Heute unterhalte ich mich mit Andrea von der Streetpunk Band Pestpocken, die ja gerade aktuell mit ihrem neuen Album “Another world is possible” in aller Munde sind. Zudem zeigt die Band schon seit jeher klare Kante und lässt sich auch nicht einschüchtern, wenn es um politische Aussagen geht. Zudem kann die Band auf unzählige Touren unter anderem auch in Russland zurück blicken. Grund genug also, Andrea mal ein wenig zu befragen. Viel Spaß beim lesen.
Hallo Andrea,
ich muss zugeben, dass ich schon gefühlt ewig ein kleiner Pestpocken Fan bin und das für mich ein kleines Highlight ist! Lass doch mal zu Anfang hören, was du so alles bisher im Musikbereich gemacht hast und was du aktuell so alles im Musik- und Punkbereich machst?
Seit über 20 Jahren bin ich nun bei den Pestpocken. Ich sage bei den Pestpocken, weil ich tatsächlich, wenn wir es jetzt ganz genau nehmen, dazu gestoßen bin als Danny, Stine und Mirmo schon die Idee dazu hatten. 1997 haben wir dann gemeinsam ernsthaft – haha, das klingt jetzt lustig, wenn man bedenkt, was wir für Musik gemacht haben – angefangen, die Band zu entwickeln. Wir konnten so gut wie gar nichts, aber genau das fand ich an Punk immer schon geil, dieses ermächtigende Element darin. Du kannst es einfach machen, wenn du Bock darauf hast und es ist scheißegal, was die anderen darüber denken, mach einfach dein Ding! Über Punk wurde ich nicht nur auf eine spezielle Weise sozialisiert, auch hat mich die Musik sehr politisiert. Punk ist mehr als Musik, aber die (potenzielle) Einfachheit der Musik hält den Zugang niedrig. Und so war es mein Zugang, nicht nur Musik zu hören, sondern sie zu machen. Und dieses Gefühl war und ist einfach nur geil!
In anderen Bands habe ich bislang nicht gespielt. Zeit und Motivation haben da eine Rolle gespielt. Neulich durfte ich für unsere friends Kotzreiz einen Song mitsingen, was mir echt große Freude bereitet hat, weil ich da anders singen konnte als bei Pestpocken (wobei wir verschiedene Gesangsarten meiner Stimme nun auch bei den Pestpocken integrieren, zumindest teilweise). Aktuell bin ich motiviert, auch mal was anderes zu machen bzw. auszuprobieren und wollte eigentlich, jetzt wo ich in Berlin lebe, das mal etwas forcieren – nun kam Corona dazwischen..
Neben meiner langen Zeit in der Band habe ich in Gießen jahrelang Konzerte und Festivals mit organisiert. In den letzten Jahre ist das etwas eingeschlafen, aber hätte voll Bock mal wieder sowas zu machen. Mit den richtigen Leuten kann das sehr viel Spaß machen.
Wie ist es denn so als einzige Frau in der Band? Gibt es da des Öfteren Differenzen oder seid ihr da schon alle auf einer Wellenlänge? Gibt es Themen, wo es in der Band eine unterschiedliche Einstellung zwischen dir und den Jungs gibt?
Die Band muss sich gut fühlen, sonst geht das für mich nicht. Denn wir teilen ja auch viel Nähe in der Band. Es kommt durchaus vor, dass es Situationen gibt, die die anderen schwer anders wahrnehmen und erleben als ich es tue. Dann muss ich mich auch mal erklären, warum mir z.B. das Wohlfühlen mit meinem Bandmembers neben dem Musikalischen extrem wichtig ist. Manchmal strengt es mich an, dass ich mich erklären muss oder meine Gewohnheiten anpasse: Ey Leute, ich geh nicht gern allein pennen, da liegen bereits 15 mir unbekannte Typen im Pennraum. Ich warte fast immer bis einer meiner Bandmembers pennen geht, weil ich mich dann einfach wohler und entspannter fühle. Und Entspannt-Sein ist fürs Einpennen schon gut. Oder wenn ich z.B. nach einem Konzert mein T-Shirt wechseln muss. Ich hab kein Problem mit Nacktheit, aber ich fühle mich nicht so wohl allein mit 20 Männern im Backstage, wenn es zu so Situationen kommt, wo ich mich umziehen muss. Oft quetsche ich mich dann in eine Klokabine. Das sind, glaube ich, Dinge, die die anderen so nicht erleben oder wahrnehmen.
Wie wirst du als Frau von Seiten der Veranstalter behandelt und hattest du da schon mal in irgendeiner Form Probleme als Frau? Zum Beispiel nicht gehört zu werden oder Respektlosigkeit etc.?
Das schließt ein bisschen an die vorherige Antwort an. Es ist nicht so, dass ich offensiv anders behandelt werde, also in der Regel. Es sind eher die kleinen Aspekte, die viele – meist männliche – Veranstalter(*innen) nicht auf dem Schirm haben: So wie die Sache mit dem Pennräumen. Wie froh bin ich, wenn dies mal von den Veranstalter*innen bedacht wird. Das ist aber die absolute Ausnahme! Zudem wirke ich auf Leute oft recht taff und stark, Frontfrau in einer Punkband, die hält was aus. Um es auch mal zu sagen: Leute, ich bin auch mal schwach und ich bin auch mal empfindlich. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der der weibliche Körper ständig sexualisiert wird, macht es auch etwas mit einem, die einzige Frau im Backstage zu sein. Ich würde mir wünschen, dass wir Frauen mehr gefragt werden: Was brauchst du, um dich hier bei uns wohl zu fühlen? Eigentlich eine ziemlich einfach Frage.
Wurdest du als Veranstalterin auch schon von Bands dumm angemacht, weil du eine Frau bist oder war das immer cool? Wurdest du da immer respektiert oder musstest du schon negative Erfahrungen machen?
Hmmm, fällt mir gerade nichts dazu ein, vielleicht hab ich es auch verdrängt, denn wieder: Es sind die kleinen Dinge, manchmal Gesten, so wie Augenverdrehen, oder mich belehren zu wollen, einen nicht ernst nehmen oder immer besser zu wissen und „es“ mir erklären zu wollen, das sind die Dinge, die verletzen! Und ich bin mir fast sicher, denen, denen so eine Reaktion passiert, fällt das wahrscheinlich gar nicht auf, sie haben es nicht auf dem Schirm. Spreche ich Männer darauf an, sind sie oft schockiert von sich selbst, halten sie sich meist als emanzipiert von dieser Scheiße. Aber es ist echt schwer, sich Abwertungsgesten in Sprache und im Handeln abzugewöhnen. Das geht mir ja auch so! Diese Dinge sind gesellschaftlich tief verankert.
Ihr kommt ja viel auch in anderen Ländern rum. Wie ist da deine Wahrnehmung mit Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und wie engagieren sich in anderen Ländern die Menschen für eine Gleichberechtigung?
Das ist super unterschiedlich und zum Engagement kann ich nicht viel sagen, da bekommen wir zu wenig mit bzw. hab ich manchmal nicht so die Zeit, mit einer Person so intensiv auf einem Konzert zu sprechen, dass wir da landen, also bei Themen, wo es echt ums Eingemachte geht. Meiner Wahrnehmung nach sind hier die Perspektiven der Geschlechter auf das Thema Gleichberechtigung super unterschiedlich. Und das kann ich vielleicht beim Nachdenken über diese Frage feststellen: ich rede auf Konzerten mehr mit Männern. Zum einen weil mehr Männer anwesend sind, auch in den Veranstaltungsteams, und zum anderen, weil sich Männer das Anquatschen von Bands mehr trauen. So zumindest mein Eindruck.
In welchem Land hast du bisher am liebsten gespielt und warum?
Das ist eine ganz schwierige Frage, weil es super oft einfach von Location und Veranstalter*innen abhängig ist. Allerdings war unsere Reise nach Israel im letzten Jahr (2019) super beeindruckend und echt toll. Das Land ist gesellschaftlich spannend, dazu war ich neugierig auf die Punk-Szene vor Ort. Dann ist auch noch das Essen so super lecker – dauernd best falafel und hummus in town. Geil! Zwischen den Konzerte noch ins Tote Meer springen und feststellen: Ja geil, ich gehe ja echt nicht unter! Hammer!
Hast du das Gefühl, dass ihr als Band auch innerhalb der Szene mit eurer Einstellung gehört werdet und wie macht sich das bemerkbar?
Doch, das nehme ich durchaus wahr, sowohl digital als auch „offline“, hier vor allem in Gesprächen. Mich freut es dann, wenn Menschen davon berichten, dass sie mit diesem oder jenem Song diese oder jene Erlebnisse und Erfahrungen verbinden. Aber es sind auch nicht immer schöne Sache, die sie damit verknüpfen. Wenn sie z.B. mega Nazistress in ihrer Stadt haben. Mein Eindruck ist auch, dass von vielen geschätzt wird, dass wir politisch eine klare Einstellung haben und dass wir wütend sind! Ich selbst wurde krass von Bands wie Slime geprägt, die einfach klar waren in ihren politischen Aussagen und nicht „nur“ Musik gemacht haben. Deshalb ist mir und den anderen in der Band dieser Aspekt wichtig, etwas zu sagen zu haben. Wenn ich dann junge Menschen im Publikum sehe, die bei unseren Songs abgehen und mitsingen, freut es mich mega, weil ich denke, so jetzt sind schon mal ein paar Gedanken im Kopf, die anregen zum Denken, hoffentlich. Ich selbst war mit 20 noch so suchend, für mich waren da Bands wie Slime echt eine ausgestreckte Hand, die ich gern entgegengenommen habe.
Jetzt habt ihr ja kürzlich ein neues Album veröffentlicht und wie du oben schon geschrieben hast, kam ja leider Covid19 dazwischen. Wie geht ihr mit der aktuellen Situation um und wie fangt ihr den Schaden auf? Ist ja gerade bei einem neuen Release enorm. Oder?
Ja, das ist super ärgerlich und auch finanziell für uns nicht ganz einfach, weil die Bandkasse durch das neue Album leer ist, wir aber nichts einspielen können. Zudem sollte es ja eine Tour mit Kotzreiz geben, die aufgrund der Ausbreitung von Covid19 komplett verschoben werden musste. Das wäre eine wirklich gute und wichtige Möglichkeit gewesen, euch das neue Album auch live zu präsentieren – zumindest Teile davon.
Du darfst an drei Organisationen deiner Wahl etwas spenden. Wer käme in Betracht und warum?
Ich spende an drei Organisationen meiner Wahl sehr regelmäßig. Da ist zum einen das AK44 in Gießen, mit dem ich mich immer noch sehr verbunden fühle, war das eine Zeit lang quasi mein Wohnzimmer. Dieser kleine Kulturraum ist einfach – und vor allem jetzt durch Covid19 – darauf angewiesen, dass Kohle fließt. Dann spende ich monatlich an Pallium eV, eine kleine NGO, die vor allem AIDS-Waisenprojekte und support-Gruppen in Namibia unterstützt. Lange Zeit habe ich in diesem Verein auch ehrenamtlich mitgearbeitet und war mehrmals auch vor Ort, wo wir als Arbeitshilfen die unterschiedlichsten Projekte mit aufgebaut haben. Und dann spende ich noch an seawatch, deren Arbeit ich mega respektiere und die so unglaublich wichtig und wertvoll ist.
Jetzt leben wir ja in einer ziemlich schrägen politischen Lage (nicht nur in Deutschland), was sollte sich da deiner Meinung nach ändern, damit wir wieder alle friedlicher und sozialer miteinander leben? Wo siehst du Chancen und wo eher negative Aspekte?
Echt schwierige Frage, auf die ich auch gern eine Antwort hätte. Ich glaube, viele haben gehofft, dass in der Covid19-Pandemie auch etwas Positives steckt. Das stimmt sicher auch, ein Blick auf die Ereignisse rund um die Fleischindustrie zeigt das: Neue Gesetze, die ausbeuterische Werkverträge verbieten, werden nun wohl kommen. Das ist etwas Positives. Aber alles in allem verschärft die Pandemie gesellschaftliche Ungleichheiten. Das zeigen auch neuere Studien. Schon vor Covid19 fanden weltweit jeden Tag knapp 130 Frauenmorde statt, in der Regel aus dem nahen Umfeld dieser Frauen, also deren Liebhaber, Freunde, Ehemänner. In Zeiten des shutdowns und dem Gebot, zu Hause zu bleiben, wird sich das verschärft haben. Hinweise darauf kommen bereits aus China. Oder hier in Berlin sind mir in letzter Zeit richtig viele Plakate aufgefallen, mit Hilfsangeboten für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt werden. #stayathome ist für manche Menschen eine echte Lebensgefahr. Das sollten wir bei all diesen Debatten nicht vergessen. Oder für Menschen, die kein Zuhause haben bzw. sich das mit 10 anderen Menschen auf kleinstem Raum teilen.
Meine Hoffnung in der ganzen Scheiße: Bestimmte Zustände lassen sich nicht mehr verdecken, so wie die Zustände in der Fleischindustrie. Menschen fangen an darüber zu sprechen. Manche hören gar zum ersten Mal darüber, nicht aus Böswilligkeit, sondern weil es eine unendliche Liste an Ungerechtigkeiten gibt, die keine*r wirklich überblickt. Bestimmt gibt’s auch Leute, die das wirklich null interessiert. Erst mal nicht mit denen aufhalten, sondern sich mit denen zusammen tun, die offen sind für Veränderung und mit denen überlegen, wie die Dinge gemeinsam umzusetzen sind. Und immer offen bleiben für neuen Input, für neue Leute, die Lust haben mitzumachen. Ich glaube, das alles geht nur ganz langsam und kostet Geduld und Kraft. Das kann/will nicht jede*r aufbringen. Self-/Care ist in diesem Kontext wirklich auch wichtig. Die eigenen Grenzen zu sehen. Ich sehe viele Menschen, die richtig engagiert sind, die viel tun, die aber oft an und über ihre Grenzen gehen, manchmal bis zur Erschöpfung. Das sich Umeinander-Kümmern heißt auch, sich um sich zu kümmern. Es ist also echt in Ordnung, auch mal zu sagen: Ey Leute, ich kann gerade nicht, weil ich auch mal wieder zu Kräften kommen muss.
Jetzt hab ich dich doch mit einigen Fragen gelöchert und nun hast du die Möglichkeit, allen Leserinnen und Lesern noch was mit auf den Weg zu geben oder einfach noch was los zu werden.
Was den Pestpocken und auch mir persönlich immer wichtig war: Wut ist eine Waffe! Wir sind echt wütend, das sagen auch viele Menschen über unsere Songs/Texte. Wir meinen keine blinde Wut, die willkürlich und ohne Nachdenken passiert. Wut macht handlungsfähig. Sie hat das Potenzial Ohnmacht zu überwinden. Nutzt diese Energie. Und schreien kann sowas von befreiend sein, vor Wut zu schreien, auch wenn das erst mal nichts konkret an bestimmten Zuständen ändert, ist dies zumindest mal ein Ausdruck: Ey, hört zu, ich bin mit dieser ganzen Scheiße nicht einverstanden! Und das schrei ich dir ins Gesicht! Damit du mich auch wirklich hörst! Klar ist reden und sich austauschen, sich gegenseitig Perspektiven verständlich zu machen, wichtig, keine Frage. Aber manchmal wurde genug geredet. Oder mit manchen Menschen will ich gar nicht reden, weil die mich oder andere Menschen nicht so akzeptieren wollen, wie wir sind. Ich diskutiere nicht mit offenen Sexist*innen oder Nazis. Denen will ich ins Gesicht schreien: Halt die Fresse! Wut wird ja Frauen gesellschaftlich nicht zugestanden. Wir werden gleich als hysterisch gelabelt. Auch dagegen sollten wir uns wehren. Deshalb Ladies: Seid echt auch mal richtig wütend und lasst dies raus!!! Es tut nämlich gut, den Scheiß nicht immer in sich hineinzufressen. Also: Go for it! Geht auch ziemlich gut außerhalb von Bands 😀