Nanu, Kaufmann Frust gibt es schon seit zehn Jahren? Ich bin erst mit Album Nummer drei auf die Band aus Stuttgart und Berlin aufmerksam geworden und ärgere mich natürlich jetzt dementsprechend. Denn “In Blau” hat, soviel möchte ich jetzt schon vorwegnehmen, das Potential in die TOP 3 des Jahres meiner ganz persönlichen Lieblingsplatten zu kommen. Das liegt vor allem daran, dass hier Menschen am Werk sind, denen man anmerkt, dass es um mehr geht, als nur um Unterhaltungsmusik. Das sieht man schon direkt am künstlerischen Siebdruckcover, welches, gestaltet und gedruckt von dem kleinen Siebdruckatelier Letzter Drücker , in dieser Form auf 200 Exemplare limitiert ist. Auch das beiliegende Textheft ist kein schnödes selbiges, sondern mit einer Faltung versehen, die die blauen Druckelemente akzentuiert.
Blau ist das Stichwort der Platte, denn “Im Blau” ist ein Konzeptalbum zu der Farbe Blau. Die Deutungen und Bedeutungen in der (Kultur)Geschichte dieser Farbe sind mannigfaltig, hierzu sind auch einige tolle Sachbücher erschienen, z.B. das wunderbar gestaltete “Blau” von Jürgen Goldstein (Matthes und Seitz Verlag, 2017).
Kaufmann Frust beleuchten vor allem die Aspekte der blauen Stunde, also jener “Zeitspanne innerhalb der abendlichen oder morgendlichen Dämmerung, während der sich die Sonne so weit unterhalb des Horizonts befindet, dass das blaue Lichtspektrum am Himmel noch bzw. schon dominiert und die Dunkelheit der Nacht noch nicht eingetroffen bzw. schon vorbei ist” (Definition Wikipedia). Ein Zeitraum, so definiere ich ihn, der für Veränderung steht, für Besinnung, aber auch für Rausch. Für Leben nach der Routine, für die Möglichkeit einen neuen Abschnitt zu beginnen. Wenn man will. Und Kaufmann Frust wollen. Die älteren Songs der Band waren wohl geprägt von einer eher postpunkigen Depressivität und Schwere, sowohl was Musik als auch Texte anging.
Diese melancholische Grundstimmung ist den Liedern nun immer noch anzuhören, mit (Post)Punk hat das für mich aber musikalisch nichts zu tun. Das ist Indierock!
Indierock, ja, aber bitte mit Sahne. Aber nicht die Sahne auf dem Erdbeerkuchen, die man sofort sieht, die man, wenn man möchte, sich zuerst einverleiben kann. Das Topping, das, wenn man Pech hat, nicht die richtige Konsistenz hat, also nicht steif genug geschlagen wurde und deshalb als süßer Brei sich über den ganzen Kuchen ergießt, sondern die Sahne im Spaghettieis, die das Fundament bildet, dem ganzen Gebilde Struktur gibt, aber auch Höhe und Tiefe ermöglicht, die immer nicht nur den besonderen Geschmack, sondern auch ihre ganz eigene Konsistenz hat, welche wiederum jeder weiteren Zutat ermöglicht wahrgenommen zu werden und die erst ausgebuddelt werden muss. Kaufmann Frust haben die Sahne vom Spaghettieis verinnerlicht.
Sie spielen eine Musik, die nach Hamburg klingt, ganz klar. Tocotronic, Blumfeld, Sterne. Die Big Three der Neunziger. Tocotronic, mein erster Gedanke. Auch bei den Texten erinnert das Wording an jene. Aber Tocotronic holt mich mit dem was ich mitbekomme schon länger nicht mehr ab. Kaufmann Frust schon. Sie haben ihre poetischen Texte mit einer Direktheit verbunden, die es ermöglicht, sinnierend über den Sinn der Texte zu rätseln, oder auch einfach mitzusingen und die Textzeilen auf die Wand vom Nachbarn zu pinseln:
“Wir brauchen nichts, was uns letztendlich nichts nützt, wir wollen so vieles, aber niemals die Konsequenz!” (aus Das fragile System)
Die angesprochene Melancholie, die in den Liedern hervorlugt, wird durch atmosphärische Melodien entweder verstärkt oder geschickt in den Hintergrund gespielt, manchmal verspüre ich schon so etwas wie Aufbruchsstimmung.
Aber natürlich sind die Kaufmänner kein Abklatsch von den oben genannten Bands, sie peppen Ihre Lieder immer wieder durch einzigartige Ideen auf und sie klingen amerikanischer wie ich finde. Die Vergleiche sind halt Vergleiche zur Einordnung, werden der Band aber nicht gerecht.
Absolutes Highlight ist für mich der Song “Die Gleichen”. Zum Niederknien. Ein Ohrwurm, der mich den Sommer über begleiten wird, obwohl es kein typischer Sommersong ist.
Holt euch die Platte, solange es noch geht, direkt im Shop beim Label My Favourite Chords, welches seinen Sitz in Hamburg hat. Ha, und damit hab ich jetzt auch meinen Hamburg Bezug zu dieser Band…