Über die Wichtigkeit der Pionierleistung der Adolescents für alles, was danach in Sachen Punk Rock aus Kalifornien – und auch aus anderen Weltregionen – kam, müssen wir hier vermutlich und auch hoffentlich gar nicht erst diskutieren. Ich habe mich im Zuge meiner Tätigkeit für den Vinyl Keks nicht erst einmal zu der These hinreißen lassen, dass das Debütalbum der Band um Frontmann Tony Cadena – im Volksmund auch gerne mal als das „Blaue Album“ bezeichnet – auch genau das ist, nämlich DIE Blaupause für Bands wie NOFX, Lagwagon, usw.. Wer das nicht so sieht, der/die möge mir jetzt widersprechen, oder für immer schweigen. Die Adolescents jedenfalls arbeiteten hier mit Trademarks, die 1981 noch gar keine waren. Tolle Backgrounds, melodiöse Gitarren, aber auch der richtigen Aggression für eine Punkplatte. Und wie das dann aber trotzdem und oftmals so ist, greifen die anderen den Fame ab, während den Adolescents selbst nie der ganz große Wurf gegönnt war.
Drehen wir die Uhr nun etwas vor. Sagen wir mal so um ca. 40 Jahre. Die Corona-Pandemie lähmt die ganze Welt und wer nicht in völliger Apathie versinkt, der/die nutzt den Stillstand z.B. zum Aufräumen seiner/ihrer Garage. So auch Tony Cadena. Und siehe da, dabei fällt ihm doch glatt ein längst in Vergessenheit geratenes Tape in die Hände. Darauf enthalten: zwei komplette Liveshows seiner Band aus den Jahren 1980 und 1981, beide absolviert in Hollywoods Club „Starwood“ und ihm 1985 von einem gewissen Rob Ritter (geboren als Rob Graves und bekannt für sein Mitwirken bei u.A. The Gun Club) ausgehändigt.
Das heutige Haus und Hof-Label der Adolescents, Concrete Jungle Records aus Nürnberg, wiederum liefert uns den Inhalt dieser Tapes ab dem 17. Mai auf unserem Lieblingsmedium, der Schallplatte. „The Rob Ritter Tapes – Live At Starwood 1980/1981“ heißt das Ganze dann auch sehr unmissverständlich. Nun haben wir einerseits zwar den Kultcharakter der Adolescents und im Speziellen von deren Debütalbum. Andererseits muss die Frage erlaubt sein, ob dies allein die Veröffentlichung eines Livetapes in mäßiger (erste Show) bis okay’er (zweite Show) Tonqualität auf Vinyl rechtfertigt, oder ob es hier nicht eher darum geht, alles zu vermarkten, was Punkfreaks mit dickem Geldbeutel sich eh kaufen werden? Lasst uns das mal bitte eben kurz klären.
Klar ist nämlich schon anhand der Showdates, dass das Doppel-Vinyl (fast) ausschließlich Material vom „Blauen Album“ enthalten kann. Und diese Songs sind schon allein wegen der Tonqualität auf der Studioversion besser aufgehoben. Lediglich „Do The Eddy“ und das Traditional „House Of The Rising Sun“ kamen live neu dazu. Wem es also rein um die Songs an sich geht, der/die ist mit dem „Blauen Album“ definitiv besser beraten.
Die hier vorliegenden Liveaufnahmen, besser aber das komplette Liveerlebnis bietet dagegen Facetten an, die eine Studioaufnahme gar niemals bieten kann. Die Adolescents präsentierten sich – abgesehen von ein paar krummen Tönen – in Bestform. Hier ist eine blutjunge und hungrige Band zugange. Aggressiv, schnell, perfekt aufeinander eingespielt. Das Beste aber sind die spontanen Geschichten. Ein Livekonzert eben. So wird bei Show #2 bereits nach dem Opener „Word Attack“ ein Gast des Saales verwiesen. Die Band kommentiert das hämisch. Auch der ironische Kommentar, gleichzeitig auch Tipp, von Tony Cadena, dass man doch gefälligst nicht so blöd sein solle, 2 $ für die Single auszugeben, wo doch ein ganzes Album in Kürze zu erwarten sei, ist einfach nur unterhaltsam. Und dass an diesem Abend ab Song #5 („Amoeba“) jemand blind durch die Gegend gelaufen sein muss, da Tony seine/ihre Brille gefunden hat (ein wohl billiges Modell, wie Optifachkraft Tony fachmännisch feststellen kann), erfährt man so wohl auch nur beim Hören dieser Platte. Die übertrieben mit Vibrato in der Stimme vorgetragenen Backgrounds bei eben Song #5 sind zusätzliche Zeugen dafür, dass Band und Publikum mal so richtig Spaß hatten in jenem März 1981.
Insofern: „The Rob Ritter Tapes – Live At Starwood 1980/1981“ hat seine Daseinsberechtigung. Nicht unbedingt aus musikalischer Sicht und streitbar bleibt, ob nicht die Veröffentlichung der zweiten Show ausreichend gewesen wäre. Als Dokument einer Zeit aber, die an diesem Melting Pot des amerikanischen Punk Rocks wohl kaum jemand von uns direkt miterlebt hat, ist der Release geradezu wichtig und empfehlenswert. Toll wäre jetzt nur noch, wenn der gute Tony beim nächsten Frühjahrsputz auch noch ein paar alte Videobänder zutage fördern würde.
Artwork ist typisch Adolescents und die zwei Platten kommen jeweils 180g schwer in toller Farbkombination nebst jeweiliger CD, allerdings in limitierter Stückzahl. Obacht also, die Punkfreaks mit den dicken Geldbeuteln dürften sich da drauf stürzen wie die Geier. Und zwar wohl direkt bei Concrete Jungle Records.