Die erste Platte des neuen ist eigentlich die letzte des alten Jahres. Und eine ganz besondere noch dazu. Doch dazu gleich mehr. Eigentlich hätte „Kratzer“ von Eure Wunden am 30.12.2021 im altehrwürdigen Sonnenkeller zu Balingen präsentiert werden sollen. Was aus dem Konzert wurde, könnt ihr euch ja denken. Es begab sich auch so grob zu dieser Zeit, dass die Platte das Licht der Welt erblickte und damit – und jetzt kommen wir zu den Besonderheiten – als letzte ihrer Art das Presswerk von Flight 13 Duplication in Pforzheim verließ, bevor dieses für immer die Himmelspforte schloss. So zumindest berichten es einigermaßen verlässliche Quellen.
Die zweite Besonderheit besteht darin, dass ich mit Eure Wunden auf alte Bekannte stoße, die ich über die Jahre leider etwas aus den Augen verloren habe, weshalb es mich nun umso mehr freut, mit „Kratzer“ wieder etwas von ihnen hören zu können. Die Hälfte des Quartetts (nämlich Dan Shandog und Ralph On Fyre), welches seinen offiziellen Sitz in Balingen hat, kenne ich noch von den Stereo Satanics, einer Band, die ihren Style selbst als Vintage Punk bezeichnete. Die Stereo Satanics waren zu ihrer Zeit eine klasse Band, die ich musikalisch und menschlich sehr geschätzt habe. Ihre Auflösung kam für mich damals einer Tragödie nah, auch wenn die zwei das so vermutlich nicht hören, bzw. lesen wollen.
Nun aber sind sie zusammen mit Andrea und Scherf zurück. Eure Wunden. Lasst uns deshalb der Tragödie den Rücken zukehren und stattdessen frohen Mutes in die Zukunft schauen. Lasst uns dazu das neue Baby auf Herz und Nieren prüfen. Wenn man weiß, dass die Stereo Satanics einst sehr viel wert auf authentische und rohe Aufnahmen gelegt haben. Wenn man deshalb auch weiß, dass sie stets live aufgenommen und auf allerlei Schnörkel und Studiogedöns verzichtet haben. Tja dann, dann kann man auch „Kratzer“ doch recht schnell anhören, dass es getreu den alten Prämissen ebenfalls live und direkt eingeprügelt wurde. (By the way von Fabe Schaller, ebenfalls einem alten Bekannten, in dessen Fensterbau Studio in Tübingen.) Zumindest würde ich dafür meine Hand, sagen wir mal, in ein Flämmchen halten.
Diese Arbeitsweise rechtfertigte für mich damals den Begriff „Vintage“ in der eigenen Stilbeschreibung der Satanics. Und auch Eure Wunden würde ich ohne zu zögern den Vintage – Stempel aufdrücken. Dieser direkte und unmittelbare, letztlich auch real klingende Sound einer real zusammenspielenden Band hat nun mal diesen altertümlichen und bodenständigen Charakter, den ich mit dem Begriff „Vintage“ in Verbindung bringe. Ich meine das positiv. Sehr sogar. Es mag Musik geben, die durch pompöse und mit Overdubs vollgestopfte Produktionen tatsächlich besser wird. Eure Wunden zählen da aber definitiv nicht dazu. Volle Punktzahl also für den ehrlichen Sound und damit auch für die spürbare Ehrlichkeit der Band.
Darauf aufbauend macht auch die Unmittelbarkeit der Songs absolut Sinn. Wirken diese mitunter irgendwie etwas unausgegoren oder nicht zu Ende gebracht, so entwickeln sie in ihrem Vintage – Look letztlich doch jede Menge Charme. Die Mischung macht’s! Und diese ergibt unterm Strich zehn herrlich unprätentiöse Garagennummern, teils auf Englisch, teils auf Deutsch vorgetragen. „Wer tanzt hat Recht“ erinnert mich dabei am ehesten noch an das Schaffen der Stereo Satanics, was ich durchaus mit einem zufriedenen Grinsen wahrnehme, in „Gib Gas“ schreit sich Andrea dagegen beinah schon in Hans-A-Plast – Manier die Stimme heiser. Eure Wunden machen Musik für alle – für absolut alle! – die ein Konzert lieber im Gewölbekeller, denn im Stadion erleben.
Nicht nur die Musik ist schön, nein, auch die Aufmachung. Wunderbar leuchtendes magentafarbenes Vinyl beherbergt die Songs, eine ebenso in Magenta gehaltene Innenhülle bringt uns die vier Musiker*Innen näher und beherbergt die Platte, die Außenhülle beherbergt beides und entfaltet dabei auch ohne großes Aufsehen zu erregen große Wirkung. Ist auch Vintage, irgendwie. Könnte jetzt noch vieles schreiben, zur Musik, zur Aussagekraft der Texte, zu alten Zeiten, zu … bin aber schon weit drüber über den redaktionellen Vorgaben, ähh… . Nur eins noch: ich freue mich sehr über Eure Wunden und damit verbunden, über ein überaus gelungenes, neues Lebenszeichen von alten Bekannten. Alle, die sich ebenfalls freuen wollen, sollten sich „Kratzer“ zulegen. Unbedingt! Am besten direkt bei Eure Wunden.
