Willkommen zu einer neuen Runde “Frauen im Musikbusiness”! Nachdem es letzte Woche im Interview mit Jani von WRACKSPURTS und MiGRRRäne F. richtig viel zu lesen gab, machen wir heute mit JOLLY GOODS aus Rimbach weiter. Haltet die Augen offen, am 20. November bringt das Duo ein neues Video an den Start. Viel Spaß beim Lesen und bleibt dran!
Heyho, danke euch für die Bereitschaft zum Interview in unserer Reihe. Bevor wir ans Eingemachte gehen: Was gibt es zur Bandgeschichte zu sagen, wie habt ihr euch gegründet? Gab es vorher andere Bands, in denen ihr gespielt habt? Und wie war euer allererstes Konzert mit JOLLY GOODS? Könnt ihr euch daran erinnern?
T: Die Band wurde an einem Sommerabend im Mai 2003 gegründet. Ich habe mit meiner Schwester jeden Tag direkt nach der Schule im Keller zusammen Musik gemacht und Songs gespielt. Angy war 12 und ich war 16. Es war unser Zufluchtsort. Vor dieser Band haben wir in keinen anderen Bands gespielt. Unser erstes Konzert war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich habe alle Angst hinter mir gelassen und beschlossen nichts darauf zu geben, was andere Leute über uns denken würden. Die meisten konnten nicht viel mit uns anfangen, und wir waren mit othering konfrontiert. Wir waren das andere, das besondere, nur weil wir als Frauen* gelesen wurden und jung waren. Frauen* machen schon seit Jahrzehnten solche Musik und es wird noch immer getan, als wäre es etwas neues. Die Geschichte wird vergessen und ausradiert.
Gleich Butter bei die Fische: Was denkt ihr sind die Gründe dafür, dass auf den meisten Punkrock-Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen stehen? Wie kann man das ändern?
T: Es ist strukturell bedingt. Es gibt einen Haufen toller Musik von Frauen*, aber die meisten Plattenfirmen, die Festivalbooker_Innen, die Musikjournalist_Innen sind von einer männlichen Kultur geprägt, die Frauen* ausschließen. Der Kumpel findet eben die Kumpelband am tollsten und identifiziert sich mit denen und will sie auf sein Label signen und richtig viel Energie investieren um diese bekannt zu machen. Die sind vielleicht so wie er früher, da ist viel Identifikationspotenzial. Und die Band, die aus Frauen* besteht, wird dann nicht unbedingt verstanden, höchstens als das Besondere/Andere, was sich Frauen* in der Regel aber gar nicht wünschen. Das ist ein Mechanismus, der die bestehenden Verhältnisse verfestigt. Es sollte normal sein, weil es normal ist. Es gab und gibt schon immer Frauen*, die Musik machen. Auf den meisten Festivals herrscht eine Monokultur. So gut wie jedes Festival Line Up ist ziemlich beschissen und langweilig. Es gibt fast keine Festivals, die mich ansprechen. Und obwohl ich zu circa 80% auf Spotify Musik von Frauen* und/oder LGBTQI höre, sind die Playlists, die mir Spotify automatisch erstellt, zu circa 80% voll mit Songs von männlichen cis Musikern. Ich könnte jetzt sagen, Spotify kennt einfach kein Geschlecht, oder dass so ein Algorithmus bestehende Verhältnisse reproduziert, die aber gar nicht meine sind. Vielleicht könnte die männlich geprägte Musikkultur auch als eine Art Algorithmus verstanden werden. Anders ist es ja fast nicht zu erklären, dass sich im Business nicht so viel ändert.
A: Dass es strukturell bedingt ist, gilt als Regel: Es sind nicht nur Punkrock-Bühnen betroffen, sondern ist genreübergreifend der Fall. Nicht nur auf Bühnen oder “wichtigen” Positionen fehlen Frauen* und/oder LGBTQI, nicht weil sie nicht fähig sind, sondern weil ihnen oftmals der Raum nicht gegeben wird. Es sind Zwangsverhältnisse. Das liegt nicht zuletzt an einer männlich geprägten (Musik-)Kultur, sondern auch schlicht und einfach am misogynen Normalzustand, der wiederum die patriarchalen Verhältnisse legitimiert. Damit meine ich nicht, dass der Normalzustand misogyn sein soll, er ist es aber.
Letztes Jahr habe ich euch in Leipzig als Vorband von MUFF POTTER gesehen. Wie ist es mit so einer mehr oder weniger bekannten Männer-Band auf Tour zu sein? Gibt es Dinge, in denen ihr euch da als Frauen benachteiligt seht? Wurdet ihr vielleicht beispielsweise in irgendeiner Hinsicht nicht Ernst genommen?
T: Wir sind es etwas leid, auf so eine Opfer-Ebene gebracht zu werden. “Gibt es Dinge, in denen ihr euch als Frauen benachteiligt seht?” Wir MUSSTEN uns, ob wir wollten oder nicht, von Anfang an mit der Frage des Geschlechts auseinander setzen, weil es uns immer wieder vor die Nase gehalten wurde. Und eigentlich wollten wir nur Musik machen, die wir lieben. Es wäre an der Zeit, alle Männerbands zu fragen, ob es Dinge gibt, bei denen sie sich als Männerband bevorzugt fühlen. Da müsste mehr Reflektion stattfinden, damit sich mal was ändert. Das Muff Potter uns als Vorgruppe mitgenommen haben ist eine gute Sache. Uns sind auf der Tour hinter den Bühnen fast nur Männer begegnet. Das lag bestimmt nicht daran, dass sich nur Männer für Musik interessieren. In so erfolgreicheren Milieus scheint es noch monokultureller zu laufen. Einfach ziemlich langweilig. Und viele scheinen sich da eher einfach wohl zu fühlen, als dass es ihnen extrem seltsam vorkommt und die wollen, dass sich was ändert. Von daher denke ich, dass diese Reflektionsfrage eher Männerbands gestellt werden sollte.
A: Muff Potter haben einen guten Schritt getan. Ich sehe es als das Mindeste an, was Musiker tun können: Musikerinnen* und LGBTQI Raum zu bieten. Das bedeutet ja nicht, dass Männer komplett verschwinden sollen, es sollte aber eben Platz für alle da sein. Ich würde nicht nur die Umkehrfrage stellen, “Wo seht ihr euch Männer im Musikbusiness bevorzugt?” sondern auch “Was könnt ihr als Männer eigentlich beitragen um das männlich dominierte Musikbusiness mit uns gemeinsam auf den Kopf zu stellen?”. Also nach dem Perspektivwechsel sollte nicht nur Reflektion stattfinden, sondern definitiv eine Intervention folgen.
Bezeichnet ihr euch als Femistinnen? Und wenn ja, was bedeutet das für euch und wie lebt ihr das im Alltag?
T: Feminismus bedeutet für eine Gleichberechtigung jeglicher Geschlechter zu sein. Also keine Feminist_in* zu sein, wäre eine Beleidigung für meine Intelligenz.
A: Same here. Ich bin Feministin, weil ich noch den letzten kleinen Funken Hoffnung verspüre, dass die Welt in der wir leben nicht zwangsläufig so scheiße sein muss, wie sie derzeit ist. Es ist beispielsweise ein totaler religiös-verseuchter Irrglaube über reproduktionsfähige Körper entscheiden zu wollen. Personen ein Selbstbestimmungsrecht über ihre eigenen Körper zu entziehen ist einfach wahnsinnig. Entschuldigung, aber so scheiße müssen “wir” wirklich nicht sein.
Und was denkt ihr, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren generell verändert hat?
T: Wir kennen eigentlich nur extrem ernüchternde Zahlen. Musik von Frauen und LGBTQ scheint sich in der Regel immer noch eher in Nischen abzuspielen.
Thema Pandemie: Was hat Corona für euch in Sachen Musik verändert? Ist die “Zwangspause” Fluch und Segen zugleich? Was denkt ihr, wie es danach weitergeht?
T: Wir haben Ende Januar unser neues Album “Slowlife” veröffentlicht und konnten nur unsere Release Show spielen, danach mussten alle Konzerte abgesagt werden. Das war natürlich ein schlechtes Timing, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass wir 5 Jahre an dem Album gearbeitet hatten. Es gab viel Presse, aber dann ist das alles eingestürzt. Es geht nicht mehr viel. Aber es gibt wahrlich schlimmeres. Privat nimmt mich Corona und die Einschränkungen, wie sie gerade sind, nicht besonders mit. Im Supermarkt werde ich nicht mehr angerempelt, die Leute halten Abstand, und alles ist etwas ruhiger und Slowlife mäßiger. Der Planet, die Natur können ein bisschen aufatmen.
Danke euch für das Interview und viel Erfolg für die Zukunft!
Am 20. November kommt übrigens ein neues Video von JOLLY GOODS raus, hier könnt ihr euch auch von bisherigen Erscheinungen schon einmal einen Eindruck machen: