“Birkenstocks statt Boots”, lautete heuer die Devise im normalerweise ja doch recht kalten Februar. Tja, und wenn schon nicht der Februar zum Bibbern einlud, dann musste die Kaltfront eben anderweitig rangeschafft werden. Gerade noch so im Februar suchte mich eine gleich dreifache Kaltfront in der heimelig warmen Bude heim und sorgte für imaginäre Frostbeulen. Drei LPs der Dresdner Deutschpunk-Institution Kaltfront gilt es zu besprechen. Fangen wir mit den warmen Gedanken dazu in chronologischer Reihenfolge an. Mit der Compilation “Holiday Im Niemandsland”, bereits 2015 via Rundling erschienen, jedoch erst jetzt bei uns fürs Review eingetroffen. Sicherlich auch im Fahrwasser des jüngsten Werks “Spiegel” von 2021, welches an anderer Stelle bereits von meinem werten Kollegen Stephan besprochen wurde.
“Holiday Im Niemandsland” beinhaltet Aufnahmen aus den Jahren ’87 – ’90 und somit aus der Frühphase, bzw. der ersten Phase des Bestehens der Band, die sich 1990 aufgelöst und 2005 wieder zusammen getan hat. Entsprechend ging es damals noch etwas schrammeliger und weniger musikalisch vielschichtig wie auf neueren Releases zu. Gleiches betrifft den Sound. Dieser reicht von ziemlich mies , aber immer noch Deutschpunk-tauglich, bis hin zu ganz ordentlich – und immer noch Deutschpunk-tauglich. Klar, mal abgesehen von “Körper”, “Therese” und “Rudi” wurden alle anderen zehn Songs bei diversen Proberaumsessions eingefangen. Solcherlei Unternehmungen sind ja zumeist mehr von Idealismus und weniger von technischem Verständnis, geschweige denn von teurem Equipment getragen. Und auch die eben angesprochenen drei Songs wurden sicherlich nicht unter professionellen Bedingungen auf Band verewigt. Deshalb ist “Holiday Im Niemandsland” dann doch eher was für Die-Hard-Fans, Komplettist*Innen oder für Leute, die eben schrammeliges Zeug mögen.
Für alle anderen hält der inzwischen doch ganz ansehnliche Backkatalog von Kaltfront sicherlich brauchbarere Tonträger bereit. Wer sich dennoch nicht abschrecken lassen will, dem/der sei gesagt, dass auch “Holiday Im Niemandsland” ein paar Highlights zu bieten hat. “Winter” zum Beispiel. Hier gelingt es Kaltfront trotz grottigem “Achtung, ich drück jetzt auf Aufnahme am Kassettenrecorder”-Sound eine düstere und gleichzeitig harte Kante zu erzeugen. Eine Kunst für sich. “Horror Video” überrascht mit Slidegitarre und das abschließende “Körper” mit echt guter Gitarrenarbeit à la Hüsker Dü oder Moving Targets.
Textlich gibt es auf dem beiliegenden Inlay die volle Breitseite zwischen Verbitterung, Gesellschaftskritik, No Hope und dunkler (Zukunfts)Visionen. Und das alles von einer Band aus Dresden, in den letzten Tagen der DDR, wohl gemerkt. 1982 im Westen geboren, wäre es natürlich frech, wenn ich jetzt irgendwas von Zeitgeist labern würde. Spannend wäre es aber, mit Personen zu sprechen, die das womöglich richtig einordnen, bzw. beurteilen könnten. Da Kaltfront aber nun mal eine Deutschpunk-Band ist, die durchaus in der Lage ist, ihre Themen mit einer gewissen Eloquenz, anstatt mit bloßen Plattitüden zu behandeln, mag auch das Hören von “Holiday Im Niemandsland” einen gewissen bildenden Aspekt anbieten. Ha! Und schon wieder lohnt sich’s eben doch!
Für alle, die Hass, Schleim-Keim, Chaos Z oder auch EA80 mögen, lohnt es sich sowieso. Und noch einer oben drauf: schon allein die Zeitungsschnipsel mit Konzertankündigungen lassen mich schmunzelnd an BRAVO-Ausgaben, in denen noch K.G.B. und Normahl drin waren, erinnern. Nicht, dass ich die je selbst gekauft hätte. Bin ich doch viel zu jung für. Ist eher so ein bisschen gefühlter… ja Zeitgeist eben.
Platte ist auf 180g und auf 500 Stück limitiert. Keine Ahnung, wie viele da sieben Jahre später noch zu haben sind, aber nehmt doch am besten mal Kontakt zu Rundling auf.