In unserer neuen Interview-Reihe wollen wir die Frauen der subkulturellen Szenen etwas genauer unter die Lupe nehmen. Nicht selten fällt auf, dass sich auf der Bühne überwiegend Männer die Instrumente hin und herreichen, doch was machen die Frauen der Schöpfung?
Ob am Merch, im Backstage, hinter der Kamera, an den Schreibtischen und auch im Rampenlicht – ein Thema, das oft zu kurz kommt und dessen Protagonistinnen wir per Interview in den Fokus rücken wollen.
Den Anfang macht in dieser neuen Reihe Jette, auch besser bekannt als Jette Mamarazzi aus Berlin. Man trifft sie auf alternativen Konzerten verschiedener Genres an, meisten im Bereich Punk oder HipHop.
Hallo Jette,
schön, dass wir dich als erste Teilnehmerin in unserer Reihe begrüßen dürfen und danke, dass du dich bereit erklärst uns ein paar Einblicke in deine Arbeit zu geben. Und los gehts:
Du fotografierst Punkkonzerte, seit wann machst du das und gab es ein spezielles Ereignis, das für dich der Auslöser war damit anzufangen? Was war das erste Konzert, das du fotografiert hast?
Ich hab direkt mal nachgeschaut. Mein erstes Konzert, das ich fotografiert habe war am 07.12.2013 und ich habe gerade geschmunzelt, verdammt sind meine Bilder da schlecht gewesen. Einen bestimmten Auslöser gab es eigentlich nicht, ich habe schon immer gerne fotografiert, hatte von einem Freund eine kleine Digitalkamera geliehen und als die irgendwann den Geist aufgegeben hat, war ich gerade mitten in einer berufsbegleitenden Ausbildung und mein Mann hat damals mit meiner Familie zusammen gelegt und mir meine erste Spiegelreflexkamera zum Geburtstag geschenkt, einfach weil ich einen Ausgleich zu meiner 60h Stunden Woche brauchte.
Anfänglich fast nur auf Punk- und Metalkonzerten, hat sich das in den letzten 3 Jahren schon sehr stark gewandelt, was ich für Konzerte fotografiere.
Kannst du uns einen kurzen Einblick geben, wo man dich in den letzten Jahren antreffen konnte?
Wie schon erwähnt, bin ich in den letzten 3 Jahren immer weniger auf Punkkonzerten anzutreffen gewesen. Es wird immer schwieriger auf Punkkonzerten zu fotografieren, was verschiedenste Gründe hat, auf die ich eigendlich auch nicht näher eingehen mag. Ich kann dazu nur sagen, dass ich das schon schade finde, aber geht eine Tür zu, öffnet sich ein Fenster. Und ich habe das als Chance genutzt mich weiter zu entwickeln und bin nun mehr und mehr auch im HipHop-Bereich unterwegs. Aber ich freu mich immer, wenn ich Anfragen für Konzerte im Punkbereich bekomme, weil ich mich selbst schon noch als Punk sehe.
Fotografierst du hauptsächlich in Berlin, oder fährst du auch mal zu bestimmten Konzerten in andere Städte? Wie triffst du da deine Entscheidungen?
Das ist sehr unterschiedlich, anfänglich, als es immer weniger Punkkonzerte in Berlin gab, die ich fotografieren durfte, bin ich viel mit Bands zu Konzerten gefahren. 2019 hab ich mich aber wieder mehr auf Berlin konzentriert, einfach, weil ich einen Vollzeitjob habe und merkte, jedes freie Wochenende in Deutschland unterwegs zu sein, geht halt doch etwas an die Substanz – bin halt keine 18 mehr. 2020 wird es wieder etwas durchwachsener, aber bei weitem nicht so viele Konzerte außerhalb von Berlin wie 2018. Ich arbeite Vollzeit in der psychiatrischen Pflege und damit auch 3-schichtig, da muss man schon kalkulieren und mit seinen Ressourcen gut umgehen und halt auch mal ein freies Wochenende einfach auf dem Sofa liegen bleiben.
Also würdest du dein Wirken eher privat als Hobby einordnen?
Das ist eine lustige Frage, besonders, weil sie gerade jetzt nicht so einfach zu beantworten ist. Bis Anfang Dezember 2019 hätte ich sie sofort mit Hobbyfotografin beantwortet. Aber das Leben ist Veränderung, also verändere ich mich auch. Ich plane gerade meinen Weg in die Selbstständigkeit. Erst mal aber definitiv als Kleingewerbe. Was einerseits daran liegt, dass Fotografie ein echt hartes Pflaster ist und weil ich meinen Job in der Psychiatrie einfach liebe und nicht aufgeben will. Wie das in 5 Jahren aussieht, weiß ich allerdings nicht.
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis in deiner Zeit als Fotografin, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Oh, das ist schwierig. Also letztes Jahr durfte ich in der ausverkauften Wuhlheide SDP fotografieren. Das hat mich schon sehr krass geflasht, da standen echt 16000 Menschen hinter mir. Ich bin Dag auch sehr dankbar, dass er mir das ermöglicht hat.
Natürlich gibt’s schon immer wieder Momente, die einen berühren oder besonders im Kopf hängen bleiben. Sei es die erste Bezahlung, die ersten Fotos in einem Booklet oder die erste Danksagung. Einige Bands begleite ich ja auch schon über Jahre und mit denen habe ich immer wieder besondere Erlebnisse, die ich nicht missen will. Aber ich glaube, wenn ich da jetzt anfange, sprenge ich hier den Rahmen.
Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness – und speziell in der Fotografie – in den letzten 20 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Ich muss ehrlich sagen, dass sich mein Blick auf das Musikbusiness in der Zeit auch schon geändert hat. So war ich vor 20 Jahren ja noch einfach nur Konsumentin. Mittlerweile hab ich auf viele Dinge einen anderen Blick. Was ich persönlich feststellen musste, dass mit zunehmendem Alter der Frauenanteil geringer wird. Viele Frauen verschwinden einfach irgendwann.
Es gab mal eine Situation, die ich nie vergessen werde. Da habe ich aber noch nicht fotografiert. Ich habe bei einem Festival Bühnenschutz gemacht, da muss ich so 18 gewesen sein. Alle wurden gefragt, bei welchen Bands sie denn gerne Schutz machen wollen und ich wollte unbedingt bei „Dritte Wahl“ an der Bühne sein. Das gab eine elendig lange Diskussion, weil das abgelehnt wurde und ich das ganz klar als sexistisch empfunden habe, weil es da als Begründung wirklich hieß, man wisse nicht genau, ob ich das als Frau machen sollte. Da habe ich damals noch total undiplomatisch rumgepöbelt. Heute würde keiner mehr so etwas sagen, aber ich denke, es würden Gründe gefunden werden, warum ich das nicht machen sollte. Daher glaube ich, dass in den letzten 20 Jahren, die Verbote besonders im alternativen Bereich dazu geführt haben, dass viele Dinge nicht mehr beim Namen genannt werden. Auch habe ich immer wieder das Gefühl als Frau darauf bestehen zu müssen, dass ich ganz gut meine Grenzen selbst abstecken kann und ich keinen 18jährigen Jungen (bildlich gesprochen) brauche, der mir sagt, wann ich mich diskriminiert fühlen muss. Ich bin 36 und kenne meine Grenzen ganz gut und kann diese auch wirklich sehr gut durchsetzen und wenn nicht, frage ich halt um Hilfe. Aber dieses ungefragte in eine Situation eingreifen und sofort die Sexismuskeule schwingen, mag sein, dass es gut gemeint ist, aber das nimmt mir ein Stück weit die Selbstbestimmung. Und das macht mich bei weitem wütender, als wenn jemand offen sexistisch ist und ich in die Konfrontation gehen kann. Ich liebe es zu diskutieren und in die Konfrontation zu gehen. 😉
Wie nimmst du die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Ich bin mir meiner Außenwirkung und meines Auftretens sehr bewusst. Ich bekomme immer wieder gespiegelt, dass ich das auch ausstrahle.
Ich nehme Dinge nicht hin, die mir nicht passen und wenn ich das Gefühl habe, dass ich aufgrund meines Geschlechtes nicht ernst genommen oder anders behandelt werde, dann geh ich da auch sofort ins Gespräch. Oft sind es kleine Dinge, die mein Gegenüber nicht als Problem wahrnimmt. Das lässt sich im Gespräch oft ganz schnell klären.
Eine sehr häufige Frage, die mir gestellt wird, wenn Menschen mich noch nicht kennen ist, wessen Freundin ich denn bin, dass ich fotografieren muss. Daher hab ich dann schon oft das Gefühl, mich mehr beweisen zu müssen, um ernst genommen zu werden.
Das ist sehr bezeichnend, die meisten Frauen, die Backstage sind, sind Freundinnen von irgendwem. Sie werden auch ganz oft als Freundin von BlaKeks vorgestellt. Führt immer wieder zu komisch anmutenden Situationen, wenn ich dann nochmal gezielt nachfrage, wie die Person denn nun heißt. Besonders, weil jeder der mich kennt, weiß, dass ich mir keine Namen merke. Aber in solchen Situationen geht’s mir auch eher darum, den Leuten zu zeigen, dass sie gerade jemanden darauf reduziert haben, dass sie die Freundin z.B. eines Künstlers ist. Oder, auch eine Situation, die ich ganz ätzend finde, ist, dass Leute jedem guten Tag sagen und die Partnerin, die daneben steht, weder guten Tag sagt, noch ins Gespräch eingebunden wird. Als Fotografin wird man oft nicht mehr wahrgenommen und kann vieles beobachten.
Gründe hierfür sehe ich an verschiedenen Punkten. Einfach nur Frauenbilder, die die Menschen aus ihrer Kindheit noch nicht ganz abgelegt haben, der geringe Anteil an Frauen generell, teilweise auch, weil es Frauen gibt, die bestimmte Klischees bedienen.
Im HipHop-Bereich muss ich aber ehrlich sagen, ist es mir weniger schwer gefallen mich zu etablieren. Da habe ich zwar ganz andere Diskusionen geführt als bei Punkkonzerten, aber da wurde ich sehr schnell respektiert. Was, denke ich, aber auch an der Qualität meiner Bilder liegt, habe mich ja stetig verbessert, bilde ich mir zumindest ein.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt noch erleben möchtest, vielleicht eine Band, die du gern mal vor die Linse bekommen willst?
Besonders freue ich mich auf meine Selbstständigkeit, das ist eine große Herausforderung mit vielen Hürden. Welche Bands ich gerne fotografieren will, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass es weiter so abwechslungsreich bleibt, dass ich weiter in andere Subkulturen reinschnuppern kann. Ich hab durch meine Fotografie so unsagbar viele intressante Künstler kennen lernen dürfen und wünsche mir, dass ich nie alles gesehen habe und immer noch etwas Neues kommt.
Hast du für die Leser/innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Lieb was du machst, steh für dich ein, bitte, wenn es sein muss um Hilfe und sei respektvoll, auch wenn du dein Gegenüber vielleicht nicht verstehst und mit seiner Einstellung nicht unbedingt etwas anfangen kannst. Diese Einstellung hat mir in den letzten Jahren viele Türen geöffnet, hat mir viele neue Menschen in meinem Leben beschert, die ich respektiere und schätze, auch wenn ich nicht immer alles hart feier, was sie machen. Und geht immer ins Gespräch, erklärt euch, lasst zu, dass das Gegenüber sich erklärt. Mit Verboten und Anschweigen bekommt man niemanden dazu umzudenken. Und Veränderung braucht manchmal Zeit.
Danke für deine Zeit und deine Antworten!