Als ich diese Platte vor kurzem zum ersten Mal in meinen Händen hielt, war mir nicht ansatzweise bewusst, auf was für eine Reise mich dieses Album führen würde. Nicht erst seit gestern liegt diese bunte Scheibe hier bei mir und wartet darauf besprochen zu werden. Auf dem Weg dahin durfte ich aber weitaus mehr als „nur“ die Musik entdecken. Red Pill heißt das zweite Studioalbum, welches Roland Meyer de Voltaire im Zuge seines Soloprojektes SCHWARZ am 15. September 2023 veröffentlicht hat.
Wer in der Suchmaschine seiner Wahl nach dem Wort „Schwarz“ sucht, wird mitunter viele Vorschläge bekommen, aber ohne weiteren Kontext wohl nur wenige vom hier erwähnten Künstler. Das dies aber keineswegs an einer vermeintlichen „Unbekanntheit“ des Sängers liegt, durfte ich schnell feststellen. Roland Meyer de Voltaire könnte man bereits als alten Hasen im Musikgeschäft bezeichnen. Mit seiner Indie-Rock-Band namens Voltaire durfte er schon in den frühen 2000er-Jahren die Bühnen bespielen. In einer Zeit, wo Bands wie Wir Sind Helden oder die Madsen große Bekanntheit erlangten, durften auch die Jungs von Voltaire die Erfahrung machen, wie attraktiv und zugleich hart das Musikbusiness doch sein kann. Man bezeichnete sie als die deutschen Radiohead, wenngleich trotz hoher Erwartungen und vieler Fans der richtig große kommerzielle Erfolg ausblieb. All das sorgte letztlich auch dafür, dass nach einer EP und zwei Alben im Jahr 2010 Schluss war.
Roland Meyer de Voltaire ist aber mehr als nur Voltaire. Für den jungen Multiinstrumentalisten war schnell klar, dass er sich weiterhin voll und ganz der Musik widmen muss, um seine Bestimmung zu verwirklichen. So zog er nach Berlin und arbeitete dort gemeinsam mit neuen KünstlerInnen und MusikerInnen an neuen Richtungen und startete so nach und nach seinen ganz eigenen musikalischen Neuanfang. Gefilmt wurde diese Zeit in der von Aljoscha Pause produzierten fünfteiligen Dokumentationsserie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“, welche ich an dieser Stelle bereits empfehlen möchte. Wen nicht nur die Musik, sondern auch der Mensch hinter dem Künstler SCHWARZ interessiert, der wird eigentlich nicht umher kommen, sich auch diese sehr ehrliche und auf eine eigene Art unterhaltsame Dokureihe anzugucken.
Nun aber genug vom drum herum, was erwartet einen denn nun, wenn man Red Pill auflegt? Musikalisch eine Mischung aus sanftem Indie und experimentellem Electro Pop. Aufregende Synthesizer, cleane Gitarrenriffs und besonders viele atmosphärische Klänge lassen dieses Album musikalisch aufgehen. SCHWARZ hat mit Red Pill gezeigt, dass es nicht immer aufwendigere Akkordstrukturen braucht, um einzigartige Musik zu komponieren. Ganz nach dem Motto, wir müssen das Rad nicht neu erfinden, würde ich sogar sagen, es tut dem Stil von SCHWARZ gut, dass die Grundkompositionen einfach gehalten sind. Dadurch kommen dann die vielen Klänge und einzigartigen Sounds erst so richtig zur Geltung, ohne dass man sich an komplexen Rhythmen oder prunkvollen Akkordwechseln aufhält.
Inhaltlich nimmt uns Voltaire mit auf eine Reise voller Selbstreflexion und Melancholie. Gesellschaftskritik, soziale Ängste, aber auch die Liebe stehen im Mittelpunkt. Auch die seelischen Umstände, die wir alle während und nach der Pandemie erleben mussten, haben die Songs teilweise beeinflusst. Während bereits die Band Voltaire für ihre einzigartigen und spektakulären Texte hoch gelobt wurde, sind auch auf dieser Platte die Einflüsse wiederzuerkennen. Im Kontrast zum deutschen Künstlertitel sind die Songs von SCHWARZ alle auf englisch. Eine Entscheidung, die auch dazu beiträgt, sich weiter von der Vergangenheit mit Voltaire zu distanzieren. Ohnehin ist der Alias SCHWARZ spannend gewählt. Wie eingangs erwähnt, bleibt dieser Name ohne weiteren Kontext wohl nur einer von vielen. Erst wenn man sich tiefer mit dem Thema und der Musik beschäftigt, erkennt man die Individualität und Einzigartigkeit dieser Geschichte. Es verblüfft mich schon ein wenig, wie es sein kann, dass ein Künstler, der so viel Talent, Leidenschaft, Kreativität und Motivation besitzt, so viele Jahre „wie ein fremder“ in der Musikbranche wahrgenommen wurde.
Die Songs sind gut aufeinander abgestimmt und haben in Summe mit knapp 40 Minuten eine angenehme Spiellänge. Voltaires Stimme, die mich immer wieder ein wenig an Jochen Distelmeyer von Blumfeld erinnert, trägt gezielt zum Wiedererkennungswert bei. Ich erlebe SCHWARZ auf dieser Platte als einen selbstbewussten und aufstrebenden Künstler, der schon einiges erlebt hat und demnach endlich weiß, was er möchte. Eine emotionale und sehr spannende Geschichte, die ich (wenn nicht schon bereits passiert) an dieser Stelle gerne weiterempfehlen möchte. Die Platte kommt in einem kräftig blauen Vinyl und wurde über Styleheads Music veröffentlicht. Aktuell ist das Album bei SCHWARZ im offiziellen Shop zu haben.
Viel Spaß beim Hören!
Jan