Im Oktober 2023 erschien mit „Hackney Diamonds“ das 24. Studioalbum der Rolling Stones. Nach der blutarmen und nach Reißbrett klingenden Single „Living In A Ghost Town“ aus 2019 habe ich von den Dinos mal so gar nichts mehr erwartet. Außerdem war der wohl smoothste Drummer der R’n’R-Geschichte, Charlie Watts, bei erscheinen des Albums bereits seit gut zwei Jahren tot. Zwar ist er noch auf zwei Songs vertreten („Mess It Up“ und „Live By The Sword“), ansonsten wurde er aber von Steve Jordan an den Drums ersetzt. Und dann noch das! Zugegeben wenig motiviert nach Alternativen zu suchen, habe ich „Hackney Diamonds“ damals nur als zwar hübsche, jedoch sündhaft teure 10″-Version wahrgenommen. Drei Gründe also, mich mit den (meisten der) 23 anderen Stones-Alben zufrieden zu geben.
August 2024, zwei Tage bis zum England-Urlaub. Schnell noch kurz das übliche und notwendige an Drogeriemarktartikeln kaufen. Im Vorbeihuschen und mit einem Auge nehme ich die CD-Version von „Hackney Diamonds“ wahr. Schön im Digipack und für ein läppisches Zehntel des 10″-Preises. Eh schon euphorisch, nehme ich das gute Stück mit. Die Fahrt zum Bielefeld Englands, nach Swindon, ist lang und das Automobil verfügt über einen CD-Player.
Dezember 2024. Die Stones veröffentlichen passend zum Nikolaustag eine „2LP Anniversary Edition, Clear&Blue Splatter Vinyl“ von „Hackney Diamonds“. Dieses Mal auf 12″ und auch dieses Mal wunderhübsch und nobel aufgemacht. Logisch, so ein edles Teil hat auch dieses Mal seinen stolzen Preis, allerdings kann es mir alter Egosau dieses Mal relativ egal sein, bekomme ich das gute Stück dank meiner Tätigkeit hier frei Haus geliefert.
Spulen wir nochmal ein wenig zurück. Es lag nicht nur am tollen Urlaub bei und mit unseren englischen Freunden, dass „Hackney Diamonds“ von mir als grandios wahrgenommen wurde. Wenn „Let It Bleed“ und „Exile On Main St.“ auf der Stones-Skala die 10 für arschgeil und „Undercover“ und „Steel Wheels“ die 1 für überflüssig – diese Skala ist natürlich rein subjektiv und unterliegt keinerlei fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse – abbilden, dann steht „Hackney Diamonds“ bei einer 8! Den Stones ist ein spätes Meisterwerk gelungen und wem es ’23 bei erscheinen ähnlich erging wie mir, der/die sollte sich so langsam wirklich und ernsthaft um irgend eine Version des Albums kümmern.
Direkt schon der Opener „Angry“ sorgt mächtig für Wirbel und könnte als verlorener Sohn vom ’81er-Hit „Start Me Up“ gelten. Der Mainriff weist starke Ähnlichkeit auf, ohne dass man Plagiatsvorwürfe im eigenen Haus erheben kann. Das Solo klingt so angefangen, aber nicht zu Ende gedacht und genau derlei Attribute machen den unverwechselbaren Charme der Stones aus. „Get Close“ zeigt die sensible Seite der Stones und ist dennoch ein Rocker. Ähnlich verhält es sich mit „Depending On You“ auf Position 3. Und und und… Elf spitzenmäßige Eigenkompositionen samt Gastauftritt von Lady Gaga in „Sweet Sounds Of Heaven“ und ergänzt durch den „Rolling Stone Blues“ aus der Feder von Muddy Waters bilden zusammen ein Album, das wie eh und je mit an sich recht simplen Mitteln gemacht, diesen unverkennbaren und einmaligen Rolling Stones-Sound darstellt.
Die Rolling Stones – und ich spreche von ihrer Musik! – sind eine eigene Marke, was „Hackney Diamonds“ auch über 60 Jahre(!!) nach Gründung der Band eindrucksvoll unter Beweis stellt. Jagger zeigt sich in Topform und macht mit seinem Organ so einigen Jungspunden klar, wer der Chef ist. Zusammengefasst: die Band lebt und klar, da will man auch partizipieren. Neben der bereits erwähnten Lady Gaga spielt Stevie Wonder im selben Song Piano. Paul McCartney spielt Bass in „Bite My Head Off“ und Elton John spielt Piano in „Live By The Sword“.
Aber wem sag ich das und seid doch mal ehrlich: diejenigen unter euch, die es wissen wollen, wissen doch eh schon längst Bescheid. Alle, die sich für die Stones interessieren, haben doch schon längst reingelauscht, stimmt’s? „Hackney Diamonds“ ist geil, oder? Den Kauf dieser Version kann dann wohl nur noch das Bonusmaterial auf LP2 rechtfertigen. Bei diesem handelt es sich um einen Livemittschnitt des Stones-Konzerts am 19.10.2023 im Racket/NYC. Neben vier Songs vom neuen Album werden drei Evergreens („Shattered“, „Tumbling Dice“ und „Jumpin‘ Jack Flash“) in bester Soundqualität geboten. Ein bestens aufgelegter Mick Jagger führt durch das Programm und das Duett mit Lady Gaga in „Sweet Sounds Of Heaven“ klingt live noch inbrünstiger als auf der Studioversion. Ein tolles Zeitdokument, das zeigt, dass The Rolling Stones im mittlerweile doch recht fortgeschrittenen Alter immer noch heiß sind. Auf die nächsten 60 Jahre Stones! Das Livematerial rechtfertigt die Anschaffung dieser Version von „Hackney Diamonds“ auf jeden Fall, ob ihr das Geld in die Hand nehmen wollt, müsst ihr dennoch selber wissen.
Der Release ist z.B. bei jpc erhältlich.