Sanfte Brise am Abend im Schein eines goldenen Sonnenuntergangs. Die Grillen zirpen im Hintergrund und in der Hand ein kühles Kaltgetränk. Fehlt nur noch die passende Musik, um dieses Bild eines frühsommerlichen Abends abzurunden… Wie gut, dass bei mir gerade die neuste Platte von Aoife O’Donovan eingetroffen ist.
Mit ihrem neusten Album “All My Friends” trifft die Grammy-prämierte Musikerin nicht nur genau meinen Geschmack, wenn es darum geht, den Sommerabend musikalisch zu unterlegen, sondern setzt mit ihrem 4. Soloalbum auch ein deutliches Zeichen an die Kraft kollektiven Handelns.
“All My Friends” heißt dabei nicht nur das Album, sondern auch der erste Track. Ein Song, welcher besonders die kristallklare Stimme der amerikanischen Singer-Songwriterin zur Geltung kommen lässt. Unterlegt von einer sanft gespielten Gitarren in Kombination mit subtilen Rhythmen, welche erst ab dem zweiten Drittel des Songs in Erscheinung treten, wird direkt eine emotional tiefe Landschaft gezeichnet, welche nicht zuletzt auch den Ton für das gesamte Albums setzt.
Mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Folk, Bluegrass und Indie sorgt O’Donovan auf 9 unterschiedlichen Songs für genügend Abwechslung mit vielen sprungvollen Melodien. Dabei holt sie sich regelmäßig Unterstützung. So sind über die Songs hinweg Gäste verschiedener Ensembles zu hören. Hier vor allem das Blech-Blas-Quartett The Westerlies oder das Kollektiv The Knights, welches in Summe für den orchestralen Klang verantwortlich ist. Aber auch weitere Gäste wie das San Francisco Girls Chorus oder die Singer-Songwriterin Anaïs Mitchell tragen insgesamt für den Mix aus traditionellen und zeitgenössischen Arrangements auf dieser Platte bei.
Neben der Musik ist es besonders der inhaltliche Hintergrund, welcher dieses Album zu etwas ganz besonderem macht. Während es 2022 auf dem Vorgängeralbum “Age Of Apathy” noch darum ging, sich mit der Gleichgültigkeit abzufinden, stehen in “All My Friends” der Widerstand und die Kraft kollektiven Handelns im Vordergrund. In ihren Songs thematisiert O’Donovan mit ihrer poetisch/lyrischen Raffinesse die Geschichte zum Kampf um den 19. Zusatz der amerikanischen Verfassung. Dieser Zusatz gab Frauen in den USA erst im Jahre 1920 das Wahlrecht. In ihren Songs versetzt sich O’Donovan in die Perspektive von Carrie Chapman Catt, welche als Präsidentin der National American Woman Suffrage Association (NAWSA) den entscheidenden Teil für die Erlangung des 19. Zusatzartikels beigetragen hat, und beschreibt ihre Gedanken und Gefühle zu diesem historischem Ereignis, welches tragischerweise auch über hundert Jahre später eine hohe Bedeutung hat. Folgendes Zitat steht auf der Rückseite des LP Einlegers und unterstreicht nochmal die Relevanz dieses Themas:
In the summer of 1920, Carrie Chapman Catt and countless other suffragists marched to Tennessee. They needed 36 states to ratify the 19th Amendment to the United States Constitution, and this was their final hope. As president of the National American Woman Suffrage Association, Carrie knew what was at stake. She had devoted her entire life to the cause. But a crisis was upon them. Against the backdrop of a war, a pandemic, poverty and lack of access to education, the movement never gave up the fight.
We must continue to honor this legacy.
Insgesamt hat dieses Album es geschafft, mich nicht nur musikalisch, sondern vor allem inhaltlich zu bewegen. Die ausgesprochen hochwertige Produktion sorgt für einen bemerkenswerten Klang und garantierten Hörgenuss. Einen Beitrag dazu liefern auch die Übergänge zwischen den Songs, welche nahezu immer so arrangiert sind, dass die Titel ineinander übergehen. Ein vielleicht kleines Detail, welches wiederum zeigt, wieviel Mühe sich bei der Komposition und Produktion gegeben wurde, um ein in sich harmonisierendes Gesamtwerk zu kreieren. Und das ist meiner Meinung nach gelungen. “All My Friends” von Aoife O’Donovan ist ein ausgezeichnetes Album, welches ich ruhigen Gewissens weiterempfehlen kann. Die LP kommt als violett oder wahlweise gelb gefärbtes Vinyl daher und enthält im Einleger alle Texte sowie einen weiteren Druck des Covers. Veröffentlicht wurde das Album bei Yep Roc Records und ihr könnt es derzeit über JPC erwerben.
Viel Spaß beim Hören
Jan