Ja, um Swen Bock gibt es viele Mythen und wohl auch zu recht. Hab ich seine Kolumnen im Plastic Bomb geliebt und vergöttert in jungen Tagen gelesen, war er einer derjenigen Personen, die mich doch ganz schön zum Punk gebracht haben und mich über Dinge nachdenken lassen haben, die ich als junger Teenager bis dato nicht auf dem Schirm hatte. Dank Swen Bock gibt es den Plastic Bomb und somit eines der Fanzines, die es eben bis heute bei mir auf den Tisch schaffen. Tja, und wie es eben sein soll, habe ich 20 Jahre nach der ersten Kolumne nun Swen selber auch mal befragt. Unglaublich… hier könnt ihr nun das Ergebnis seiner persönlichen Vinylsünde, wie immer toll verpackt, nachlesen.
Boah, was habe ich mich gequält, eine Vinylsünde zu finden. Die einzige wirkliche Sünde, die ich im Schrank stehen habe und die die Kriterien der Sünde erfüllt, nämlich unverzeihbar zu sein, ist eine Platte von Skrewdriver. Die steht nicht nur im Schrank, sondern ab und zu, in Ausnahmemomenten, muss ich ‚I don’t like you’ hören. Natürlich hätte ich also die ‚All screwed up‘ von Skrewdriver nehmen können, aber erstens will ich nicht erklären müssen, warum das mit Sicherheit eine der geilsten Punkscheiben der Welt ist. Zweitens will ich mich nicht halbgar damit rausreden, dass Ian Stewart zwar der größte Scheißhaufen der Welt war, um dann mit endlosem Abern einfach nur die eigene Erbärmlichkeit zur Schau zu stellen. Drittens will ich auf keinen Fall, dass ein Foto von mir mit einer Skrewdriver-Platte durch das Netz geistert, das mir dann jahrelang um die Ohren fliegt, wenn ich auch mal was Sinnvolles von mir gebe. Reicht schon, dass ich der Faszination des Bösen zuweilen erlegen bin, was sich ungefähr für mich so anfühlt, wie wenn Till Lindemann das R rollt. Nun denn, sei zu meiner Ehrenrettung angeführt, dass es sich bei der Platte um ein Bootleg handelt, das ich in einem sonst ehrenwerten Punkladen Mitte der 90er kaufte. Sonst, muss ich sagen, habe ich Vinylsünden nur auf CD, wie zum Beispiel die überhaupt nicht lustige ‚Karaoke King‘ von El Duce (Mentors). Aber darüber reden wir, wenn die CD ihr Revival erlebt, die ich übrigens für den besseren Tonträger halte, denn es gibt viel weniger so einen Scheiß wie Singles.
Ich meine, wie oft muss man denn so besoffen sein, um zu Hause vor dem Plattenspieler zu liegen, um in Sentimentalität schwelgend Singles zu hören. Ständig muss man die umdrehen und wechseln. Entweder sie werden auf 33 oder 45 abgespielt, was man erst merkt, wenn sie läuft (Ist das ein Zufall?) Einfach grausam! Das hält mich natürlich nicht davon ab, mir sogar Singleboxen von den Säulenheiligen meiner kleinen Punkwelt zuzulegen. Klar, dass eine Singlebox von EA80 angeschafft werden muss, obwohl ich weiß, dass das Teil irgendwann bald auf LP oder, besser noch, auf CD rausgebracht wird. Ist übrigens großartig. Vor allem die Singles 7-9. Aber ganz durch habe ich sie nur zweimal gehört. Und jetzt steht sie rum und der weiße Karton verstaubt.
Und dann gibt es noch die Singleclubs von NOFX, die ich natürlich beide abonniert hatte. NOFX sind / waren immer so eine heilige Band für mich und tatsächlich haben wir satte 71 Tonträger von ihnen in der heimischen Sammlung. Und es gibt wirklich sehr wenige Enttäuschungen. Natürlich haben sie ihren Stil, den man langweilig finden kann, aber immer wenn ich bisher dachte, genug ist genug, kriegten sie die Kurve und erfanden sich selbst neu. Und mit dem ersten Singleclub legten sie auch einen unglaublichen Standard fest. Viele Songs waren schon in diesen Rohversionen Perlen, die dann später veredelt wurden. An Songs wie Oxymoronic konnte man gar den kreativen Schaffensprozess erkennen, der aus einem Rohrkrepierer einen echten Hit macht. Toll, für einen Fanboy wie mich genau das Richtige. Dabei war das Verhältnis zu ihnen immer auch ambivalent. Gerne hätte ich Fat Mike wirklich kennengelernt, aber die Gelegenheiten ließ ich verstreichen, weil mein Stolz dem entgegenstand. So blieb ich bei Backstage-Gelegenheiten oder den Punkrock-Bowling-Turnieren eher passiv in der Ecke und wartete darauf, dass er auf mich zukam, um mich anzusprechen: „Hey Swen, are you the Plastic Bomb guy?“. Genauso passiv verhielt ich mich, wenn meine Berliner Freunde oder Ex-Frau Nanette sich mit ihm unterhielten. Bloß nicht so beiläufig ins Gespräch einmischen, lieber darauf warten, dass er mich nach der zehnten Beinahe-Begegnung ansprechen würde. Passierte nie, obwohl ich angesichts seiner Drogen-Alkohol-Abstinenz-Geschichten immer eine echte Seelenverwandschaft spürte Das hätte er spüren müssen, der empathielose Arsch! Anyway, wollen wir hier keine alten Wunden aufreißen. Letzten Endes spannten NOFX immer genau den Bogen zwischen Blödsinn und absoluter Ernsthaftigkeit, der im Punk so selten zu finden ist. Es gefiel mir auch gut, dass sie jahrelang so gut wie keine Interviews gaben. Das änderte Fat Mike ja vor zwei Jahrzehnten. Weniger gut gefiel mir, dass er mich nicht anrief und fragte, ob ich das erste führen dürfte. Seitdem ist er ja oft im Plastic Bomb oder Ox zu finden und erzählt das, was ihm gerade durch den Kopf geht: Mal so, mal so! Aber ich führe die Interviews ja nicht: Da müsste er schon wirklich persönlich drum betteln. Wie hoch der Wahrheitsgehalt ist, hängt wohl vom Pegel ab. Lesenswert und nicht langweilig sind sie dennoch alle, genau wie das Hepatitis Bathtub Buch. Unfassbar aber scheinbar authentisch. Dagegen sind die Ramones, die einzige Band mit ähnlicher Wirkung, wirklich ein Langeweiler-Verein. Habe ich übrigens schon beiläufig erwähnt, dass ich mit ihm für das erste Plastic Bomb ein Interview machte?
Dann kam diese Cokie the Clown-Solo Geschichte oder dieses beschissene Musical von Fat Mike und er fing diese Crossdresser-Geschichte an. Die Liebe schien zu sterben und ich vermutete, dass es Fat Mike bald ebenso ergehen würde. Depression, Alkohol, Selbstüberschätzung und Drogen sind selten eine gute Kombination. Und begleitet wurde das durch den zweiten Singleclub von NOFX, der mir aber eher eine Fortsetzung der Sologeschäfte war. So schrammelte er sich durch unfassbar schlechte, traurige und fragmentarische Endlos-Schleifen. Schon beim bloßen Zuhören ertappte ich mich, wie ich mit dem Brotmesser am Bauchspeck ritzte. Fuck, das war das Ende. Bis auf zwei-drei Songs nichts, was nicht tausendfach gehört und nicht trotzdem ein trauriges Ende war. War denn da niemand in seiner Nähe, der ihm auch mal sagte, dass er vielleicht eine Therapie brauchte. Anscheinend nicht, denn so eine traurige Witzfigur hat immer noch so viele Freunde wie Koks im Haus.
Jetzt habe ich glücklicherweise im letzten Ox gelesen, dass er sich für ein halbes bis ganzes Jahr dazu entschlossen hat, dem Alkohol und den Drogen zu entsagen. Ähnliches hat er schon oft gesagt, aber musikalisch scheint er wieder die Kurve zu kriegen. Die neuen Songs klingen schon mal frischer, obwohl sie auch in der depressiven Phase entstanden sein sollen. Und natürlich ist das farbige Vinyl schon in den USA bestellt. Aber der zweite Singleclub ist wirklich eine unendlich traurige Angelegenheit, die fortan für immer alleine im Regal stehen bleiben wird, bis ich entweder Geldsorgen habe oder meine Erben sie als Sondermüll entsorgen. Übrigens zusammen dann mit der Skrewdriver, die ich ja nicht einmal verkaufen kann, weil Bootlegs ja im Gegensatz zu Naziplatten nicht bei Discogs verkauft werden dürfen.