Wer erinnert sich noch an unser erstes Interview bei “Frauen im Musikbusiness” mit der Fotografin Jette aus Berlin? Richtig, das ist nun schon über acht Monate her und mir gehen weder die Frauen noch die Lust an der Reihe aus. In den letzten Wochen hatten wir verstärkt Musikerinnen im Interview, wie beispielsweise Kat von 24/7 DIVA HEAVEN oder Laura von den TAPESHAPES. Heute wieder Bühne frei für eine Fotografin: Sophia Vogel steht uns Rede und Antwort:
Hallo Sophia, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst uns ein paar Fragen zum Thema “Frauen im Musikbusiness” zu beantworten. Du bist sehr vielseitig unterwegs, in erster Linie kenne ich dich aber als Fotografin – wie und wann bist du dazu gekommen und kannst du uns vor allem was zum Thema Konzert-Fotografie erzählen? Wo konnte man dich da in den letzten Jahren antreffen?
Vielen Dank für diese Interviewreihe, es ist toll, dass Frauen im Musikbusiness von euch beleuchtet werden. Sehr lange war die Musikbranche männerdominiert und ist sie auch in manchen Führungsriegen noch immer. Jedoch ist die Tendenz in den letzten Jahren auch so, dass es immer mehr starke Frauen im Musikbusiness in allen Bereichen gibt, die Großartiges leisten, worüber ich mich sehr freue. Ich habe schon sehr jung angefangen auf Konzerten zu fotografieren. Die Passion dazu war schon immer meine. Alles hat angefangen auf ein paar kleinen Punk- & Hardcore Konzerten im Jugendclub. Das ging dann irgendwann auch städteübergreifend und ich wurde von den Bands gerne auch eingeladen in ihren Städten zu fotografieren. Weiter ging es dann in immer größere Konzertsäle, für immer größere Acts. Es ist ja kein Geheimnis, dass Kontakte nie schlecht sind. Kennste die eine, darfste da fotografieren, lernste wen anderen kennen, darfste dort fotografieren. Und Gelegenheit schafft Chancen: Wenn du dann noch sehr gute Fotos machst, die Momente einfängst und ein bisschen sympathisch bist: klappt viel.
Nach den Punk-Konzerten im Jugendclub verschlug es mich in den alternativen Deutschrap zum Fotografieren, einige Jahre lang fand man mich mit der Kamera stets am Bühnenrand von Rapper Casper. Das war eine schöne Zeit, die mich viel gelehrt hat. Danach ging’s deutschlandweit weiter. Die letzten beiden Jahre war ich überwiegend im Festsaal Kreuzberg in Berlin, manchmal zwei mal die Woche, manchmal vier mal die Woche auf Konzerten. Als Hausfotografin durfte ich dort alle Konzerte dokumentieren. Der Festsaal ist eine der schönsten Konzertlocations in Berlin, wie ich finde. Konzerte fotografieren mache ich nun schon seit über 10 Jahren. Außerdem war ich zuletzt viel unterwegs mit der Band „Larrikins“. Shout out an dieser Stelle für diese großartige Kombo. Das ist dann alles noch sehr Punkrock, unsere Nightlinerkojen waren manchmal Feldbetten in Hinterzimmern in kleinen Clubs oder Stockbetten. Aber auch das oder gerade das feiere ich ungemein. Musik ist Gemeinschaft. Verbindet Menschen. Und gerade solche wertschätzenden Abenteuer in 9-Sitzern mag ich gern.
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis in deiner Zeit als Fotografin, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Letztlich ist jedes Konzert auf dem ich fotografiere, filme oder anderweitig beruflich teilnehme ergreifend für mich. Konzerte sind meine Leidenschaft. Es ist wie ein Zauber, der bei jedem Konzert entsteht. Selbst, wenn die Musik mir im ersten Moment genremäßig nicht zusagt, sehe ich in die Augen des Publikums, die Interaktion, glückliche Gesichter, die einen schönen Abend haben; Musiker, die das tun können, was sie möchten: Auf der Bühne stehen und ihre Musik den Zuhörern näher bringen. Und das fetzt und macht mich glücklich.
Du bist außerdem Promoterin bei der Agentur Carrycoal und hast seit einem Jahr auch deine eigene Agentur Birdymotion für Promotion – wie hat es dich dahin verschlagen und wie gestaltet sich die Arbeit in der eigenen Agentur?
Ja, das war ganz schön. Vor einigen Jahren habe ich Theresa kennen gelernt, die Chefin von Carrycoal, auch eine starke Frau im Musikbusiness: find’ ich super. Ich habe bei ihr viel gelernt, hab erst ein Praktikum gemacht, dann als Freelancerin projektbezogen für sie und für tolle Bands arbeiten dürfen. Zu Birdymotion, meiner eigenen Agentur, kam es eher zufällig, ich bin gern mein eigener Chef, weil ich immer gut weiß, was ich will und gerne in meiner Art arbeite, weshalb ich nun mein eigenes Ding mache, um für alle Künstler zu arbeiten, die mich menschlich oder musikalisch catchen. Ich freue mich, dass die Agentur Stück für Stück wächst. Ich arbeite gerne mit Newcomern, weil ich da so viel Feuer spüre, wie in mir selbst. Aber auch mit etablierten Bands, hauptsache die Wellenlänge stimmt, genrebezogen bin ich nicht, sondern offen für gute Messages
und Sounds.
Und wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Es ist manchmal ein bisschen schwierig. Oft ist es ja so, dass Bandmitglieder, Tourmanager und Co häufig Männer sind. Du bist als Frau oft das Huhn im Korb. Ich mag das gern, weil ich eher so’n Kumpeltyp bin und mit allen gut auskomme. Aber natürlich geht man im Laufe seiner Karriere nicht Klischee-Bemerkungen aus’m Weg wie „Die ist ja nur dabei, weil sie mit irgendwem was hatte.“ oder ähnliches. Klassische Hoch-Schlaf-Theorien, die natürlich völliger Bullshit sind. Das finde ich schade. Wer einen guten Job macht, macht einen guten Job, da sollte auch die Bewertung von außen nicht geschlechterbezogen negativ ausgehen.
Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du im Speziellen bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Definitiv hat sich da viel getan, im Allgemeinen. Wie schon anfangs erwähnt gibt es seit Jahren immer mehr starke Frauen im Musikbusiness, die einen super Job machen. Ich denke Fotografinnen gab es schon immer viele, schaut euch die große Annie Leibovitz an, die Mitte der 70er die Rolling Stones begleitet hat. Meine Wahrnehmung ist es deshalb, dass es im Berufsbild der Konzert-Fotografinnen nicht unbedingt einen Turning Point gab. Auch, wenn ich die letzten 10 Jahre zurück überlege war das immer sehr ausgeglichen im Kollegium. Viel mehr merkt man den Sprung bei Labels und Co, finde ich.
Bezeichnest du dich selbst als Feministin und wenn ja, wie setzt du das in deinem Alltag um?
Wenn man Feminismus als das sieht, was es ist, bin ich definitiv eine Feministin. Feminismus ist ja die Bewegung, die das Ziel hat, Gleichberechtigung von Frauen zu definieren, herzustellen und zu verteidigen: Ja ey, auf jeden Fall! Ob weiblich oder männlich oder divers, man sollte gleich behandelt werden. Das find’ ich gut und wichtig. Witzige Anekdote aber: Ich komme, glaube ich, nie über ein Konter hinweg, wo ich mal sagte „Ich bin Fan davon.“, und jemand sagte: „Du bist Fanin, das heißt Fanin, du bist eine Frau.“ Entschuldigt, aber das ist eh schon ein Anglizismus und Fan ist Fan… Muss das sein, da unbedingt ein „in“ dran zu hängen, weil man eine Frau ist, hm? Haha. Ich meine, wisst ihr?! Das ist mir dann zu viel. Kenn auch Leute, die nicht Kaffeebecher sondern Kaffeebecherin sagen… Das ist nicht meins. Aber die eigentliche Sache und viele Sachen dazwischen find ich wichtig und gut und stehe gerne dafür. Echauffieren kann man sich ja über wichtige Sachen!
Im Alltag lebe ich Feminismus insofern, dass ich meine Kolleginnen und Freundinnen supporte. Ob mit Aufträgen rüber reichen, ob mit Komplimenten etc. Zicken-Krieg und stupides Bewerten anderer Frauen find’ ich schon immer doof – gerne supporte ich andere Frauen und schaffe so eine sich unterstützende Community in meinem Umfeld! Ich hab vor einigen Jahren einen Bildband raus gebracht von einem meiner Fotoprojekte, was viele Menschen auf der Welt gesehen haben. Darin ging es darum sich wohl zu fühlen in der eigenen Haut, Body Positivity. Das ist zum einen für Frauen wichtig, die sich seit Jahren aus Rollenbildern schälen und auf denen oft ein Druck lastet das Gefühl zu haben, bestimmten Bildern entsprechen zu müssen, aber natürlich auch für alle Menschen. Mit diesem Buch „With and Without“ habe ich gezeigt, dass jeder Körper schön ist, so wie er ist und viel zum Nachdenken angeregt und manch einem auch ein besseres Gefühl zu sich selbst gegeben – auch das enthält Feminismus und hat viele Frauen bewegt. Wie immer: wenn man Ungerechtigkeiten in seinem Umfeld wahrnimmt, sollte man einschreiten, ob das geschlechterabhängig ist oder von anderen Faktoren abhängt: Stimme laut machen und sich darum kümmern, die Welt ein bisschen friedlicher zu machen.
Nochmal zurück zu deinem Wirkungskreis: Du hast seit Kurzem auch deinen eigenen Podcast BIRDYTALK (ein Real Talk Podcast), bei dem Künstler*innen aus der Musikbranche und dem Kulturbetrieb interviewt werden. Wie bist du auf die Idee gekommen? Ist das Verhältnis von Männern und Frauen bei deinen Interview-Partnern ausgeglichen? Legst du darauf Wert?
Letztlich unterhalte ich mich gerne mit Menschen, die auch so eine Leidenschaft haben wie ich. Für mich sind es Fotos, am liebsten auf Konzerten, Promotion, Musik… dafür geb’ ich alles, 24 Stunden am Tag, alle Zeit, alle Energie. Und wenn man jemanden trifft, dem’s ähnlich geht, der auch das gefunden hat, was ihn erfüllt und der alles dafür gibt: Geile Gesprächsgrundlage. Den Titel hat der Podcast aufgrund meines Nachnamens „Vogel“, viele nennen mich auch „Birdy“. Ich freue mich schon riesig auf die nächsten Folge,n in denen ich tolle Gäste aus Musik und Kultur haben werde. Hört gerne mal rein da! Gibt’s auf Spotify, Apple Podcasts und
Co! Eine Folge hatte ich mit meiner lieben Freundin Shana, die bei Universal, genauer bei Chapter One, als Labelmanagerin arbeitet. Das ist auf jeden Fall eine starke Frau im Musikbusiness. In der Folge reden wir auch in einigen Passagen genau darüber, wie sich die Frauenquote in den letzten Jahren in der Musikbranche verändert hat. Ich lad’ die Menschen ein, wo das Feuer passt, ob weiblich, ob männlich ist für mich da keine Präferenz.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt noch erleben möchtest, vielleicht eine Band, die du gern mal vor die Linse bekommen willst? Oder weitere Ideen, die du umsetzen willst?
Es gibt natürlich so Größen wie Lemmy von Motorhead, bei denen ich nie das Glück hatte, dass ich den mal fotografieren konnte. Timing-Probleme. Schön war, dass ich letztes Jahr mal bei Graveyard fotografieren konnte, die mag ich auch sehr gern und wenn man Bands fotografiert, bei denen man jeden Song mitsingen kann, ist das dann doch nochmal etwas besonderes. Es gibt immer wieder Bands, die mich reizen, weil sie ne krasse Energie mit auf die Bühne bringen. Das ist für mich wichtig, mit Menschen zu arbeiten die zu 100 Prozent für ihre Sache brennen. Das will ich vor der Linse haben.
Gerne würde ich nochmal eine Welttournee mitmachen oder gleich zwei, oder drei. Das ist definitiv ein Ziel. Natürlich gibt es bedingt durch die aktuell kritische Zeit durch den Covid19-Virus in der Veranstaltungsbranche vielerlei Probleme. Als alle Konzerte in diesem Jahr abgesagt wurden, für die ich gebucht war, dacht’ ich zwei Tage lang die Welt geht unter. Das ist meine Leidenschaft, Konzerte sind viel für mich aber auch mein täglich Brot. Das fiel weg. Das schöne ist, dass ich eben breit aufgestellt bin und diese Lücken anderweitig füllen kann. Ich freue mich, wenn’s wieder so weit ist, dass ich Woche für Woche auf Konzerte gehen kann, mit Bands in Bussen durch die Gegend fahren, auf Festivals sein und wieder voll diese Freude mitnehmen kann. Das ist ja die Quintessenz von Musik, die Interaktion zwischen Musiker und Hörer, wird Zeit, dass dann wieder zusammenkommt, was zusammengehört.
Ich hatte ja wie bereits erwähnt vor zwei-drei Jahren einen eigenen Bildband rausgebracht, ging um Body Positive und trug den Titel „With and Without“, das war auf der halben Welt in der Presse und hat viele Menschen erreicht, das war echt stark, so ein eigenes Werk. Bestimmt kommt sowas nochmal irgendwann.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest? Gerne kannst du auch Künstler*innen empfehlen, die man sich mal zu Gemüte führen sollte.
Macht euch glücklich; tut die Dinge, die ihr tun wollt, verfolgt eure Leidenschaft und seid dabei ihr selbst.
Empfehlungen musikalisch sind auf jeden Fall meine Jungs von den Larrikins. Lester, Heavypop aus München, die bald eine neue Platte rausbringen. Die Jungs von 100 Kilo Herz, die ihre Herzen alle am rechten Fleck haben und musikalisch wie politisch gut sind. Dritte Wahl, was soll ich sagen, old but gold. Meine Freundin Mimi Barks, die eine großartige Künstlerin ist. Außerdem im Rap Delano und Xela Wie, die immer Vollgas geben und MOA, der gerade eine der besten Pop-Platten rausgebracht hat. Für jeden was dabei, würd’ ich sagen. Hört Musik, habt Spaß und bis bald!
Danke für das Interview, Sophia!