Vor ein paar Jahren, wir waren gerade frisch in unserer neuen Wahlheimat angekommen, wanderten wir am 1. Mai durch die Gegend. Tag der Arbeit, genau der richtige Tag, um sich mit der neuen Heimat vertraut zu machen. Schließlich sind wir im Schwabenland. Angelockt von der Musik, gerieten wir in das Partygetümmel einer Schrebergartenkolonie. Ein Haufen schwäbischer Rednecks, Schwarz-Rot-Gold am Fahnenmast und die Wollsocken spärlich mit Sandalen bedeckt, schunkelte zur mutmaßlichen örtlichen Countrygröße, Namen nicht bekannt sowie irrelevant. Die Band wiederum hatte als Bühnendekoration unreflektiert – oder auch nicht?! – die Konföderiertenflagge aufgespannt. So viele Klischees auf einem Haufen, da kann man kaum die Augen vor verschließen. Fehlte nur noch das AfD-Wahlprogramm auf den Biertischen und ich – wahrlich nicht frei von Klischeedenken – fühlte mich bestätigt, wer sich im Allgemeinen so von Countrymusik ködern lässt. Schnell weg hier und nein, liebe Kinder, hier trinken wir keine Bluna!
Und nun? Nun liegt das neue Album “Broken Hearted Blue” (VÖ war am 14.06. via Fluff & Gravy Records) von Jenny Don’t & The Spurs auf meinem Plattenteller. Und entweder bin ich über Nacht auch zum Sandalen-AfD’ler mutiert, oder aber Country kann auch anders. Ich kann euch beruhigen und versichern, zweiteres ist der Fall!
Ich denke auch nicht, dass Jenny Don’t & The Spurs eine Konföderiertenflagge zu irgendeinem Zweck benutzen (würden). Noch nicht einmal, um zu kokettieren. Viel zu rebellisch (nein, nicht so wie die Südstaatler damals), viel zu aufmüpfig und somit auch viel zu punkig kommt diese Version von Countrymusik daher und die Leute aus den Schrebergärten würden vermutlich nur mit der roten Birne auf dem dicken Hals schütteln, ja würden sie denn jemals in den Genuss von Jenny Don’t & The Spurs kommen. Ihren Spitz- und Künstlernamen hat sie schließlich auch nicht von ungefähr, habe sie sich doch schon immer gegen jegliche Form von Autorität aufgelehnt.
Dieser Link Wray-Charakter (und Stil), gepaart mit einer zuckersüßen und verschmitzten Popnote, die sich v.a. in ihrem Gesangsstil zwischen Jefferson Airplane (wenn’s ruhig wird) und Aretha Franklin (wenn’s inbrünstig wird) bewegt, setzt neue Maßstäbe im Kuhstall und das berühmte Johnny Cash-Stinkefingerphoto in den Schatten. Gleichzeitig schafft Jenny Don’t es aber bei all der Aufmüpfigkeit auch, dass es einem ganz warm ums Herz werden kann, wenn sie uns da “I wanna fall in love with you” im Titeltrack um die Ohren säuselt. Achtung Klischeedenken: ich denke weiterhin nicht, dass die AfD-Kolonie was mit so viel Gefühl bei gleichzeitigem Rotzfaktor anfangen könnte und dieser Gedanke beruhigt mich ungemein, heißt er übersetzt doch so viel, wie dass der Country nicht den falschen Leuten vorbehalten sein muss.
Dann kommt da noch “One More Night”, das (persönliche) Highlight unter den zehn Songs auf “Broken Hearted Blue”. Ein Gitarrenriff wie von The Blasters in ihrem From Dusk Till Dawn-Kulthit “Dark Night” und die Kleingärtner*Innen verwandeln sich instant in blutrünstige Vampire. Jetzt gibt’s erst recht keine Bluna mehr und spätestens an dieser Stelle des Albums ist der Beweis geliefert, dass Jenny Don’t & The Spurs aus der Garage und nicht aus dem Heustadel kommen. Wer sich bisher noch nicht an Countrymusik herangetraut hat, aus welchen Gründen auch immer, der/die hat mit “Broken Hearted Blue” von Jenny Don’t & The Spurs jetzt die (hoffentlich nicht) einmalige Gelegenheit, sich mit dieser Kunstform vertraut zu machen. Bei mir hat’s auch geklappt!
Das Album, wie gesagt auf dem Portlander Label Fluff & Gravy Records veröffentlicht, ist in verschiedenen Farbgebungen, aber auch auf schwarzem Vinyl erschienen und ist hierzulande u.a. bei JPC erhältlich.