Seid ihr schon mal in einem Museum gewesen, in einer Ausstellung für Moderne Kunst, standet vor einem Bild und dachtet „Hääh“, weil ihr es nicht richtig (be-)greifen konntet und seid gleichzeitig von der Wucht und Intensität des Werkes komplett umgehauen worden? Mir erging es zum Beispiel so mit dem Bild „Krieg“ von Gerhard Richter. Bevor ich auf die kleine Informationstafel mit dem Namen des Werks und der:die Künstler:in schaute, ließ ich das Bild mit seiner zerstörerischen Kraft auf mich wirken. Und so gehe ich auch bei Musik vor. Pressetext und Informationen lese ich mir erst im Nachklang durch und gleiche sie ab mit meinen Empfindungen und Eindrücken, so auch bei der Platte „Zerstreuen über Euch“ von Culk.
Die Wiener Band hat im Oktober 2020 ihr zweites Album „Zerstreuen über Euch“ via Siluh Records veröffentlicht und führen darin ihren Sound des Debütalbums „CULK“ fort. Nicht unbedingt in den Tönen, die auch elektronisch anklingen durch Synthesizer, der Gitarre, Bass und Schlagzeug begleitet, aber durch das eindringliche Selbst und dessen was transportiert wird, ist es irgendwie Postpunk. Und mein erster Gedanke: das kann man sich gut anhören, oder ist es doch zu gewollt, ist es zu sehr Künstlerattitüde, zerstreut sich beim zweiten Song und löst sich endgültig beim dem Befassen mit dem Besungenen auf.
Mit zarter, betörender Stimme besingt Sophie Löw gesellschaftliche, feministische Dringlichkeiten, die durch die langgezogenen Worte eine Lethargie mit sich tragen. Es klingt fast wie ein müde sei. Müde, immer noch nicht das Patriarchat überwunden zu haben. Müde davon, immer noch auf ungleiche Geschlechterverhältnisse und Diversität aufmerksam machen zu müssen. Müde ob des Kampfes, der einem Marathon gleicht und dessen Ziel noch in weiter Ferne liegt. Müde, ähnlich Rilkes „Panther“, der dennoch unruhig an den Stäben vorbei schleicht, den Stäben des patriarchalen Käfigs.
Löw benennt in einer lyrischen Schönheit, auf persönliche Art, dennoch universell Dinge, die Frau nur all zu gut kennt, die ihr schon so zu eigen geworden sind, dass sie Normalität geworden sind. Traurige Normalität, wie die Selbstverständlichkeit des Schlüssels in der Hand auf dem nächtlichen Heimweg, zu hören in „Nacht“. Doch es geht noch tiefer. Noch tiefer hin zu dem, wie Frau sozialisiert wurde, wie uns erklärt wurde, wie wir zu sein und zu gefallen haben um unsere Rolle in der Gesellschaft zu spielen, zu erfüllen, aber auch um uns zu schützen um nicht Opfer zu werden. Opfer, die wir dennoch durch die gegebene Struktur sind. „Jahre später“ und „helle Kammer“ bringen es so ehrlich, so verletzlich, so dringlich und gefühlvoll auf den Punkt, dass es schmerzt, weil die Wahrheit auf lyrische Schönheit trifft und dadurch nur intensiver wirkt. Es ist kein kämpferischer Aufschrei, dennoch auch kein Aufgeben. Es ist eine erschreckend schreckliche Situationsbeschreibung des Ist-Zustandes, getragen von Tönen, die sich festsetzen und nachklingen.
Texte zu groß, zu bedeutend und zu wichtig. Sie sollten auf Litfaßsäulen gedruckt werden, in der Hoffnung, das mutige Männer sich mit den Texten, mit dem Käfig des Patriarchats auseinandersetzen und auch wenn sie es nie nachempfinden können, so doch Verständnis entwickeln könnten. Dass sie ihre Kinder nicht in einen Käfig hinein erziehen und das Mädchen nicht mehr zu hören bekommen, sie sollen höflich sein und sich so bekleiden, damit sie Jungs nicht „ablenken“, und dass sexuelle Selbstbestimmung und Gleichberechtigung nicht mehr nur Worte sind.
Was Culk, was Sophie Löw durch Gesang und Gitarrenspiel, gemeinsam mit Johannes Blindhofer an der Gitarre, Benjamin Steiger am Bass und Christoph Kuhn hinter den Drums geschaffen haben, ist ein aufwühlendes und einnehmendes, nachdenkliches, ehrliches und absolut hörenswertes Album, welches nachhaltig wirkt und dadurch in meinen Augen genau das tut, was Kunst machen sollte.
Die Platte kommt im aufklappbaren Cover aus unbeschichteter Pappe, in dessen Innenseite ihr die Texte nachlesen könnt. Und im Spätsommer und Herbst könnt ihr Culk auch live sehen und hören. Konzerttermine findet ihr auf Siluh Records.
Interpret | Keine Daten vorhanden |
Titel | Keine Daten vorhanden |
Veröffentlichung | Keine Daten vorhanden |
Label: | Keine Daten vorhanden |