Stuttgart, 17.07.2024. Gezwungenermaßen, also beruflich, fahre ich an diesem Tag durch’s Stuttgarter Umland. Egal in welchen Radiosender ich zappe, von SWR 1 bis zu Die Neue 107.7, es gibt heute nur ein Thema: Stuttgart erwartet heute sein größtes Konzert ever, ausgetragen von der wohl größten Rockband ever… und sehr zu meinem Leidwesen wohl auch so teuer wie nie zuvor. Die (Live)berichterstattungen und die zu Wort kommenden Fans überschlagen sich in ihren Ausführungen und mit fortschreitender Tageszeit werden die positiven Superlativen auch um ein paar negative ergänzt. Die Straßen rund um den Wasen sind gesperrt, der Verkehr ist kurz vor dem Kollabieren, die Bahnen sind überfüllt undundund. Klar, 90.000 Leute, die wollen bewältigt werden.
AC/DC sind zu Gast, im Gepäck The Pretty Reckless. Überall wird gemunkelt, das sei doch bestimmt ihre letzte Tour, die sind doch schon viel zu alt, die machen das doch eh nur noch wegen dem Geld… Was man im Vorfeld so an Bildzeitungslesender Meinung aufschnappt, klingt nicht unbedingt nur positiv. Und doch, das Ding ist restlos ausverkauft und Bon Jovi nochmal um schlappe 10.000 Gäste übertrumpft.
Nun also das Argument mit dem Geld. Da kann ich nur mutmaßen, bin mir aber dennoch sehr sicher, dass der älteste Schuljunge der Welt und sein reisender Seniorentrupp auf das Geldverdienen nicht mehr angewiesen ist. Wie Angus McKinnon Young auf seine unschlagbar lakonische Art schon zur Veröffentlichung des letzten Albums “Power Up” einem kritischen Schreiberling im Interview zu Protokoll gab: “Ich spiele halt gerne die Gitarre. Das ist alles.” Tatsächlich überwiegt bei der Band auch nach 50 Jahren Bühnenpräsenz der Spaß am Musik machen alles andere. Ich fühle mich in meiner – zugegebenermaßen die eines treu ergebenen Fans – Meinung durch keine geringere als durch meine Frau bestätigt. Diese hat es ja eigentlich eher mit Lou Reed oder auch Ton Steine Scherben und schenkte den Aussies bisher wenig bis kein Interesse. Fragt mich jetzt bitte nicht, wie wir je zusammenfinden konnten, hahaha?!
Jedenfalls wurde der Besuch des AC/DC-Konzerts als Familienausflug geplant. Neben meinem Sohn, der zwar glühender Anhänger, aber halt auch erst 2 Jahre alt ist, waren sie alle dabei: Tochter (6 Jahre und somit grade so zugangsberechtigt), Oma, Opa, Frau und ich. Fragt jetzt bitte nicht, was das gekostet hat und sowieso schweife ich gerade ab. Zurück zu meiner Frau und ihrer absolut korrekten Beobachtung. Demnach habe es sie sehr beeindruckt, welchen spürbaren und ersichtlichen Spaß diese alten Männer da auf der Bühne gehabt hätten. Ja, auch ich habe das nicht anders beobachtet. Die Band zeigt sich zwar nicht mehr in Toppform, aber die augenzwinkernde Kommunikation und das verschmitzte Grinsen der Bandmitglieder untereinander, diese spürbar intakte, weil von der Musik getragene Kommunikation der fünf Musiker, die eigentlich sehr intim stattfindet und doch mit 90.000 Menschen geteilt wird. AC/DC haben Spaß und fühlen sich wohl in Stuttgart. Ihr Auftreten ist ehrlich und aufrichtig und hier ist nichts gespielt. Das ist womöglich die beeindruckendste Erkenntnis des Abends und so manch junge*r Musiker*In sollte sich meiner Meinung nach ein Beispiel daran nehmen, dass kommerzieller Erfolg und das Streben danach nicht die Antriebsfeder für das Musizieren sein sollte, auch wenn bei AC/DC sich natürlich beides perfekt zusammengefügt hat.
Zur Form: die für die “Power Up-Tour” neu zusammengestellte Rhythmusfraktion um Chris Chaney (Jane’s Addiction, Alanis Morissette) am Bass und Matt Laug (Alanis Morissette, Alice Cooper, Slash’s Snakepit) an den Drums zockt das Ding sauber runter. Das sind Profis, eindeutig. Angus’ Neffe Stevie Young an der Rhythmusgitarre hat sich seinen Platz in der Band ja eh schon seit längerem erspielt und liefert auch eine solide Partie ab. Das Hauptaugenmerk liegt sowieso – und auch da sind AC/DC halt nun mal zuverlässiger zu händeln als die DB – auf Brian Johnson am Mikro und Angus Young an der Leadgitarre. Der eine, inzwischen bald 77 Jahre alt, mag nicht mehr so ganz jeden Ton treffen und speziell an den Stellen, an denen früher noch ein inbrünstiges Yeeaaaaahhh! oder auch Fiiirreeeee! geraunzt wurde, kommt heute manchmal nur noch ein vergleichsweise laues Lüftchen. Aber hey: unsereins muss erst mal 77 werden, bei vergleichbarem Tabakkonsumverhalten. Der andere, 69 Jahre jung, verzockt sich gerne mal öfters als früher und speziell beim obligatorischen Soloimprovisationsteil in “Let There Be Rock” stelle ich schmerz- und scherzhaft fest, dass auch Angus schon besser war und ein zunehmend unsaubereres Spiel vielleicht mit zunehmendem Alter zu tun haben könnte. Eines aber ist klar – und auch da habe ich schon Verschwörungstheorien ertragen müssen: diese Band spielt live und hier ist nichts, aber auch gar nichts gefaked! Und auch für Angus gilt, dass manche in seinem Alter mit ihren gichtgebeutelten Gelenken noch nicht mal mehr in der Lage sind, ordentlich in der Nase zu bohren, er dagegen aber immer noch, für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar weil ultraschnell, über das Griffbrett seiner SG huscht, nur halt etwas schnoddriger.
21 Songs werden gespielt und natürlich ist die Setlist schon längst kein Geheimnis mehr, sofern man in der Lage ist, das Internet zu bedienen. Demnach hält sich die Enttäuschung bei mir auch in Grenzen, dass eines meiner Lieblingsalben, “Blow Up Your Video”, nicht berücksichtigt wird. Ziemlich geil aber, dass AC/DC ihren besten Song ever spielen: “Riff Raff” – der beste Song der besten Band der Welt: das macht ihn wohl automatisch zum besten Song der Welt! Heute auf Platz 15.
Überhaupt ist das hier ja eine quasi religiöse Veranstaltung. AC/DC scheinen eine Religion zu sein und Angus ist ihr Gott. Ihr da von der katholischen Kirche, die ihr Angst um eure schwindende Zahl Schäfchen habt. Kuckt euch halt mal die Band an, dann wisst ihr, wie man die Massen für sich gewinnt – und auch behält! Hier sind mindestens drei Generationen anwesend. Die Enkelin mit dem Opa, der Papa mit der Tochter. Und alle feiern sie diesen 157cm großen Messias mit den ebenfalls obligatorischen “Anguussss”-Rufen im Intro von “Whole Lotta Rosie”. AC/DC stehen seit 50 Jahren für Konstanz und Qualität und v.a. für Zuverlässigkeit. Eine sichere Bank halt. Eine Angelegenheit für Nostalgiker, die ihren Nachkommen was von der guten alten Zeit erzählen wollen. Junge Leute, die sich aber nichts erzählen lassen wollen – und AC/DC auch so geil finden. Die Band selbst dagegen verschließt sich den Neuerungen der Moderne nicht gänzlich. Wo früher noch eine überdimensionierte Luftballonpuppe names “Rosie” aufgeblasen wurde, nimmt selbige heute digital am Abend teil und Brian Johnson muss die Hell’s Bell heutzutage auch nicht mehr selbst mit dem Vorschlaghammer malträtieren, der Gong wird eingespielt. Also doch ein bisschen Playback, aber das mit seinem Alter hatten wir ja schon. Am Schluss dann ein Feuerwerk und Kanonenschüsse zum – tadaaa – obligatorischen “For Those About To Rock (We Salute You)”. Hammer! Die alten Männer haben es noch immer drauf und irgendwie hoffen mindestens 90.000 Leute, die Band möge doch bitte, bitte nochmal auf Tour kommen.
Hach, und bei all dem Trubel haben wir jetzt fast die Vorband vergessen. The Pretty Reckless um Sängerin, Schauspielerin und Model Taylor Momsen überzeugt mit bluesig angehauchtem Alternative Rock und macht stilistisch Sinn, hat es aber natürlich standesgemäß schwer, bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Fluch und Segen zugleich, Vorband von AC/DC sein zu dürfen. Da spielt man mal vor 90.000 und keine*r will es so wirklich sehen! Dennoch, wie nennt man das dann doch gleich, wenn man sonst nichts besseres zu schreiben weiß: eine solide Show des Quartetts aus New York City.
Ein besonderer Dank gilt noch einem guten Freund, der wiederum jemand kennt, der jemanden kennt usw., weshalb wir kurzerhand und völlig ungeplant an Golden Circle-Tickets rangekommen sind. Meine Tochter und ich also ganz vorne drin. Was ein Erlebnis, was ein Spektakel! Die größte Band der Welt, von Superlativen geprägt, eigentlich gottgleich und unerreichbar – für eine Sechsjährige und ihren alten Herrn zum Greifen nah! Have A Drink On ‘Em!