Es gibst ja diese Tage, da möchte man noch vor dem ersten Kaffee, mit zartem Schwung den Kopf auf den Küchentisch fall lassen, Gefahr laufend, dass eben dieser aufgrund der Last zusammen bricht. Dabei hat man noch nichtmal die Nachrichten gehört, oder die Tageszeitung aufgeblättert. Genau dieser Zustand findet sich, verbildlicht, auf dem Cover des Debüt-Albums “Kummerland” von Modell Bianka und holt mich schon mal komplett ab. Bleibt zu hoffen, dass der Inhalt hält, was die Verpackung verspricht.
Der Titel des Openers “Zerfall” passt schon mal und passt auch musikalisch, wie thematisch gleicher maßen. Schlagzeug folgt auf Gitarre und Dystopie folgt auf ein hoffnungsvolles “Wir schaffen das”. Das Paradox des Wissens, dass Veränderung und zu aller erst Verhaltensänderung notwendig ist und trotzdem im Alltag die eingetretenen Pfade gehen, weil sie nun mal bequemer sind und die Welt retten… dass müssen wir jetzt echt mal angehen.
Und diese Paradoxien des menschlichen werden weiterhin aufgegriffen, beleuchtet, besungen, in feinstem Gewand des Punk, ein inneres Fair-Trade-Schockolade-essen. Wo andere Bands einfache Parolen stricken (was ja auch manchmal einfach nur gut tut, diese zu hören und herauszubrüllen) wird hier die Kettcarsche Weisheit “Keine einfache Lösung haben, ist keinen Schwäche // Die komplexe Welt anerkennen, keine Schwäche” umgesetzt. Die großen gesellschaftlichen wie politischen Unannehmlichkeiten, auf das Ich zurückgeworfen und in seiner*ihrer Ambivalenz angenommen. Denn wie soll man die Welt retten oder sich zumindest mit deren und unseren Problemen rumschlagen, wo Schulbrote zu schmieren sind, Wäsche zu waschen ist und der Arbeitstag ja auch noch da ist. Und eigentlich ist es ja auch ganz schön, Gründe zuhaben Probleme auszublenden. Da nutzt sich der Alltag wie ein Filterglas. “Im Muster” beschreibt das noch viel eindringlicher und schöner. Ein weiterer Anspieltipp auf der A-Seite ist auf jeden Fall auch “Taugenichts”, aber eigentlich solltet ihr einfach das Album durchhören.
Ich hoffe fast einen schlechten Song auf der B-Seite zu finden, weil ja nun mal nicht alles gut sein kann. Da werde ich aber enttäuscht, denn die auch hier geben sich eingängige, punkige Tracks die Klinke in die Hand. Durch schnelle, treibende, fordernde, wütend Gitarrenriffs mit schönstem Schlagzeugspiel werden die oben genannten Themen wieder aufgegriffen, wie in “Zustand Automat” und “Arbeit”, ohne das man das Gefühl bekommt: Ey, hast du doch eben schon besungen, ist jetzt tauch mal gut, ich habe ja kapiert.
Mit “Dämmerung” wird dann auch noch ein musikalisches Fragezeichen hinter den eigenen Lebensentwurf, oder das was wir so unser Leben nennen, gesetzt. Und zum letzen Song “Der Aluhut” muss eigentlich nicht viel gesagt werden. Den zunehmenden und immer lauter werdenden Schwurblern wird hier entgegengetreten, wie schon beim Titel zu erwarten war.
Wie oft erheben wir den moralischen Zeigefinger, gegen die, gegen uns, nur um damit anschießend den Hafer-Cappuccino umzurühren. Dieses Album der Hannoveraner von Modell Bianca bietet dafür den perfekten Soundtrack und lässt uns mit verbranntem Finger im Umrühren Innehalten. “Kummerland” ist ganz großes Tischtennis und definitiv eines meiner Favorits 2022. Erschienen ist die Platte via Taucher und auch dort als CD und Vinyl erhältlich. Kauft das mal!