Aufschlagen, betrachten, blättern bis zum Beginn. Den ersten Satz lesen und nach einer halben Stunde des Nachdenkens über diese ersten acht Worte bemerken, dass man eine halbe Stunde über acht Worte nachgedacht hat. Na super, das geht ja schon gut los. Das ganze Lesen könnte sich eventuell ein wenig in die Länge ziehen.
Dem ist aber gar nicht so. Nicht, weil Florian Weber auf den folgenden Seiten nichts Nachdenkwürdiges verschriftlicht hat, ganz im Gegenteil. Aber das “darüber Nachdenken” fügt sich ein in die Geschichte und wird zum gemeinsamen Prozess. Gemeinsam mit dem Protagonisten reist man in dessen Vergangenheit, in Erinnerung, auf der Suche nach Antworten auf die einfache Frage “Wer bin ich?” Eine Frage, die in der Situation des Protagonisten Heinrich Pohl so natürlich wie unnütz ist. Wenn man in Begleitung eines Lamas und eines Clowns, fernab vom rettenden Land, auf einer Kühlbox im Ozean treibt, ist die Beantwortung der Frage “Wer bin ich?” keinesfalls lebensrettend, dennoch existenziell. Und mit jeder Antwort kommen weitere Fragen auf, stellt sich die Frage “Wer bin ich?” aufs Neue. Erwachend aus der Amnesie, in der beschreibenden Situation begleitet die Leserschaft Henrich Pohl bei diesem Frage-Antwort-Spiel. Er nimmt uns mit in seine Kindheit und Jugend. Er nimmt uns mit zu seinem Onkel Wendelin, in dessen Gebrauchtwarenhandel, in dem er Zuflucht und Hoffnung findet, begleitet von einem Klavier. Dort lernt er die kleinen und großen Wichtigkeiten des Lebens, die Musik und Akzeptanz kennen.
Durch die Sprache, durch die Wortwahl Florian Webers erhält diese absurde Situation einen feien Komik, ohne ins Alberne abzudriften. Die Worte verknüpfen Tragik und Komik zu ihrem natürlichen Geflecht, weil sie ja nun mal zusammengehören und einander Bedingen. Wo andere Autor*innen sich vielleicht für eines de beiden entschieden hätten, Tragik oder Komik, lässt Florian Weber beides gleichermaßen bestehen.
Immer wieder tauchen Adjektive auf, aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen, in ungewohntem Zusammenhang – “ein dunkles klimperndes Grün” – wodurch das Beschriebene an Tiefe gewinnt und greif-, hör- und fühlbarer wird.
Diese Buch ist ein eindringlicher und warmherziger Appell an den eigenen Entdeckergeist. Es fordert uns auf, uns auf zu raffen und wahrzunehmen und zu entdecken, in unserem Inneren, wie in unserer Umgebung. Und wagt man sich einmal ins Entdeckertum, dann werden Komfortzonen obsolet. Auf wunderbar charmante, emphatische, hoffnungsvolle und fast hemmungslose menschliche Art und Weise setzt sich das Buch mit dem Lebensweg und dem Lebensende auseinander und nimmt so dem Thema Tod das Tabu. Dieses Buch springt in die Lücke zwischen Wissen und nicht Wissen, Hoffen und Bangen und Vertrauen haben in das, was folgen mag.
“Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken” ist am 14.03. im Heyne Hardcore Verlag erschienen und ist nun schon das dritte Buch des Sportfreunde Stiller – Schlagzeugers. In diesen Wochen ist Florian Weber auch auf Lesetour. Die genauen Daten und Tickets gibts beim Grand Hotel van Cleef. Wem beim lesen die ein oder andere Frage aufgekommen ist, dem gehts wie mir. Ein paar Antworten gibts in der nächsten Ausgabe von Musik trifft Literatur am nächsten Sonntag. So und nu raus an die frische Luft mit euch: Spaziergang zum nächsten Buchladen und Buch kaufen.