Ich habe mich in meiner Musik darauf konzentriert, wer ich bin,
aber jetzt erforsche ich, wo ich bin.
Alfa Mist
Draussen gleichen die Regenstränge aufgeweichten Linguine, die schlaff senkrecht sich dem Erdboden nähern. Tagelanger Regen hat die Welt verändert. Im Garten springen die Forellen nach den letzten Insekten, die nur der Hunger aus ihren Verstecken treibt. Karpfen tummeln sich um ins Wasser hängende Meisenknödel, die noch am Vogelhäuschen befestigt sind, welches sich mittlerweile in eine Arche Noah für die im Garten lebenden Tiere verwandelt hat. Es ist August. Es ist August. Man muß sich immer wieder mit Blick auf den Kalender vergewissern, das es wirklich so ist.
“Variables” – eine musikalische Reise
Da ist es umso erfreulicher, wenn es Platten wie “Variables” von Alfa Mist gibt, die den Hörer mit auf eine Reise nehmen und einfach mal den regnerischen Alltag vergessen lassen. Und eine Reis ist “Variables” in der Tat. Wir begleiten unseren Tourguide Alfa Mist durch die warmen Gefilde smoothigen Jazz, der sich angenehm mit den Sounds von Hip-Hop und R&B mischt.
Dabei ist das Grundcredo von “Variables”, die schon im Titel angedeutete Varianz.
Schon im Opener “Foreword“ marginalisiert Alfa Mist den Hip-Hop-Einfluss und läßt über sechs Minuten ein kurzweiliges, vor Leben strotzendes Arrangement seinen freien Lauf. So kann man mal starten! Ästhetisch schmiegt sich der Track mit seiner leichten, pulsierenden Art der Perkussionsschloss wunderschön an die Zeit der Cool-Jazz-Ära an.
Auf “Borderline” zeigt uns Alfa Mist eine seiner Stärken, das MCing. Zu chillenden Beats und Melodien, prangert Alfa Mist die Ungerechtigkeit, die Unterdrückung, die Beschränkungen und die Härte an, mit denen sich die schwarze britische Jugend konfrontiert sieht.
Alltägliches Trauma normalisiert – drei Optionen: Musik, Sport oder Verbrechen.
Alfa Mist in “Borderline”
Über die Länge von 45 Minuten, unterhalten uns zehn Tracks mit warmen, oft fragilem Jazz und Hip Hop. Über weiter Strecken handelt es sich um instrumentale Stücke. Alfa Mist greift nur zweimal (leider zu selten) – “Borderline” und “4th Feb (Stay Awake)” zum Mikro.
Er läßt an anderer Stelle Kaya Thomas-Dyke wie eine Fee bei “Aged Eye” ihre Zeilen honig-süß in den eher massiv strukturierten R&B hauchen, während bei “Apho” die südafrikanische Folksängerin Bongeziwe Mabandla dem Track ihre Stimme leiht. Die Texte zu diesen beiden Singels, finden sich im Gatefold-Cover.
Alfa Mist – der Künstler
Nachdem der im Osten Londons (Newham) geborene Alfa Sekitoleko seine Ambitionen, Fußballer zu werden, ad acta gelegt hatte, entschied er sich für die erste Option – doch seine Musik ist weit entfernt von der “Prime and drill” Attitüde, die man stereotypisch mit einer solchen Flucht aus der Armut in der Hauptstadt verbindet. Bei Alfa Mist vermengen sich subtiler Jazz und smoother Hip-Hop und R&B in einem stimmungsvollen Album, das genau die richtige Temperatur zwischen zugänglicher und experimenteller Musik trifft.
Neben dem Job als Musiker, ist Alfa Mist noch Produzent, Songwriter und MC. Zudem betreibt er noch ein Musiklabel namens Sekito. Alfa Mist mischt vorzugsweise die Sounds von Hip Hop und Clubszene, mit innovativen Jazz-Improvisationen.
London – das Zentrum der heutigen Jazz-Szene
Heutige, meist jüngere Jazz-Hörer richten ihr Ohr häufig nach London, wo junge, großartige Musikertalente arbeiten, die in ihrer musikalischen Ausdrucksweise eine Neuinterpretation der schon aus vergangenen Jahrzehnten bekannten Fusion aus Jazz und Hip-Hop wagen. Zu den maßgeblichsten Protagonisten dieser Szene zählen Tom Misch, Yussef Dayes oder Kamaal Williams – und eben Alfa Mist.
ANTI – Records – das Label
ANTI-Records ist ein interessantes US-amerikanisches Independent-Label, das 1999 als Sublabel von Epitaph Records gegründet wurde. Label-Chef Andy Kaulkin, hat sich im Gegensatz zu Epitaph Records, welches sich auf Punkrock konzentriert, breit gefächert von Hip-Hop über Reggae und Country hin zu Indie-Rock aufgestellt.
Musik ist eine Erweiterung meines Lebens; sie ist die Praxis des Schaffens.
Alfa Mist
“Variables” – Resümee
Mit seinem üppigen Big-Band-Swing, kopfnickenden Boom-Bap-Rhythmen und sehnsüchtigen Gesangsmelodien ist das Album ausladend, gefühlvoll und bewegend, sowohl körperlich als auch geistig. Auf “Variable” gelingt Alfa Mist sein bisher ausdrucksstärkstes musikalisches Werk, auf dem er sein feines Gespür für Loops vereint, einprägsame, gefühlvolle Klaviermelodien mit intuitiven Grooves und einer frei fließenden Jazzimprovisation.
Mit “Variables” hat Alfa Mist ein eigenes Universum erschaffen, in dem die Überschreitung von Grenzen, Genres und Stile zu den physikalischen Gesetzen gehören. Das Album “Variables” klingt auf Vinyl unvergleichbar warm und dicht.
Wer sich einen Kurztrip in diese warmen Gefilde gönnen möchte, kann hier zusteigen.
Alfa – Mist – Live-Tipps
Mi., 4. Okt. 20:00 Paris, Frankreich La Cigale
Mi., 11. Okt. 20:30 Groningen, Niederlande De Oosterpoort
Do., 19. Okt. 20:00 Oslo, Norwegen Cosmopolite Scene
Mo., 30. Okt. 20:00 Wien, Österreich Flex
Di., 31. Okt. 20:00 Hamburg Gruenspan
Fr., 10. Nov. 20:30 Bologna, Metropolitan City