Diesmal bei “Musik trifft Literatur” als Gesprächspartnerin zu Gast ist die Theaterschauspielerin, Autorin und Musikerin Marina Frenk, die vor allem mit ihrem musikalischen Schaffen aus dem bisherigen Rahmen bei Vinylkeks fällt. Klezmer, osteuropäische Volksmusik und elektronische Klänge sind Musikrichtungen, die hier bisher nicht viel Beachtung fanden. Marina Frenk schafft es, all diese Genres in verschiedenen Projekten zu vereinen.
Im Jahr 2020 erschien im Wagenbach Verlag ihr erster Roman “Ewig her und gar nicht wahr”, der die Themen Flucht, Heimat und Identität aus verschieden Positionen beleuchtet. Ein literarisch wirklich sehr gut gelungender Roman – inwieweit er auch autobiografisch ist, wird im Interview angesprochen.
Diesmal heisst es den Blick über den Tellerand zu wagen, denn es gibt viel zu entdecken. Viel Spaß bei diesem Interview, das ich vor einigen Wochen per Mail mit der auskunftfreudigen und philosophisch aufgelegten Marina geführt habe.
Marina, Du bist Schauspielerin, Musikerin und Autorin – alles Bereiche, in denen Arbeiten im Moment sehr schwierig ist. Wie geht es Dir damit?
Ja ich arbeite in allen drei Bereichen und das ist mein Fehler und auch mein Glück. Letzen Frühling entfiel sämtliche Theaterarbeit. Glücklicherweise gab es Ausfallhonorare, aber als freischaffende Schauspielerin habe ich auch dieses Jahr nicht viel Arbeit im Theater. Konzerte sind auch ausgefallen. Bücher kann man allerdings auch in der Pandemie lesen und trotz ausgefallener Leipziger Buchmesse hatte ich vor dem Lockdown noch Lesungen und auch im Herbst noch ziemlich viele nachträgliche Lesungen. Das Internet bietet die Möglichkeit, das Buch auch online kaufen zu können und das ist für die Situation ziemlich gut gelaufen. Im Herbst erscheint das Buch nochmal als Taschenbuch im btb Verlag, es geht also weiter. Durch meine vielen Standbeine bin ich tatsächlich unbeschadet und aus eigener Kraft durch die Krise gekommen.
Das nächste Buch arbeitet schon in mir und neue musikalische Projekte sind in Planung. Ein Stück, das ich momentan noch am Schauspielhaus Bochum habe, wird bald als Livestream gezeigt und wird – sobald wieder Theater möglich ist – auch weiter gespielt werden. Schade ist es um Stücke, die komplett nicht geprobt und nicht gespielt werden konnten wie zum Beispiel „Out of the Box“, das ich letzten Frühling in München bei den Festspielen an der Staatsoper gemacht hätte. Darauf hatte ich mich gefreut.
Du sagst, das nächste Buch arbeitet schon in dir. Wann hast Du mit dem Schreiben angefangen (also nicht das nächste Buch, sondern generell)? Gab es einen besonderen Moment, an dem Du gemerkt hast, dass Du den bisherigen Ausdrucksformen Musik und Schauspiel eine weitere hinzufügen willst?
Geschrieben habe ich eigentlich noch, bevor ich Musik und Theater gemacht habe. Ich erinnere mich, dass ich in der Grundschule sehr lange Geschichten geschrieben habe und auch das Lesen mich ganz schön einsaugen konnte. Ich erinnere mich da an eine Geschichte, die ich in der Grundschule vorgelesen habe, sie hieß „Das schwarze Phantom“. Dann habe ich angefangen, Klavier spielen zu lernen und wollte erstmal Musikerin werden, habe aber dann mit 15 das Theater entdeckt, die Schule geschmissen und bin mit 18 an die Schauspielschule gegangen.
Danach habe ich an unterschiedlichen Theatern in Deutschland gespielt und immer parallel auch für mich geschrieben. Für mich fängt das Schreiben nicht erst an, wenn der Stift aufs Papier kommt (oder der Finger an die Tastatur), sondern in Gedanken – wenn sich Fragen stellen, die man erstmal nicht ausspricht, und ein Prozess von innerem Fragen und Antworten beginnt, also bewusstes und unbewusstes Denken sich vermischen. Im Prinzip schreibt es sich von selbst permanent in Gedanken. Und irgendwann häufen sich dann schnipselweise Erkenntnisse an, deren Gewicht so groß wird, dass es Zeit ist sie aufzuschreiben um sie loszuwerden, um wieder Platz für Neues im inneren Raum zu schaffen. Für eine wertvolle Essenz in einem Roman muss es natürlich schon recht lang gegoren haben in einem, das tut es gerade. Und mal sehen, wann es genug ist, um wieder mit dem Aufschreiben zu beginnen.
Was ein gutes Zeichen ist, glaube ich, wenn man merkt, dass ein Thema sich herauskristallisiert und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen im Alltag oder nachts im Schlaf erkennbar zu einem zurückkommt – also eine bewusste Wiederholung stattfindet; sich das, was man versucht zu denken und auszudrücken einem aufdrängt. Im Moment ist dieses Thema „Sprache und Sprachlosigkeit“.
Wenn das Schreiben im Kopf beginnt, weißt Du direkt wofür Du das verwenden wirst? Also ob es ein Songtext wird oder eher als Idee für einen Roman taugt?
Das kommt ganz drauf an, ob ich es strukturell angehe oder völlig ohne Kontext beobachte, was mich beschäftigt. Letzte Woche haben wir mit The Disorientalists ein neues Projekt begonnen und da arbeiteten dann die gemeinsam besprochenen Ideen schon so bewusst in mir – also konkret die Inhalte -, dass sich ein neuer Songtext und auch eine Melodie ganz konkret dafür schnell ergeben haben. Da habe ich quasi „am Geländer“ gedacht, wenn man nach Hannah Arendt geht. Ich wusste, wir wollen eine Band wieder aufleben lassen, die es nie gegeben hat und deren Geschichte erzählen. Ich hatte konkrete Anhaltspunkte wie „displaced persons camp“, „Ende Zweiter Weltkrieg“, „Drei junge Menschen“,„Zionismus“ etc. und ein Song aus der Perspektive der weiblichen Figur formte sich sehr schnell.
Da wir sehr viel gelacht haben bei der „Bandprobe“ war mir die Art des Humors für das zukünftige Projekt auch sofort klar. Ich habe die Ironie gespürt und sie sofort musikalisch umgesetzt als eine Art
Tango/Schlager/Schnulze. Da war also aus dem Gespräch mit Daniel Kahn und Yuriy Gurzhy (Anmerkung des Redakteurs: die anderen Bandmitglieder von The Disorientalists) schon so viel da, dass ich assoziativ vorgegangen bin.
Mit einem Roman ist es, glaube ich, schwieriger. Da muss man sehr in die Tiefe abtauchen, auf das hören, was vom Alltag übertönt wird oder von Plänen, Zielen, von Ehrgeiz, von den sehr menschlichen Bedürfnissen, die jeder hat, oder auch einfach vom Radio. „Corona“ zum Beispiel übertönt gerade alles – was aus meiner Sicht fahrlässig ist, da noch sehr viel mehr auf der Welt geschieht, was dringend Aufmerksamkeit erfordert; bei den Flüchtlingen in Griechenland und Bosnien ist es immer noch sehr kalt beispielsweise und der Präsident in Belarus heißt nach wie vor Lukaschenko; ein beträchtlicher Teil der menschlichen Bevölkerung in Krisenländern kommt auf Grund von Corona-Beschränkungen nicht mehr an genügend Lebensmittel heran etc…
Ich denke, um wirklich wertvollen Stoff in sich zu finden, muss man es schaffen, die Kontrolle über die eigenen Gedanken aufzugeben. Manchmal lebt man zehn Jahre lang und ist sich sicher, man beschäftigt sich mit dem und dem und setzt seine Planungen um, verwirklicht sich, spezialisiert sich oder ähnliches. Dann gewinnt man aber Distanz zu dieser Zeit, hat sich verändert, merkt dass auch die Welt sich gewandelt hat, und versteht, dass man eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt war ohne es zu wissen. Ich nenne das „glückliches Scheitern“, was eigentlich das ganze Leben ausmacht.
Genauso ist es, glaube ich, mit dem Denken und Schreiben. Ich denke, ich sehe klar vor mir, was ich erzählen will – nichts ist einfacher als es in klaren Worten auszudrücken -, aber wenn ich es am nächsten Tag lese, hat sich wieder etwas verändert. Die Geschichte war schneller als ich und ich muss auffangen, was durch die Lücken sickert, um wirklich dicht und genau zu erzählen, ich brauche immer mehr Worte dafür, sie müssen immer genauer werden um am Ende vielleicht doch 50 Prozent davon zu streichen. Dabei kehrt aber das Thema immer wieder zu mir zurück wie oben beschrieben. Der Inhalt scheint also starr zu sein, wandelt sich aber gleichzeitig so schnell, dass ich kaum hinterher komme, ist lebendig. Das müssen die Buchstaben erstmal auffangen können, die Gedanken es fassen – wie bei einem Kind, das in einem halben Jahr schon kaum wiederzuerkennen ist und zu dem wird, was es will und muss oder so. Das kann ich mir nur machtlos anschauen.
Mit dem Schreiben ist es dasselbe. Ich zumindest empfinde das so, bewundere aber auch sehr Menschen, die zum Beispiel Genre-Literatur schreiben können oder dramaturgisch richtig gut sind. Ich glaube weder an Chronologie noch an Dramaturgie bzw. kann sie nicht folgerichtig umsetzen.
Du sagst, deine neue Romanidee hat das Thema Sprache und Sprachlosigkeit, Dein erster Roman behandelte – unter anderem – Herkunft und Identität. Eine thematische Fortsetzung ist zu erkennen, oder?
Das kann man so interpretieren – aber für eine Interpretation ist noch zu wenig geschrieben. Sprache ist ja nichts, was nur Menschen etwas angeht, die aus einem Land in ein anderes emigrieren. Sprache ist etwas zutiefst menschliches, einzigartig menschliches.
Wann fängt ein Mensch an zu sprechen und warum überhaupt? Wieso entscheidet sich jemand nicht mehr zu sprechen oder kann es einfach nicht mehr? Wie ist ein Leben ohne die Fähigkeit zu sprechen aber zu hören? Oder andersherum? Kann ein Mensch lieben ohne sich mitzuteilen? Worin liegt die Chance eines Gespräches? Kann ein Gespräch wirklich etwas verändern? Sind Selbstgespräche natürlich oder verrückt? Kann ein Mensch überleben mit einem einzigen Gesprächspartner – nur sich selbst? Warum sind Worte durchsichtig und trotzdem folgenschwer? Sind Worte Friedensstifter? Warum kann Sprache manipulieren? Wann in einem Gespräch sind wir wirklich ehrlich? Warum begreifen und verstehen wir, wenn wir sprechen? Ist dasselbe möglich ohne zu sprechen?
Es wird wahrscheinlich eine Hauptfigur geben, die belastet ist von diesen Problematiken. In diesem Fall wird die Erzählung also denke ich psychologischer werden als „ewig her und gar nicht wahr“. Aber wer weiß, im Vorhinein kann ich das nicht wissen. Man kann nicht wirklich in jemanden hinein sehen, der gar nicht spricht. Es könnten also auch lauter weiße Blätter werden. Abstraktes Schreiben ohne Wörter und Buchstaben, ein Notizheft zum selber rein schreiben. So kann sich jeder selbst überlegen, was er wirklich sagen möchte und ob das überhaupt sein muss. Und schreiben ist ja auch noch nicht sprechen. Es ist sprechen im geschützten Raum ohne Antworten eines Gegenübers, höchstens der Lektor gibt dann am Ende seinen Senf dazu. Ein richtiges Gespräch mit einem anderen Menschen führen ist kühn, finde ich, birgt Risiken und ist die einzige Chance nicht zu vereinsamen. Sprechen ist pures Leben, aufregend!
Und welche Bedeutung hat die Sprache bei der Musik? Du singst russisch, englisch und auf Deutsch. Hängt die Wahl der Sprache von dem ab, was Du vermitteln willst?
Sprache ist etwas zufälliges. Die Band Kapelsky hat es auch vor mir schon gegeben und sie haben nach einer Sängerin gesucht, die authentisch in osteuropäischen Sprachen singen kann. Auf Englisch singe ich eigentlich nur mit, wenn jemand anderes den Song schreibt – bei The Disorientalists zum Beispiel. Ich verstehe Englisch und spreche es auch okay. Aber ich habe überhaupt keine Bindung an diese Sprache, es zieht mich einfach nicht, einen Song auf Englisch zu schreiben. LEIK EICK hatte ganz bewusst die Entscheidung getroffen deutsche Lyrik neu zu vertonen, dazu gehörten Dichter wie Rilke, Kaleko, Celan (der ja auf Deutsch schrieb!) oder sogar Lessing. Auch einige eigene Texte waren dabei und die waren auf ganz natürliche Weise auf Deutsch.
Deutsch ist einerseits meine zweite Muttersprache geworden, weil ich schon so lange hier lebe, andererseits finde ich deutsch für Musik auch besonders interessant. Deutsch ist sperrig, unschön, nicht melodisch, verkopft, hart (so empfinde ich es). Aber es ist auch eine sehr „kluge“ Sprache. Ich würde tatsächlich dieses Adjektiv benutzen, weil man im Deutschen komplizierte Zusammenhänge besonders detailliert, schon fast akribisch darstellen kann. Das geht höchstwahrscheinlich mit vielen Sprachen, aber ich empfinde es insbesondere im Deutschen so.
Russisch dagegen ist einerseits fließend und weich, andererseits voller Stolpersteine und Feinheiten und auch „intelligent“. Jetzt ist die spannende Frage: Wo liegt der Unterschied zwischen intelligent und klug? Das darf dann hier jeder selbst beantworten.
Englisch ist leicht. Das ist das Tolle am Englischen. Aus meiner subjektiven Sicht heraus aber auch uninteressant. Macht man das Radio an, ist fast alles englisch. Ich glaube, nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutsch seinen Reiz als Singsprache verloren. Es war einfach nicht in, schon fast unanständig. Es gab natürlich Singer-Songwriter, die auf Deutsch gesungen haben, aber die kann man an der Hand abzählen. Warum eigentlich? Ich denke, man sollte Sprachen nicht diskriminieren. Hitler hat Deutsch nicht erfunden.
Die Disorientalists werden von der Presse als Klezmer-Rock bezeichnet. Nun ist der*dem gemeinen Vinyl-Keks-Leser*in vielleicht Klezmer nicht so geläufig. Magst Du ein bisschen erzählen: Welche Geschichte steckt in Klezmer, was bedeutet er für Dich?
Klezmer ist eine aus dem aschkenasischem Judentum stammende Volksmusiktradition. Ich bin überhaupt nicht bewandert darin, habe nur ein angeborenes Gefühl für „solche“ Musik, wie auch für osteuropäische Musik oder Sinti-Roma-Musik. The Disorientalists ist ein musikalisches Projekt, szenisch umgesetzt im Stil eines Cabaret/Singer/Songwriting-Programm über Essad Bey, das am Gorki Theater entstanden ist. Tom Reiss hatte eine Biographie über Essad Bey, einen Schriftsteller, der eine sehr verquere Lebensgeschichte hatte, geschrieben. Er war Jude, ist zum Islam konvertiert, hat die russische Revolution erlebt, in Konstantinopel, Berlin und Italien gelebt, merkwürdige Romane verfasst, Mussolini gehuldigt, und war irgendwie alles und niemand. Über ihn und sein Leben sowie sämtliche historische Bezüge, die dazu gehören, haben wir einen Musikabend entwickelt.
Musikalisch hat das ganze mit „jüdischen“ Klängen – also irgendwie auch Klezmer, Balladen und Pop-Songs – zu tun. Meine Lieder sind auf Deutsch und ich habe sie „Wikipedia Songs“ genannt, da ich darin auf unpoetische Weise historische Daten verarbeite. Die anderen beiden Musiker haben wesentlich elegantere Texte geschrieben, die man auch wirklich als Songs bezeichnen kann. Eine Klezmer-Band ist das aber definitiv nicht.
Mit der Band Kapelsky, mit der ich lange gespielt habe, haben wir osteuropäische Volkslieder gespielt, Sinti-und-Roma-Klassiker interpretiert und auch Popsongs von Britney Spears oder den Beatles zum Beispiel mit osteuropäischem Augenzwinkern und mit russischen Übersetzungen von mir gecovert. Momentan arbeitet die Band mit Tamara Lukasheva, die dieses Jahr den WDR Jazz Preis bekommen hat, da ich aus zeitlichen Gründen nicht mehr dabei sein konnte.
LEIK EICK hat ausschließlich mit deutscher Lyrik gearbeitet und auch Theaterabende wie die „Metamorphosen“ nach Ovid am Schauspielhaus Bochum gemacht. Ich habe also vieles ausprobiert in den letzten Jahren, betrachte mich selbst aber nicht als professionelle Musikerin. In dem was ich mache verfließen aber meistens die Grenzen und ich schaue einfach was ich als Nächstes machen möchte. Ich achte auch auf menschliche Begegnungen mit anderen Künstlern. Mich in sehr festgezurrten Rahmen zu bewegen fällt mir schwer. Die Kunst ist groß und frei.
Die Tradition von Klezmer, der jüdischen Volksmusik, aber auch die der von dir erwähnten Musik der Sinti und Roma, drohte im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch den Holocaust ausgelöscht zu werden. Inwieweit ist dieses Wiederspielen, diese Wiederverwendung der traditionellen Elemente ein politischer Akt für Dich?
Das kann man von außen als politischen Akt lesen – aber ich selbst mag diese Musik nicht aus politischen Gründen. Ich lebe schon sehr lange in Deutschland und habe mich auch selbst mal gewundert, wieso es mich innerlich zu dieser Musik zieht, wieso ich sie emotional verstehe. Bei uns zu Hause wurde nicht viel Musik gehört, also meine Familie kann mich nicht geprägt haben. Wahrscheinlich ist es meine russische Muttersprache, die mich zu osteuropäischen Volksliedern zieht, da sich die Sprachmelodie vieler osteuropäischer Sprachen ähneln. Und wahrscheinlich ist es das Deutsche, was mich zu jiddischen Liedern zieht.
In unserer Familie haben nur die Großeltern Jiddisch gesprochen. Sie leben aber in Israel und ich habe sie nicht oft gesehen, mein Vater kann nur ein paar Fetzen Jiddisch. Und trotzdem ist mir beim anhören der Berry Sisters zum Beispiel schon sehr früh aufgefallen, wie Deutsch dem Jiddischen ähnelt. Es hat also auch wieder alles mit Sprache zu tun. Ich spüre aber auch unbewusst den Witz, das Elegische, das Tieftraurige, und auch einfach die emotionale Logik dieser Musiken, das muss dann doch unbewusst über Generationen übertragen worden sein und irgendwo in mir verankert sein.
Mit Politik hat das für mich innerlich nichts zu tun, von außen kann es aber so betrachtet werden.
Du machst ja ganz unterschiedliche Musik, von Volksliedern über Rap bis zu Elektro ist da alles vertreten. Wenn es nicht Dein Elternhaus war, was Dich geprägt hat, was war es dann? Gab es einen Auslöser in Form einer*eines Künstler*in oder Stils, der Dir den Zugang zur Musik nahegebracht hat?
Ich habe mekrwürdigerweise zu allem was ich mache völlig selbtsändig gefunden, da ich aus einer absolut unkünstlerischen Familie komme. Musik ging mir immer schon direkt ins Blut. Rhythmus und Klänge sind eine ganz eigene Sprache, die ich verstehe. Ich habe in vielen meiner Performances auch getanzt und bin generell im Schauspiel auch oft körperlich aus mir herausgegangen, weil ich Kanäle gesucht habe, die anders funtionieren als die bloße Konverstation. Das Schwierigste bleibt aber meiner Meinung nach der Versuch, das was in einem vorgeht, in Worte zu fassen. Ich bin einfach musikalisch auf die Welt gekommen, würde ich sagen.
Inspirationen gehen bei mir aber total wild durcheinander, von russischen Singer-Songwriterinnen wie Zhanna Bitschewskaja oder Bulat Okudzhawa aus der frühesten Kindheit (wenn meine Eltern etwas angehört haben, dann Kassetten mit dieser Musik), bis hin zu Mariah Carey und ABBA in der Pubertät, sowie Beatles, Eliott Smith oder Red Hot Chili Peppers oder Nina Simone, die mich mein Leben lang verfolgt. Hinzu kommen aber auch russischen Rock-Legenden wie Auktyon oder etwas völlig Unbeschreibliches wie Psoy Korolenko, aber auch Depeche Mode, J.S.Bach, Goran Bregovic und Michelle Gurevich gehören dazu, Johnny Cash, Nils Frahm, Zemfira und Leningrad, Tshish & Co und sehr viele andere. Also wilder durcheinander geht es eigentlich nicht. So sieht mein ganzes Leben aus, glaube ich.
Ist Dein Literaturgeschmack ähnlich bunt aufgestellt? Was hat Dich da beeindruckt und beeinflusst?
Der erste Roman, den ich wirklich bewusst gelesen habe mit 13 Jahren, war „Schuld und Sühne“ von Dostojewski. Dieser Autor beschäftigt mich mein Leben lang. Seine Gedankengänge und Erzählweise haben etwas Manisches, unglaublich Tiefes, psychologisch dermaßen Feines und Verzweifeltes, dass ich jedes Mal beinahe krank werde bei der Lektüre. Da hat mein Leseleben begonnen würde ich sagen. Danach hat mich sehr vieles beeinflusst: Robert Schneider, Zeruya Shalev, Paul Auster, Siri Hustvedt, Platon, Hannah Arendt, Swetlana Alexijewitsch, Hertha Müller, Milan Kundera, Haruki Murakami, Paul Celan, Sartre, Ingeborg Bachmann, Andrzey Sczipiorski, John Lanchester, Joseph Roth, Carolin Emke, zuletzt Tristan Garcia, Maya Angelou, Milena Michiko Flasar und Benedict Wells, auch Max Czollek und Sasha Marianna Salzmann, Heiner Müller und Coetzee.
Da sind wirklich tolle Autor*innen dabei, die total unterschiedlich sind. Trotzdem meine ich eine gewisse Ernsthaftigkeit bei allen gennannten Autor*innen als Gemeinsamkeit zu erkennen. Du wirkst eigentlich wie eine lebenslustige Person, ist diese Ernsthaftigkeit auch in Dir zu finden? Ist dies Deiner Meinung nach überhaupt ein Gegensatz?
Ich weiss nicht, ob du mein Buch gelesen hast – aber es gehört zu den ernsthaften würde ich sagen. Ich bin ein sehr ernsthafter Mensch, sollte öfter lachen. Ich kann aber auch extrem lustig sein, im Theater würde man sagen ich habe ein komisches Talent. Meine Solo Performance “Valeska Gert – The Animal Show” am Gorki war enorm lustig, der Saal hat sich nicht mehr eingekriegt, aber auch sehr schwarzhumorig. Schwarzer Humor ist mir der vertrauteste. Und, nein Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit sind kein Widerspruch, sie sind das Leben.
Dostojewski hat irgendwo geschrieben, der Mensch braucht um glücklich zu sein genauso viel Glück wie Unglück. Eine paradoxe Aussage, die ich immer besser verstehe je älter ich werde. Ich erinnere mich, vor 15 Jahren ist der Satz in meinem Bewusstsein kleben geblieben für immer und ich habe ihn hin und her gedreht wie so einen Würfel mit Farben, wo man die gleich Farbe suchen muss und immerzu drehen bis es passt – einer von diesen nervigen Würfeln -, aber ich habe ums Verrecken nicht verstanden was der Mann meint. Ich wusste aber sofort, es stimmt. Haha.
Natürlich hab ich Dein Buch gelesen und die Ernsthaftigkeit durchaus erkannt. Und auch wenn es stark autobiografisch geprägt ist, besteht ja trotzdem die Möglichkeit, dass fiktive Elemente eingebaut sind. Bei deiner (Live)-Musik wirkst Du aber sehr beschwingt, auch wenn es keine leichten Themen sind. Ist das ein Unterschied zum Schauspielern, dass Form und Inhalt nicht zusammenpassen müssen? Dass Du beim Livemusikspielen einfach Du selbst sein kannst?
Das Buch ist wirklich nur bedingt autobiografisch geprägt. 50 Prozent sind fiktiv und die meisten Situationen wie sie da drin stehen genau so nie passiert. Was die Geographie angeht – also Moldawien und alle anderen Orte, die vorkommen – ist es an Erlebtes angelehnt, aber die Vergangenheitsstränge wie auch die Traum- und Visionspassagen sind fiktiv. Die Protagonistin Kira weiß ja nichts genaues über ihre Vorfahren, sie versucht Vergangenheit und Gegenwart zusammenzukriegen und es entsteht eine Art Interpretation. Also eine Autobiografie ist es auf gar keinen Fall.
Ich selbst bin mir „beschwingt“ selbst nicht am authentischsten. Schreiben hat für mich genauso viel mit Spaß zu tun wie Musik machen oder schauspielern. Es sind nur alles unterschiedliche Prozesse. Ernsthaft bin ich glaub ich in allem oder ich kehre immer wieder dorthin zurück.
Ich mag es sehr gerne, wenn meine Gesprächspartner*innen mir ihre derzeitige Musik- und Literaturvorlieben mitteilen. Was hat Dich im letzten halben Jahr richtig vom Hocker gehauen? Welche Musik, welches Buch sollte ich mir nicht entgehen lassen?
Ich habe in der letzen Zeit hauptsächlich wieder und wieder Nina Simone angehört, was keine Neuheit ist leider. Literarisch sehr beeindruckt haben mich in letzter Zeit Maya Angelou, Tristan Garcia, Milena Michiko Flasar und Haruki Murakami.
Hast Du ein Lieblingsmedium zum Hören? LP, CD, Download oder Stream? Und wie sieht es beim Lesen aus? Gedrucktes Buch oder Ebook?
Ich lade Musik runter oder höre CD. Ebook ist nicht mein Ding. Ich halte lieber ein Buch in der Hand und rieche es, mache Eselsohren und streife direkt den Coverumschlag ab, damit er mir nicht knickt im Rucksack, wenn ich unterwegs bin.
Vielen Dank für das tolle Interview!