Neue Platten trudeln regelmäßig in unserer Redaktion ein, sei es durch gezielte Anfragen oder als unverhoffte Überraschungen. Bevor wir eine Besprechung in Angriff nehmen, gönnen wir uns in der Regel eine kurze oder längere Hörprobe, um zu entscheiden, ob uns persönlich das Album es wert ist, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Zumindest halte ich es so, insbesondere wenn mir der Künstler oder die Künstlerin noch unbekannt ist.
Im Fall von Chris Wenners „Not Old Enough“, das im Februar 2025 bei Mara Records erschienen ist, genügten mir drei oder vier Takte, um spontan zu sagen: „Hey, das klingt ja verdammt nach Neil Young – das bespreche ich gern!“ Wenig später hielt ich die LP in meinen Händen.
Chris Wenner war mir bis dahin kein Begriff, also habe ich mich erst einmal schlau gemacht. Der 1956 geborene Musiker ist mit seinen 69 Jahren kein Debütant, aber auch keiner, der sich auf alte Meriten stützen kann. Seine unverwechselbare Stimme, oft in wunderschönen Vokalharmonien eingebettet, verbindet er mit warmen Akustikgitarren und frischen musikalischen Ideen. Die Parallelen zu Neil Young sind unverkennbar – und definitiv ein Kompliment.
Seine Liebe zur Gitarre entdeckte Wenner bereits mit 15 Jahren. Inspiriert von Crosby, Stills & Nash, Paul McCartney, James Taylor und Paul Simon, begann er früh, eigene Songs zu schreiben. Doch statt sich ganz der Musik zu widmen, schlug er zunächst eine Karriere als Anwalt ein. Parallel dazu baute er jedoch kontinuierlich sein musikalisches Repertoire aus – sowohl als Solokünstler als auch in Zusammenarbeit mit namhaften Musikern. Erst 2020, mit 64 Jahren, erhielt er seinen ersten Plattenvertrag bei Mara Records.
Sein Debütalbum „New Born Man“ (2020) versammelte zwölf Songs aus fast 50 Jahren Songwriting und wurde unter anderem von der renommierten kalifornischen Band Venice unterstützt, die bereits mit Bruce Springsteen, Elton John, Sting und Phil Collins gearbeitet hat. 2022 folgte das zweite Album „Maywind“.
Drei Jahre später steht nun „Not Old Enough“ in den Regalen – eine Platte, die zeigt, dass es nie zu spät ist, seinen Traum zu verwirklichen. Statt irgendwann zurückzublicken und zu sagen: „Hätte ich doch mal …“, hat Wenner einfach gemacht. Und das Ergebnis kann sich hören lassen.
Wer hier wilden Rock’n’Roll erwartet, liegt falsch. „Not Old Enough“ ist ein entspanntes, ruhiges und unaufgeregtes Album – aber keineswegs langweilig. Es geht um Liebe, Verlust und persönliche Reflektion. „Too Bad“ setzt sich dabei mit dem unvermeidlichen Kreislauf von Liebe und Verlust auseinander. Besonders herausragend ist der Song „Skin“. Er beginnt ganz sanft, bis plötzlich ein Trommelwirbel einsetzt, der frappierend an Paul Simons „50 Ways to Leave Your Lover“ erinnert – unerwartet und großartig. Insgesamt bietet das Album eine stimmige Mischung aus Rock, Folk, Blues und Country, die an die großen Singer-Songwriter Zeiten der 1960er und 1970er Jahre erinnert.
Die Pressung hat ein paar kleine Nebengeräusche, die sich aber mit einer Plattenwäsche beheben lassen. Beim Artwork hätte ich mir allerdings etwas mehr Liebe zum Detail gewünscht. Die Rückseite erinnert mich an meine ersten kreativen Gehversuche mit einem Textverarbeitungsprogramm in den 1990ern, die Songtexte liegen leider nicht bei, und die Platte kommt in einem einfachen, ungefütterten Innersleeve. Hier hätte man mehr herausholen können – schade, denn die Musik selbst hätte eine hochwertigere Verpackung verdient.
Aber letztlich zählt, was aus den Lautsprechern kommt – und das ist richtig gut.
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