Ein paar Sätze vorneweg sind, einleitenderweise, immer etwas, was gar nicht mal so leicht von der Hand geht. Fasst man das musikalische Schaffen (nochmal) zusammen, oder erzählt man die persönliche Verbindung zum/zur Künstler*in / Band?
Ich mach es mal kurz: entdeckt habe ich Lena Stoehrfaktor beim kleinen, wunderbaren DIY-Label Tanz auf Ruinen. Allein der Name ist schon ganz wundervoll, hat mich deswegen sofort abgeholt.
Ich habe in verschiedene Projekte reingehört, Thomas veröffentlicht von Punk über Screamo bis hin zu Rap so einiges. Kleine, liebevoll gestaltete Releases, analog, Tapes und Vinyl. Dazu bastelt er noch wahnsinnig gerne.
Die Platte “Blei” von Lena Stoehrfaktor habe ich also über ihn bestellt und von der ersten Sekunde gefeiert.
Lena macht einen ganz eigenen Stil, vermischt Old-School-Rap mit ihren ganz persönlichen Texten, untermalt von Beats, die zwischen 1990 und 2020 pendeln. Als Sahnehäubchen macht sie aber auch ihre Raps mit einer Band, die “Das Rattenkabinett” heißt und auch ein Album mit Lena aufgenommen hat.
Ich kann die Releases alle wärmstens empfehlen!
Hej Lena! Freut mich, dass wir zu einem zweiten Interview hier beim Vinyl-Keks zusammenfinden dürfen (erstes war zum Thema “Frauen im Musikbiz“. Du hast ein neues Release raus, diesmal eine Tape-Only Veröffentlichung. Das Teil nennt sich “Die Essenz” und legt mit “Runde Eins” gleich mit bombastischen Beats los. Total gut! Endlich nicht diese Wischiwaschi-Beats der sogenannten Rapper.
Keksen dich diese laschen Hip Hopper auch so an und war dein Antrieb nicht nur Nostalgie (“Sonnenallee”) diese EP zu produzieren, sondern auch eine ordentliche Portion Wut im Bauch? (“..mit Gangstapop den Kindern in den Kopf kacken” – Urban Sports)
Danke. Freut mich auch. Schön dass dir die EP gefällt. Definitv sind mir viele Rapper zu lasch. Ich liebe Hiphop aber deutscher Rap is schon ziemlich wack größtenteils. Ich zieh mir aber auch nicht alles rein. Hab mich irgendwann abgewandt, inhaltlich sowie musikalisch. Ich mag organische Beats die scheppern, modern geht auch klar aber vieles was es so zu hören gibt is mir wirklich zu poppig. Inhaltlich ist mir auch vieles zu banal.
Wütend bin auch oft aber wie könnte es auch anders sein mit meinem Hustle 😉
Was sind deine Einflüsse, die ihr mit den Samples zitiert? Vieles klingt in meinen Ohren nach 1990ern? Lass uns mal einen Namedrop da!
Ich mach mal nen Querauszug aus meinen Einflüssen. Das sind z.b Nas, Sadazhinia, Ari, Boss, Mob deep, Outkast, Fugees, Tupac, Biggie, Missy Elliot, Dead Prez.
Die Samples bei “Essenz” sind glaub ich Khia, Beastie Boys, Lauryn Hill, Dead Prez und noch n paar andere. Ich bin schon in den 90ern hängengeblieben und ich glaub Sinok auch.
“Nich reich”. Worum geht’s:
“Die Moral ist deine Schuld, wenn du zu arm bist zu bezahlen”.
Ich reiße nur ungern One-Liner aus Lyrics, die geschrieben sind, gerade weil sie viele Worte haben und etwas zu erzählen.
Deine Worte sind schon recht abgeklärt, realistisch und wahnsinnig ehrlich. Ich gebe dir komplett recht. “..es gibt keine Menschlichkeit und du bist nich reich”
Ich habe den Eindruck, du stellst fest, es gibt nichts zu ändern.
Was hat dich so nüchtern gemacht in Punkto Kohle?
Ich kritisiere ja oft den Kapitalismus in meinen Songs und wer mit offenen Augen durch die Welt geht muss ja merken, dass Menschen unterschiedlich behandelt werden, je nachdem ob sie arm oder reich sind. Klar gibt es noch Reste vom Sozialstaat, Hilfsangebote für ärmere Menschen etc., aber das ist doch Ironie wenn Menschen zuerst in die Armut gedrängt werden, und sich dann mit viel Mühe wieder rauskämpfen sollen, und wenn es hart auf hart kommt, sitzen Konzerne, Immobiliengesellschaften und private Firmen immer am längeren Hebel, weil der Staat im Endeffekt auf ihrer Seite steht.
Es gibt viele Menschen denen es finanziell schlechter geht als mir und die nichtmal eine Stimme haben. Mit dem Song habe ich aber auch eine Geschichte von mir aufgearbeitet, die mir viele Nerven gekostet hat.
Ich habe einen Rechtsstreit mit Vattenfall. Ich habe damals jahrelang keinen Strom bezahlt, weil ich dachte das wäre in der Miete inklusive (ich war jung 😉 ). Es kam auch nie eine Rechnung.
Zwischendurch hatten die das schon gecheckt und sich gemeldet, aber dann kam trotzdem jahrelang keine Rechnung. Nach 7 Jahren kam dann die Rechnung, mit dem Vermerk dass ich ein paar tausend Euro in den nächsten 2 Wochen überweisen soll, sonst schalten die ein Inkasso Unternehmen ein. Stromrechnungen verjähren nicht und das haben die knallhart ausgenutzt. Die stellen 7 Jahre keine Rechnung und dann sollte ich innerhalb von 2 Wochen überweisen. Ich hab einen Anwalt eingeschaltet der denen erklärt hat, dass die Ratenzahlung machen sollen oder wenigstens die Hälfte vom Preis.
Denen war das scheißegal. Die haben einfach weitergemacht als wäre nichts gewesen. An Weihnachten kam der Inkassobrief an. Das war so ein Punkt an dem ich gedacht hab, ey diese Wichser, denen is alles scheißegal. Nicht dass mir das nich schon vorher klar war aber das hat mir wieder mal am eigenen Leib gezeigt was für Zombies Konzerne im Kapitalismus sind. Wenn ich dann an andere Menschen denke, die zwangsgeräumt werden, arbeitslos sind, keinen Aufenthaltsstatus haben und einfach nicht zahlen können und wie die ausgepresst werden, wie die einfach nur ne verfickte Nummer in irgendnem Inkassobüro sind und in welchen Parallelwelten wir leben, dann hasse ich unsere Gesellschaft. Deshalb meine ehrlichen Worte. Der Inkassobrief hat dann auch 70 Euro gekostet, das verdiene ich in 2 Tagen. Ein Brief der 5 Minuten dauert, was soll ich dazu sagen. Ich werd schon wieder sauer beim schreiben 😉
Wie wichtig sind Inhalte für dich, die eher auf die Allgemeinheit zielen, klar, trotzdem auch persönlich sind. Ist Gendern, Politik, Riot Grrrl für dich wichtig und in deinen Texten spiegelt sich das wider? Oder ist das für dich ein selbstverständlicher Teil eines großen Ganzen?
Inhalte sind auf jeden Fall mein Ding.
Mir sind Sachen eher persönlich und emotional wichtig. Ich versuche jetzt nich so absichtlich sehr politisch korrekt zu sein, ich interessiere mich für Menschen und für Themen und welchen Einfluss die politischen Verhältnisse auf sie haben. Darüber schreibe ich dann. Ich finde es auch schön Denkanstöße zu geben. Wichtiger als gendern an sich oder irgendwelche Szenen sind mir aber das was dahinter steckt. Gerechtigkeit, Gleichbehandlung, Menschlichkeit, Kapitalismuskritik. Das stelle ich vorne an, da Sprache und Verhältnisse zwar in Wechselwirkung sind aber die Verhältnisse die sind, die uns am meisten beeinflussen.
Wenn man linke Rapmusik macht, und du produzierst nun schon seit bald 20 Jahren gemeinsam mit den selben Leuten (Sinok, Asi-Es). Magst du uns deine Crew mal vorstellen:
Mit ASI- ES arbeite ich schon lange zusammen. Mit ihm habe ich angefangen zu rappen.
Früher waren wir gemeinsam in einer Crew (Conexion Musical), er hat dann irgendwann angefangen Beats und Cutz machen und Sinok ist Beatproducer und Teil von Prison Kit.
Wir haben alle eine ähnliche Vorstellung von Mucke und wie sie zu klingen hat. Es macht sehr viel Spaß mit den beiden zu arbeiten. Es passt einfach menschlich und musikalisch zwischen uns und ich habe sehr großen Respekt vor deren Arbeit und musikalischem Verständnis.
Das “do it yourself” macht einen sehr hohen Stellenwert bei dir aus, das spüre ich an allen Ecken und Enden. Sei es in deiner Musik, deinem Auftreten oder schlicht unserer Kommunikation, um dieses Interview möglich zu machen.
Du hast diesmal Mona Lina als Agentur an Board, die dir hilft, diesen Release zu promoten.
Hat sich für dich in den letzten zwei Jahren Zwangspause irgendetwas verändert in der Herangehensweise?
Ja, ich habe einen Großteil meiner Kraft verloren während der Pandemie. Vorher bin ich überall hingereist und habe echt jahrelang nur für die Mucke gelebt.
Ich hab aber gemerkt, als meine Kraft wegging, dass ich Support brauche, weil die Rapszene nich so angelegt ist, dass du was reißen kannst D.I.Y.
Als politische Rapperin ohne Kontakte die ihren Wert auf Inhalt legt und nicht schleimt, hab ich nie irgendwas geschenkt bekommen mit der Mucke und musste alles hart erkämpfen. Das ist auf Dauer anstrengend und es hat mir keinen Spaß mehr gemacht so viel zu strampeln.
Ich war gefühlt jahrelang fast alleine auf weiter Flur und hab mich über die Industrie abgefuckt.
Es ist egal wie gut du rappst, du musst wirtschaftlich gut aufgestellt sein. Das ist ein Armutszeugnis für die Kultur.
Irgendwann dachte ich scheiß drauf, interessiert sowieso niemanden, ausser einer kleinen Minderheit, was ich über die Musikindustrie denke und hab beschlossen, das in meinen Tracks nich mehr so stark zu thematisieren.
Es lohnt sich auch nicht, ich sehe da keine Bewegung mehr, es ist alles so durchzogen von kommerziellen Strukturen und wenn DIY, dann wird auch oft die Kunst nicht wertgeschätzt, sondern die Mucke wird auf die Politik reduziert. Aber ich habe mich immer auch als Künstlerin gesehen und nicht nur als Aktivistin.
Im Musikbusiness dagegen isses so: wenn du dich nicht selber aufbläst oder aufgeblasen wirst, kriegst du auch keine guten Auftrittsbedingungen, mit ganz wenigen Ausnahmen. Auch in der linken Subkultur wird auf DIY gekackt seit einigen Jahren. Spätkapitalismus. Wie gesagt. Es bringt nichts sich darüber aufzuregen aber meine Meinung bleibt die gleiche, die meisten sind nicht stabil sondern lauern auf Vorteile 😉 Ich mach jetzt nur noch das, worauf ich Bock habe.
Und Mona Lina und ihr Team sind korrekt und haben mir echt geholfen. Durch ihren Support sind Interviews, Beiträge etc. entstanden. Das hätte ich alleine nicht hingekriegt.
Hast du denn einen (oder mehrere) Livestreams gemacht oder wie hast du die musikalische Pause genutzt? (du hattest von deinen Strassenkonzerten erzählt – hast du da auch ein, zwei Fotos zu, die wir hier nutzen könnten?)
Ich habe zwei Livestreams gemacht und war nicht begeistert. Ich bin Live MC und brauche Publikum. Livestreams kamen mir vor wie ganz schlechtes Methadon. Oder dieser Knaster beim Rauchentzug. Ich hab die EP gemacht und mit meiner Band „das Rattenkabinett“ ein Album gemacht und wir haben auf der Straße gespielt, das war ganz cool. Wir haben auch eine Strassenmusiktour in der Schweiz gemacht. Das war perfekt.
Folgefrage: wie hat es sich denn angefühlt, dann nach (weißt du wie lange du nicht auf der Bühne warst?) zwei Jahren wieder vor Publikum zu stehen?
Ich glaube der Übergang war fließend. Von Streamingkonzerten zu Strassenkonzerten zu Sitzkonzerten.
Mit wem und wann warst du an dem Abend auf der Bühne gestanden?
Mit meiner Band auf der Straße 😉 Aber so richtig das Gefühl, dass die Pandemie in den Hintergrund hatte ich dieses Jahr im Frühling. Da waren ein paar sehr gute Konzerte dabei. Habe viel Liebe bekommen, und als ich z.b bei Awesome Hiphop Humans im SO36 war oder bei Kein Halt mehr im Kesselhaus hat die Hütte gebebt. Mit dabei waren zu viele um sie aufzuzählen.
Wir haben in unserem Vorgespräch dann eine kleine Biege gemacht und sind auf das Thema Burn-Out im Musibiz durch DIY gekommen. Wie hast du für dich festgestellt, dass etwas “nicht stimmt” oder du einen Burn-Out hast?
Ich habe definitiv Burnout von meinem gehustle und habe mich jahrelang zu sehr verausgabt. Es hat mir alles voll Spaß gemacht und ich hab es geliebt, aber die Anstrengung die dahintersteckt war hart. Ich mache seit fast 20 Jahren als Frau in der Rapszene alles selber, ohne Bookingagentur, ohne Promo, ohne Label, wie soll einen das nicht ficken? Ganz ehrlich, das meinte ich mit, mir wurde nie was geschenkt. Ich bin schon ein harter Hund. Jetzt höre ich auf rumzuheulen 😉
Denn was ich vergessen habe zu erwähnen ist, dass ich sehr viele stabile Supporter_innen habe, die mir Nachrichten schreiben, meine Sachen bestellen und die mir immer Motivation geben weiterzumachen. Da will ich auch mal danke sagen.
Ich erlebe das DIY auch sehr zwiegespalten im Moment. Auf der einen Seite, wie du auch sagst, der Spätkapitalismus, der eine Band, eine*n Künstler*in dazu zwingt bestimmte Dinge zu beachten was Promo, Soundquali, Touren, etc pp anbelangt. Ich z.B. hasse Booking, gehört aber dazu.
Zum einen freue ich mich, dass du weitermachst!
Zum andern: Hast du die letzten zwei Jahre das im Rap auch so wahrgenommen, dass sich in Punkto LBGTIQ Flinta* etwas getan hat?
Es hat sich auf jeden Fall was getan. Das Thema ist mehr in den Fokus gerückt, es ist sogar Trend geworden. Das bringt dann neue Schwierigkeiten mit sich denn LGBTIQ ist ein Vermarktungstrend. Es ist gut, dass es mehr queere Sichtbarkeit und Akzeptanz gibt, aber es nervt mich dass es trotzdem keine gleichberechtigte Teilhabe gibt und sich Leute Identitäten einfach an und ausziehen können wie sie Bock haben. Damit meine ich, dass sich wirklich mit den Realitäten von Flinta Personen und LGBTIQ auseinandergesetzt wird und es wahren Support gibt. Warum bookt die Fusion zum Beispiel nicht mal nur Flinta Acts oder überwiegend Flinta Acts?
Das wäre ein Statement. Warum überprüfen Booking Agenturen nicht wie hoch der Flinta Anteil bei ihnen ist und versuchen wenigstens auf 50/50 zu kommen?
Booking Agenturen buchen Flinta als Supportact für weiße Cis-Männerbands, die auch nur da sind, wo sie sind weil sie weiße Cis Männer sind. Alle meckern über den Überschuss von weißen Cis Männern und alle sind sich da voll „bewusst“. Aber nen richtigen Move machen dann doch die wenigsten wenns ums Business geht. Das ist mir nicht mutig genug. Ich denke es wird Zeit für Radikale Statements.
Wir sind ziemlich am Ende unseres Interviews, ich danke dir vielmals für deine ehrlichen Worte.
Lass uns mit Positivem enden!
Neue EP, neue LP, gibt es Konzerte dazu. Wie schaut die nächste Zeit für dich, euch aus?
Es erscheint bald ein Album mit meiner Band “Das Rattenkabinett“. Wir spielen auch am 21.7.2022 im SO36. Ich bin diesen Sommer auch auf ein paar Festivals unterwegs.
Balaclava Beats, Save the Scene etc.
Da freu ich mich drauf.
Danke für das Interview.
Gigs mit “Das Rattenkabinett”
- 21.6. Berlin, Fète de la musique @ Pirata Patata
- 21.7. Berlin, SO36 (+ Haszcara)
Solo Gigs
- 30.07. Leipzig, Conne Island
- 02/03.09. Dessau, Save the Scene Festival