19. Mai 2023, Artheater Köln. Die ersten Sommergefühle des Jahres kommen auf, weil es endlich wieder warm genug ist, um auch mal ohne die Jacke das Haus zu verlassen. Es ist auch nach 18 Uhr draußen noch hell und man freut sich, wieder abends weggehen zu können. Die Location ist super, alles ganz locker und die Atmosphäre ist richtig entspannt. Amber Run spielt heute. Habe zwar noch nie von dieser Band gehört aber es wird sicher gut.
So ähnlich ging es mir Mitte des Jahres, als ich durch Zufall auf einem der (in meinen Augen) besten Konzerte seit langer Zeit gelandet bin. Geschmacksfrage, ich weiß, aber die Präsenz der Jungs aus Großbritannien gepaart mit ihrer sympathischen Ausstrahlung ließen mich nicht nur damals, sondern auch heute noch staunen. Besonders nach einer Zeit, in der das Angebot jeglicher Live Unterhaltung nur eingeschränkt verfügbar war, wirkte dieses Konzert für mich umso erfrischender. Und wie der Zufall es wollte, strahlt mich nun dieses orangefarbene Vinyl an und wartet darauf, besprochen zu werden. Tatsächlich habe ich das Album, welches bereits im Februar 2023 erschien, erst kürzlich final gehört. Die Erwartungen waren dementsprechend hoch, doch “How To Be Human” hat es geschafft, mich auf eine atemberaubende Reise hinweg über ruhige Passagen bis hin zu energievoll geladenem Indie Rock, der tief unter die Haut geht, mitzunehmen.
Amber Run, das sind Joshua „Joe“ Keogh, Tom Sperring und Henry Wyeth und mit “How To Be Human” veröffentlichen die Jungs bereits ihr Studioalbum Nummer vier. Beim Hören der Musik frage ich mich immer wieder, wie ich es jahrelang geschafft habe, rein gar nichts von diesem Trio mitzubekommen. Musikalisch lässt es sich nur schwer mit anderen Bands vergleichen aber die Jungs sind ganz klar im emotionalen Indie Rock anzusiedeln. Auf der Platte lassen sie es insgesamt etwas ruhiger angehen, verglichen mit der Live Performance. Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier erzeugen das breite Fundament, worauf Joe Keogh anschließend seinen Gesang legt. Und dieser steht in der Regel auch im Vordergrund. Insgesamt ist der Klang sehr abwechslungsreich und dynamisch. Rhythmisch interessante Spielereien wie in „Medicine“ oder die tragende Basslinie in „Ride“ zeigen die musikalische Vielfalt der Band. Auffällig ist auch der durchaus breite Stimmumfang von Joe Keogh, welcher in den Songs oft zwischen Brust- und Kopfstimme wechselt und somit für die tiefen Gefühle sorgt.
Auch inhaltlich ist dieser Platte ihre Tiefgründigkeit zu erkennen. Man merkt der Musik und den Texten an, dass Amber Run hier auf ihre ganz eigene Art Themen verarbeitet hat. Es geht um Verlust und Wiederfinden, Trauer und Freude oder auch Liebe und Sehnsucht. Die Widersprüchlichkeit der Texte zeigt letzten Endes auf, worum es eigentlich geht. Wer kann schon sagen, wie es ist, ein Mensch zu sein? Und macht nicht erst die Tatsache, dass niemand von uns hierzu die Antwort kennt, das “Mensch sein” zu etwas so besonderem? “How To Be Human” geht einen tiefgründigen und emotionalen Weg, welcher durchaus mehrere Interpretationsmöglichkeiten gibt und dabei so einige Fragen offen lässt.
Die Band schafft es, ihren eigenen Klang in jedem Song subtil unterzubringen. In nahezu allen Songs werden ganz eigenen Melodien eingebaut, welche mir dann auch noch nach Stunden im Kopf bleiben. Meistens ist es der Refrain, den ich dann einfach nicht mehr aus meinen Gedanken bekomme. Mir hat dieser eigene Amber Run – Klang, der nicht zu aufdringlich daher kommt, gut gefallen. Natürlich hört man an einigen Stellen die vermeintlichen Vorbilder bzw. musikalischen Einflüsse der Band raus, aber insgesamt tue ich mich schwer, hier eine wirklich vergleichbare Band zu erkennen.
Insgesamt machen es sich die Jungs nicht zu kompliziert und eben auch nicht zu einfach. Musikalisch genau richtig. Mir gefällt diese lockere Stimmung und die Art und Weise, wie die Instrumente und der Gesang eingesetzt wurden. In Kombination mit der inhaltlichen Tiefe der Songs führt es dazu, dass ich mir diese Platte immer wieder in ganz unterschiedlichen Situationen anhören könnte. Gepaart mit einer wirklich einzigartigen Live Performance, kann ich an dieser Stelle nur eine große Empfehlung abgeben, sich die Band bzw. deren neustes Album einfach mal anzuhören. Die Platte wurde über Tripel Records Veröffentlicht und ist aktuell bei JPC zu haben.
Viel Spaß beim Hören!