Diese Woche nehmen wir euch in den von Frauen recht dünn besiedelten Bereich des Raps mit! Lena Stoehrfaktor aus Berlin steht uns als Undergroud-Rapperin Rede und Antwort. Viel Spaß beim Lesen der höchst interessanten Einblicke und werft auch gern noch einmal einen Blick auf unser Interview letzte Woche mit Susi von LAUTUNDWILD Konzertfotografie.
Hallo Lena, schön, dass du in unserer Interview-Reihe dabei bist. Aus der HipHop-Ecke hatten wir bisher tatsächlich nur ein Interview von FINNA – umso schöner das Feld nun noch zu erweitern. Erste Frage: Wie bist du eigentlich zu diesem wirklich sehr männerdominierten Genre gekommen?
Danke, freue mich auch. Ich habe durch einen Kumpel angefangen zu rappen. Rap war schon vorher meine Leidenschaft und ich habe mich immer mit der Musik identifiziert, hatte es vorher aber nie selbst ausprobiert, außer paar Freestyle hin und wieder. Ich hatte mir einfach nicht vorstellen können, dass ich das auch selber machen kann. Mit dem Kumpel hab ich dann angefangen die ersten Tracks aufzunehmen und er hat mich motiviert.
Was denkst du ist der Grund dafür, dass so wenige Frauen rappen bzw. die Sichtbarkeit von Frauen im HipHop mehr als marginal ist? Fühlst du dich gesehen? Und wie kann man das deiner Meinung nach ändern?
Der Grund für all das ist meiner Meinung nach das Patriarchat und dann nochmal spezifisch bei Rap die expliziten Texte und das Selbstbewusstsein, welches im Rap propagiert wird. Diese Rolle stand und steht immer noch Frauen* nicht genauso zu wie (Cis)Männern. Wenn eine Frau sich hinstellt und sagt: „Ich bin die und die und ich will das und das“, ist das nicht so erwünscht und anerkannt. Sie sollte eher im Hintergrund bleiben, freundlich sein und zurückhaltend, den Männern dienen. Überspitzt gesagt. Durch fehlende Vorbilder und das erniedrigende Frauenbild im Rap wird das dann zum Selbstläufer und nicht viele fühlen sich motiviert anzufangen. Ich glaube, das hatte mich damals auch gebremst selbst anzufangen. Mittlerweile gibt es viel mehr Frauen, die rappen, diese müssen aber dem Frauenbild entsprechen, es werden merkwürdige Maßstäbe angesetzt, es geht viel um Äußerlichkeiten und es fehlt Diversität. Ich fühle mich nicht so gesehen aber das liegt auch an den Strukturen, in denen ich Mucke mache, hinter mir steht kein Management und ich liefere keine Hypes, es geht wirklich nur um die Musik bei mir und wir leben im Zeitalter des schnellen Konsums und der Ästhetik, Instagram und Vernetzung. Es reicht nicht in seinem Kämmerlein gute Mucke zu machen. Dafür komm ich noch ganz gut weg 😉 Ich lebe immerhin davon. Wie das zu ändern ist, ist eine komplexe Frage, die ganze Gesellschaft muss sich ändern. Wie immer. Wir sollten jede unserer Taten hinterfragen. Nur dann schaffen wir es wirklich umzudenken.

Wahre Worte… War es denn schwierig für dich “in der Szene” Fuß zu fassen oder hast du eher selbst Projekte und Initiativen gestartet?
Ich habe mich immer durchgekämpft, zusammen mit meinen Homies. Wir haben unsere eigenen Projekte gemacht und auf alles geschissen, was uns nicht in den Kram gepasst hat. Das war sehr befreiend. Damals waren wir immer mal wieder im Berliner Rap Untergrund unterwegs, der ja eher nicht für seine Softheit bekannt war. Da hat jeder nen Dicken geschoben und wir haben diese Leute umso weniger ernst genommen, je mehr sie sich aufgeblasen haben. Wir wollten immer die Leute ansprechen, die sich Gedanken machen und sich nach echtem Austausch sehnen. Wie wir. So haben wir uns eine unabhängige Base aufgebaut und unser eigenes Ding gemacht, ein Kollektiv gegründet, Freestylesessions gemacht, CD´s in Eigenregie rausgebracht und unsere eigenen Partys organisiert, die dann so waren, wie wir es wollten. Das war schön. Wir wollten eine Begegnung auf Augenhöhe.
Fühlst du dich als Rapperin von Kollegen oder auch anderen Menschen beim Konzert nicht ernst genommen? Vielleicht gibt es witzige, schlimme oder einfach prägende Situationen, von denen du uns erzählen möchtest.
Da gibt es viele Situationen. Ich bin eher höflich und lasse anderen den Vortritt, was natürlich auch eine weiblich sozialisierte Eigenschaft ist, aber nicht nur. Durch dieses Verhalten kam ich immer mit vielen Leuten gut zurecht und habe mir dabei nie etwas gedacht, bin einfach unkompliziert. Irgendwann habe ich dann mitbekommen, dass es in der Ellenbogengesellschaft darauf ankommt, sich in den Vordergrund zu drängen, und mir wurden die Auswirkungen erst sehr spät klar. Es fing damit an, dass ich oft als erstes im Lineup platziert wurde, als Support oder Warmup Act sozusagen. Ein Grund dafür ist, dass ich eine Frau bin, sie mich deshalb so platziert haben und ich aufgrund meiner Sozialisation nicht auf einen besseren Platz bestanden habe. Ein anderer Grund ist, dass ich nicht kommerziell erfolgreich bin und da auch keine Ambitionen hatte. Ich habe immer dafür gekämpft Untergrund zu sein. Das fördert zwar die Realness, aber irgendwann hab ich gemerkt, dass mir das als Schwäche ausgelegt wird, weil die Veranstalter_innen wirtschaftlich denken und sich sagen „Untergrund schön und gut, wir wollen aber auch Stars hier haben und richten unser Lineup danach aus. Und je mehr Starallüren ich dann habe, umso mehr profitiere ich, denn die Leute glauben das, was ich ihnen vermittele. Wenn ich auf Star mache, werde ich behandelt wie ein Star, wenn ich auf Untergrund mache, werde ich behandelt wie Untergrund. So funktioniert unsere Gesellschaft. Das verstehe ich nicht und finde ich auch dumm. Und dann kommen noch so Sachen dazu, dass ich als Frau immer lächeln muss, mir haben öfters Männer gesagt, dass sie Angst vor mir haben, weil ich den gleichen Blick aufsetze wie sie. Das ist Sexismus pur. Dieses Ellenbogen-Ding habe ich aber auch bei Frauen* gesehen. Ich habe auch keinen sexy Bonus oder so. Es gibt ja sowas wie Attraktivitätsmacht. Diese Macht wohnt mir nicht inne, da mein Style und meine Natur fern dessen liegen und ich mich nicht verbiegen kann. Aber is ok. Es gibt einen Vorteil als Frau im Rap und das ist der Exotenvorteil. Meine Fresse und mein Name werden sich mehr gemerkt, ich falle sozusagen mehr auf. Das gibt dann manchmal Extra Respekt, aber das setzt auch unter Druck und bringt mir auch oft nicht mehr als diesen Respekt für den Moment, denn mehr ernst genommen werde ich dadurch insgesamt nicht. Verhandlungen sind trotzdem schwerer als Frau, du wirst schneller weggebügelt oder an den Rand gestellt. Ich krieg auch manchmal Featureanfragen von (Cis) Männern, die dann ganz verwundert sind, wenn ich absage. So als müsste ich mich jedes mal geehrt fühlen, wenn ich gefragt werde. Und dann bemerke ich, dass ich dann sogar Mitleid habe. Schlimm 😉 So funktioniert Patriarchat.

Interessante Einblicke. Du engagierst dich ja auch im Mädchenstadtteilladen Reachina von Outreach in Berlin Neukölln. Was genau machst du dort und wie genau werden junge Frauen da unterstützt? Geht es auch um Musik?
Ich arbeite dort seit 12 Jahren als Honorarkraft und unterstütze junge Mädchen* und Frauen* durch offene Arbeit und Beratung. Wir rappen dort auch, aber das ist eher nebensächlich. Es geht darum ein Empowerment für sie zu schaffen, so dass die Mädchen* ihre Stärken und ihre Grenzen kennenlernen und diese im Alltag umsetzen können. Darüber hinaus gebe ich noch Rapworkshops für alle Altersklassen. Das macht Spaß und ich mag es sehr.
Bezeichnest du dich als Femistin? Wenn ja, was bedeutet das für dich?
Ich bin Feministin und das bedeutet für mich einfach nur Gleichberechtigung. Wachsamkeit für Ungleichheiten. Und Kampfgeist für deren Beseitigung. Immer frontal.
Thema Pandemie: Was hat Corona für dich in Sachen Musik verändert? Ist die “Zwangspause” Fluch und Segen zugleich? Was denkst du, wie es danach weitergeht?
Leider hat Corona bei mir wie bei vielen anderen auch komplett reingeschissen. Mein ganzes Booking für den Sommer war für den Arsch und als DIY Artist verkackst du auf Social Media, da die Algorhythmen dich wegklatschen. Für mich macht niemand Promo, außer ich selbst und ein paar nette Menschen, die mich mögen, da ich kein Label hab. Meine Rap- und Livequalitäten haben mich immer gerettet, da ich so überzeugen konnte und in Kontakt mit dem Publikum stehen kann und mein Ding alleine durchziehen konnte. Ohne Auftritte regiert dann nur Social Media und wie gesagt, da bin ich alleine auf weiter Flur. Kapitalismus halt. Ich mache aber immer weiter und geb nich auf. Habe noch Missionen.

Wir drücken die Daumen für alles! Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Es gibt verschiedene Zusammenschlüsse und Projekte für Frauen im Musikbusiness. Es gibt zum Beispiel die Grether Schwestern, die ein Songbook rausgebracht haben mit den Songtexten verschiedener Musiker*innen. Dann gibt es noch das Soundkollektiv „Soundsysters“. Mrs. Pepstein ist eine Musikjournalistin, die viel über Frauen* macht. Um mal ein paar Beispiele zu nennen.
Kommen wir schon zum Ende: Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Ja, Leute bildet euch eure eigene Meinung, steht zu den Sachen, die ihr gut findet und die ihr nicht gut findet. Recherchiert selbst nach Musik und wartet nicht, bis sie euch vorgeschlagen wird, hinterfragt alles und fangt nicht mit Rap an, wenn ihr die Kultur nicht liebt. Lasst euch nicht wie Dreck behandeln und behandelt andere nicht wie Dreck. Guckt nach dem Sein und nicht nach dem Schein. Peace.
Vielen Dank für das spannende Interview, Lena und alles Gute für die Zukunft!