die Antwort ein klares Ja. Aber gerade Frau muss sich trauen und zeigen, was sie kann, damit sie wahrgenommen wird. Das ist heute noch ein Manko. Ich erlebe gelegentlich, dass männliche Kollegen ihre Leistung durch offensiveres, forderndes Auftreten besser verkaufen können, auch wenn die Arbeit an sich nicht zwangsläufig besser ist.
In Bezug auf Konzerte und das Drumherum nehme ich immer mehr Frauen wahr, was ich als gutes Zeichen werte. Sauer werde ich dann, wenn ich wahrnehme, dass exakt gleiche Arbeit je nach Geschlecht unterschiedlich bewertet wird.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders?
Ich freue mich aktuell über die Tatsache, dass es wieder mit den Konzerten losgeht. Im September spielen Matze Rossi und 100 Kilo Herz im Waldstadion Merkers. In 2021 wird zum 15. Mal das Rock am Berg Festival an selber Stelle hoffentlich stattfinden. Einmal Daumen drücken, bitte! Für dieses Jahr sind außerdem noch Dritte Wahl und einige kleinere Konzerte im bayerischen Raum geplant.
Ich denke und hoffe, dass in dieser Krise besonders die kleinen Bands profitieren können, wenn sie „Abstandskonzerte“ und Veranstaltungen unter freiem Himmel spielen können. Von den „großen“ Bands, zu denen wir gehen wollten, sind fast alle Gigs auf 2021 verschoben worden. Aber da wir auch gern unbekanntere Bands sehen, habe ich die Hoffnung auf das ein oder andere Konzert für dieses Jahr noch nicht begraben. Lieber eine Show mit Abstand und Maske, als gar keine Konzerte. Ich bin gespannt, ob es irgendwann wieder eine unbeschwerte Rückkehr in die Normalität gibt, wie wir sie vor Corona kannten und welche Maßnahmen uns längerfristig begleiten werden. Ich weiß von ein paar befreundeten Bands, das sie gerade an neuen Songs arbeiten. Ich hoffe auf einige musikalische Neuerscheinungen.
Wir drücken auf jeden Fall auch die Daumen! Gibt es etwas, was du unbedingt noch erleben möchtest, vielleicht eine Band, die du gern mal vor die Linse bekommen willst?
Um ehrlich zu sein, durfte ich schon viel erleben. Ich bilde mich permanent weiter, was die Kameraeinstellungen und Theorie zum Fotografieren und Filmen betrifft. Heute bin ich in der Lage beim Fotografieren ordentlich im manuellen Einstellbereich zu arbeiten, was ein langer Weg war. Es gibt nun mal nur „diesen einen Moment“ im Konzert und wenn er vorbei ist, gibt es keine zweite Möglichkeit, ein zweites identisches Foto zu machen. Außerdem fliegt ein Foto bei mir sofort in den Mülleimer, wenn es nicht eine gewisse Grundqualität mitbringt. Ich möchte es einmal erleben, dass ich alle wichtigen Konzertmomente einfangen kann, ohne dass mir am Ende etwas „fehlt“, weil es z.B. zu dunkel, verwackelt oder unscharf ist. Ich gebe zu, dass es eine Utopie ist, aber als Wegweiser ist es ok. (*lach)
Es gibt nur wenige Bands, die noch auf meiner Wunschliste stehen, aber darüber zu reden, bringt Unglück.
Was bedeutet Corona in diesem Zusammenhang für dich und LAUTUNDWILD?
Ich bekam im März das Wochenende vor dem Lockdown von guten Freunden ein Wohnzimmerkonzert geschenkt, worüber ich mich wahnsinnig gefreut habe. Als dann klar wurde, dass es für längere Zeit das letzte Konzert sein würde, bin ich ehrlich gesagt in ein Loch gefallen und habe etwas gebraucht, wieder da raus zu kommen. Ziemlich sicher ist es vielen Livemusikfreunden so gegangen. Davor war ich im Schnitt jede Woche auf einem Konzert. Da gibt es mit den Song “Einen letzten Abend” von den Rogers, der dieses Gefühl genau auf den Punkt bringt. Die Einschränkungen durch Corona haben sich in jedem Bereich ausgewirkt. Plötzlich gab es einen Stillstand, den ich so vorher nie für möglich gehalten hätte, weil das einzige Ventil (Livekonzerte) plötzlich fehlte. Mit den engsten Freunden (Grüße an die Ichhörnchen) habe ich deswegen mit dem Skypen angefangen, was ich davor konsequent verweigert hatte. Wir haben gemeinsam – aber jeder für sich – Konzerte angesehen und „zusammen gefeiert“. Das war für eine Zeit lang gut, weil es ja keine Alternativen gab. Aber so ein „richtiges“ Konzert und persönlicher Kontakt ist bedeutend besser (trotz Abstand und Maske). Ich hoffe, dass die derzeit geschlossenen kleinen Clubs diese Krise auch mithilfe von unzähligen Spendenaktionen überleben können. In unserem Umfeld haben wir einige Leute, die ihren Lebensunterhalt mit Jobs in der Veranstaltungsbranche bestreiten und manche kämpfen um ihre Existenz. Diese Entwicklung ist mehr als bedrohlich und ich möchte aktuell nicht in deren Haut stecken.
Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Bei uns in Landshut gibt es mit „Liza Sew“ ein tolles kleines Modelabel für Punkrockklamotten und hochwertige Accessoires . Liza fertigt alles mit viel Liebe zum Detail und purem Punkrockspirit an. Viele Teile aus dem Sortiment sind Unikate, die es so tatsächlich nur einmal gibt. Außerdem ist sie Bassistin in der Punkband „Rather Racoon“. Eine tolle Symbiose aus Leidenschaft für Punkrock und Kreativität an der Nähmaschine, wie ich finde. (Hier geht es zum Interview mit Liza Sew bei Vinylkeks.)
Ebenfalls im musikalischen Bereich kann ich Euch Karin (Sängerin bei „Die Kellergeister“) sehr empfehlen. Sie ist schon seit über 30 Jahren im Punkrockbereich unterwegs und hat schon einiges erlebt. Außerdem unterstützt sie die Initiative „Warm durch die Nacht“ in Gelsenkirchen. Leider gibt sie nur sehr selten Interviews.
Nachdem ihr hier schon einige befreundete Frauen aus dem Musikbusiness vorgestellt habt, kann ich euch Anja Grauwinkel eine liebe Kamerakollegin empfehlen, die hier in dieser Rubrik noch fehlt.
Hast du für die Leser/innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Ich bedanke mich für das Interesse. Passt auf Euch auf, bleibt solidarisch und unterstützt Eure Herzensprojekte und verbringt Eure Zeit mit guten Menschen. An dieser Stelle gehen Grüße an Eure Leser und die lieben Menschen raus, die wir hoffentlich bald wieder Live und in Farbe vor den Bühnen treffen werden.
Besonderen Dank an meinen Mann Thomas, der mich bei allen Aktivitäten von und für www.lautundwild.de unterstützt, was nicht selbstverständlich ist!
Danke für das Interview, Susi!