Distemper, die wahrscheinlich weltweit umtriebigste Band ihres Genres, ist zurück. Oder war nie wirklich weg. 1989 in Moskau gegründet, tourte und veröffentlichte die Ska-Punk-Institution kontinuierlich und mit “Pure Souls” erschien bereits vergangenes Jahr ihr 16tes Studioalbum, hierzulande auf – wie könnte es auch anders sein – 1000 Travels To Noise Records. Daneben gibt es noch eine schier unüberschaubare Anzahl an Splits, EPs, Singles, Compilations. Und so ganz nebenbei gelten Distemper inzwischen als Russlands international erfolgreichste Band.
Kenner:innen der Materie bedarf es neben der einleitenden Worte wahrscheinlich eh keiner weiteren Vorstellung des Sextetts. Alle anderen können sich nunmehr zumindest und hoffentlich vorstellen, dass sie es hier mit allem, nur nicht mit Stümpern zu tun haben. Distemper verstehen ihr Handwerk definitiv und liefern auf “Pure Souls” zehnmal solide Offbeat – Kost ab. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Will heißen, das Rad wird hier zwar auch nicht mehr neu erfunden, dreht sich aber erfreulicherweise munter weiter. Und Achtung, weil eben noch nicht genug, gibt es noch ‘nen Kreuzer für das Phrasenschwein: Distemper brauchen sich hinter Szenegrößen wie den Mighty Mighty Bosstones, Less Than Jake oder The Pietasters nicht zu verstecken.
Um ehrlich zu sein, laufen sie mit “Pure Souls” so manch müde gewordener Ska-Kapelle sogar locker den Rang ab. Hier wird weiterhin alles zur Verfügung stehende Herzblut in die Musik gesteckt. Das Album sprüht vor Energie und Enthusiasmus, sogar in den eher ruhigen Momenten, wie “Weeds From The Battlefield”. Der von Sänger Dacent auf Russisch intonierte und in bester Dicky Barrett-Manier vorgetragene Gesang erzeugt gefühlt zusätzlich Partylaune. Und dann lasst euch bitte folgende wunderschöne Metapher aus “Pure Souls” auf der Zunge zergehen: “If you tell the fish, that live under water about the happy birds living in the sky, joy will turn into trouble. People need to believe in fiction.” Distemper stehen mit beiden Beinen auf dem Boden und haben gleichzeitig Visionen.
Aber Moment mal, Gesang auf Russisch, der olle Riedinger nicht aus der Zone?! Woher zum Henker weiß der Klugscheißer denn plötzlich, was Distemper uns hier verklickern wollen? Keine Sorge, meine Lieben, ich hab keinen VHS-Russisch-Crashkurs belegt. Ich war auch nicht mit Putin auf Truppeninspektion im Grenzgebiet. Muss man doch auch gar nicht, solange uns Distemper und 1000 Travels To Noise die feine Platte gleich noch mit feinem Faltblatt liefern, auf welchem sämtliche Texte auch ins Englische übersetzt wurden. Einmal mehr der Beweis, dass keine Mühen gescheut wurden, um ein einwandfreies Produkt anbieten zu können. Ihr wisst schon, Herzblut. Viel Herzblut!
Die Platte dann in drei verschiedenen Variationen: Black, Black/Gold und Yellow. Dürfte also für jede*n was dabei sein. Empfehlung, mindestens für alle Genrefans, war (glaub’ ich) eh schon klar rauszulesen. Vorne drauf dann noch das Maskottchen von Distemper, der “Verrückte Hund” mit zwei seiner fiesen Kumpel wie sie godzillamäßig dem personifizierten Bösen (Bullen, Religionsvertretern, Politikern, undundund) dieser Welt Beine machen. Hach, wenn’s doch nur wahr wäre. Aber denkt dran und denkt an Distemper: bewahrt euch eure Visionen. Und legt euch “Pure Souls” zu. Am besten direkt bei 1000 Travels To Noise.