Mit Andrea von Pestpocken hatten wir letzte Woche wieder eine interessante Persönlichkeit in unserer Reihe – heute steht gleich eine ganze Band zum Interview bereit, nämlich SHIRLEY HOLMES! Aber lest selbst:
Mit SHIRLEY HOLMES seid ihr ja recht erfolgreich, spielt unter anderem als Support für SLIME (gut, das war einmal 😉 ) und TERRORGRUPPE. Wie habt ihr euch gegründet und habt ihr vorher in anderen Bands gespielt? Wie war euer allererstes Konzert mit SHIRLEY HOLMES? Könnt ihr euch daran erinnern?
Mel und Ziggy haben sich über einen Produzenten kennengelernt, der gerade Ziggys Band und Mels Soloprojekt aufnahm, er fand, das müsste ein guter Match sein und wir sollten zusammen das Finetuning an Mels Texten machen. Die Chemie stimmte sofort und nach ein paar Sessions Feilerei sagte Ziggy plötzlich: “Ich spiel jetzt hier Bass.” Punkt. So entstand SHIRLEY HOLMES.
Nachdem wir zusammen ein paar Songs geschrieben hatten, suchten wir uns einen Drummer und legten mit Triple Lärm im Proberaum los. Eigentlich sollte auch noch ein Leadgitarrist her, aber da wir niemanden passendes fanden, musste Mel halt alleine ran. Und bei dieser Dreierkonstellation blieb es dann auch – zu unserem Glück. Vier Leute hätten wir mit unseren Gagen nicht durchbringen können 😉
Nach ein paar Umbesetzungen an den Drums (die Boys wurden tatsächlich alle schwanger) landeten wir bei Chris, mit dem wir jetzt schön aufs Gaspedal treten können. Fun Fact: Chris ist eigentlich Gitarrist, hatte aber so viel Bock auf Schörlie, dass er sich dafür richtig Schlagzeugspielen draufgeschafft hat. We like.
Vor SHIRLEY HOLMES haben wir alle in unterschiedlichsten Bands gespielt, musikalisch deckte das bis auf Death Metal und Jazz so ziemlich alles ab.
Der erste Schörlie-Gig fand auf einer Silvesterparty in einem Friedrichshainer Schuppen statt, dazu gibt es tatsächlich nur noch schemenhafte Erinnerungen. Das erste „offizielle“ Konzert stieg ein paar Wochen später im Berliner Zapata im Tacheles, Gott habe es selig. Wir hatten uns noch nicht auf einen Bandnamen geeinigt und unser Drummer hatte wohl kurzerhand angegeben, wir hießen „Früchte des Zorns“, so war es auf jeden Fall im Stadtmag zitty zu lesen, ha ha. Es war aufregend. Und hat irre Spaß gemacht!
Klingt nach einem guten Start. Zurück in die Gegenwart: Durch Corona ist dieses Jahr viel ausgefallen und auch viele Konzerte in den nächsten Monaten stehen auf der Kippe. Wie geht es euch damit? Blaupause oder Langeweile? Wie gehts weiter, wenn alles irgendwann (hoffentlich) wieder “normal” wird?
Langeweile kam bisher eher nicht auf, wir haben ja im April unser neues Album DIE KRONE DER ERSCHÖPFUNG via Rookie Records veröffentlicht und hatten daher trotz Corona echt viel auf dem Zettel. Dass die ganzen Konzerte und somit auch unsere komplette Record Release Tour ausfiel, war quite suboptimal. Und als dann noch der Bescheid kam, dass alle Festivals gecancelt werden, war die Stimmung erstmal mau, das tat ziemlich weh, da wir uns wirklich mega auf die Festivalsaison gefreut hatten. Aber es bleibt dabei, wenn wir uns umsehen, ist unsere Situation trotz allem eher unter dem Begriff „Luxusprobleme“ zu verbuchen. Also tief durchatmen, die relative Ruhe genießen, nach links und rechts gucken und weitermachen. Wenn alles wieder „normal“ ist, sollen die Konzerte nachgeholt werden. Aber wann das so sein wird bzw. was das neue „normal“ sein wird, who knows. Für November sind, du hast es schon erwähnt, die Supportshows für TERRORGRUPPE geplant, wir hoffen insgeheim auf ein Wunder – und freuen uns, wenn es klappt.
Ich drücke euch die Daumen. In der Zwischenzeit kann man sich vielleicht auch anderen Dingen widmen. Seid ihr außer als Band auch in anderen Bereichen oder Projekten aktiv, die ihr hier vielleicht vorstellen wollt?
„Häkeln für den Frieden“ – das ist ein integratives Projekt, das versucht, ein gewaltfreies Miteinander herbeizuhäkeln. Seit der Coronakrise häkelt zwar jede*r für sich alleine, aber wir bleiben dran. – Ok, ehrlich gesagt bleibt für ernsthafte, also zeitintensive Dinge neben der Band wenig Zeit, weil wir alle ja auch noch Jobs haben. Aber wir unterstützen Projekte, z.B. die #LeaveNoOneBehind-Kampagne der Seebrücke, die sich für den Schutz und die Rechte von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen einsetzt. Im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos z.B. leben gerade um die 15.000 Menschen auf einem Raum, der nur für 3.000 Menschen ausgelegt ist. Teilweise teilen sich 150 Personen eine Toilette, eine Dusche, tausende von Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu fließend Wasser. Nicht nur in Zeiten von Corona der blanke Horror. Auf seebrücke.org kann man eine Petition unterschreiben, sich weiter informieren, an Aktionen teilnehmen. Spenden kann man z.B. HIER oder DA. Please, have a look.
Kommen wir mal etwas näher zum Thema unserer Interview-Reihe: Was denkt ihr sind die Gründe dafür, dass auf den meisten Punkrock-Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen stehen? Wie kann man das ändern?
In diese Diskussion – und auch in die sich ihr anschließende Praxis – ist in letzter Zeit einiges an Bewegung gekommen durch mehr Aufmerksamkeit für das Thema, es gibt in der Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Booker*innen eine wachsende Sensibilität und einige der Festivals, die sich immer noch Programme fast ohne Frauen hinbasteln, haben auf Nachfrage mindestens ab und an mittlerweile ein schlechtes Gewissen. Aber klar gibt es auch immer noch Leute – nicht nur Männer übrigens – die die Forderung nach mehr Balance albern finden. Begründung ist dann oft: Es müsse ja die Qualität im Vordergrund stehen… Es gibt inzwischen eine Reihe von Initiativen und auch immer mehr Frauen-Netzwerke, die bei klar männlich dominierten Line-Ups Alternativvorschläge für Frauenbands abgegeben, der gegenseitige Support ist sehr viel wert und auf jeden Fall ein guter Anfang.
Was die Gründe dafür sind? Natürlich hat das erstmal strukturelle Ursachen, liegt an vielen Stellen an den immer noch sehr festen Geschlechterrollenbildern: So simpel es klingt, aber eher selten bekommt ein kleines Mädchen zum Geburtstag ein Schlagzeug oder eine Gitarre von seinen Eltern geschenkt. Und um von alleine auf den Wunsch zu kommen, haben jahrelang die Vorbilder in ausreichender Quantität und Sichtbarkeit gefehlt. Förderung für Grrrrlz in the Music Biz gibt es schönerweise – aber Ewigkeiten lang nur von einzelnen engagierten Menschen und Initiativen, also insgesamt eher in mikroskopisch kleinem Umfang. Aber, as said, es tut sich etwas. Apropros Vorbilder: Wenn wir auf Festivals spielen, auf denen manche Eltern ihre Kids dabeihaben, ist es schon oft so gewesen, dass kleine Mädchen mit großen Augen vor der Bühne standen und fasziniert davon waren, Frauen auf der Bühne zu sehen und dann auch noch mit Instrumenten und Action. Oft haben wir uns mit ihnen später am Merchstand unterhalten und sie ermuntert, selbst aktiv zu werden. Viele von ihnen spielten schon ein Instrument, haben sie stolz erzählt, Geige, Klavier, Cello, ab und an kam auch mal eine Gitarre vor, aber sie haben sich nicht getraut, eine Band zu gründen. Denen haben wir natürlich Beine gemacht. 🙂 Und ein paar Verzerrer ans Herz gelegt. Und genau das ist es, schon die jungen Mädchen zu ermuntern, loszulegen. Wenn Jungs eine Band gründen, könnten sie versuchen, die Ladies mitzudenken, also mit in die Band zu holen. Bei Support Slots könnte man nicht nur ausschließlich die befreundeten Jungsbands anfragen sondern eben auch mal ne Frauenband. Es klingt vielleicht naiv und simpel, aber so einfach ist es, es sind doch eben genau solche Dinge, die ganz praktisch passieren müssten. So einige machen das auch schon und so ist es doch ein gutes Miteinander. Und die Booker*innen können natürlich auch ihren (großen) Teil zu ausgewogeneren Line-Ups beitragen. Keine Ahnung, ob im Punkrock-Bereich jemals 50/50 erreicht wird, bzw. doch ne Ahnung, aber alles ist besser als die aktuelle Quote.
Wie geht ihr selbst mit Booking-Anfragen um, aus denen subtil hervorgeht, dass ihr vor allem für die Frauenquote eines Festivals oder einer Veranstaltung gebucht werdet? Passiert sowas überhaupt? Erfahrungsberichte?
Das ist ganz sicher schon passiert und mindert die Freude natürlich etwas. Andererseits ist es lobenswert (auch wenn es eigentlich selbstverständlich sein sollte), dass ein Umdenken stattfindet, sich bemüht wird. Es wird sich nichts ändern, wenn man genervt absagt, der „Teufelskreis“ würde ewig weitergehen. Also Vorbildfunktion annehmen, Spaß haben und zeigen, dass es selbst bei Frauenbands Qualität gibt, lol. Am Ende zählt das Ergebnis also let’s go for it.
Zuletzt gab es auch ein TERRORGRUPPE-Interview in der Plastic Bomb mit Statement zum Thema “Frauen in der Szene”. Ihr steht demnächst für einige Gigs besagter Band als Support auf der Bühne. War der Ausgleich der Geschlechter dabei Thema oder eher Zufall?
Das war zumindest bisher noch kein Thema zwischen uns. Die Boys sind durch unterschiedliche Kanäle auf uns aufmerksam geworden und haben dann eine Mail gedroppt, über die wir uns echt gefreut haben. TG sind ja auch mit den Damen und Herren von The toten Crackhuren im Kofferraum verbandelt, die sie ebenfalls mit auf Tour eingeladen haben. Wir mögen diesen Schachzug der Band sehr, Terorrgruppen Top Aktion!
Bezeichnet ihr euch als feministisch? Und wenn ja, wie setzt ihr das im Alltag um?
Feministisch ja, allerdings ohne jeglichen Dogmatismus. Im Alltag konzentriert sich das natürlicherweise eher auf unseren Gebrauch von Sprache, mit wem wir uns umgeben, worüber wir reden, bei was für Aktionen wir mitmachen, wen wir supporten. Mittlerweile denken wir das Thema ständig mit, das war früher anders, als uns vieles selbst noch nicht bewusst war. Manchmal ist es ein ziemlicher Balance-Akt, auf Dinge hinzuweisen, ohne als Oberschulmeisterin rüberzukommen oder Genervtsein hervorzurufen. Oft entsteht ja auch so eine Frauen-gegen-Männer-Kluft, was wir extrem schade finden. Es geht ja nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein gemeinsames Angleichen von Chancen (in beide Richtungen by the way), also simply Gleichstellung, soweit es geht, um ein korrektes ausgewogenes Miteinander, nicht mehr. Und nicht weniger.
Dann kommen wir auch schon langsam zum Ende. Gibt es noch andere Projekte, speziell für Frauen im Musikbusiness, die ihr unseren Leser*innen ans Herz legen möchtet?
Sure. Für Bands und Musikerinnen sind Netzwerke wie Music Women Germany, Melodiva oder MusicHHWomen vom Hamburger Verein Rock City Anlaufstellen. Für weibliches Empowerment von Frauen, die in der Branche unterwegs sind, gibts zum Beispiel das Music Industry Women Mentoringprogramm für Frauen, trans und non-binäre Menschen in der Musikwirtschaft vom VUT, das ist der Verband der Indie-Labels. Auch die Berlin Music Commission ist generell eine gute Adresse für Musiker*innen in und um die Branche, sie ist auch Trägerin des lokalen Musikfrauennetzwerkes musicBwomen – art.business.media.
Habt ihr zum Abschluss für die Leser*innen noch eine Botschaft, die ihr hier gern mit auf den Weg geben möchtet oder etwas, was ihr sonst noch gern beantwortet hättet?
Ja, absolutely: Be good and leave no one behind. Und hört dabei unser neues Album DIE KRONE DER ERSCHÖPFUNG.
Vielen Dank euch für das Interview und viel Erfolg weiterhin!
SHIRLEY HOLMES (Links)