Pünktlich zum 10-jährigen Bandjubiläum erschien Anfang 2020 das vierte Album „No Future Days“ der Band Messer. Dieses Album schlug kurz vor dem ersten Lockdown im Frühjahr bei mir ein und wurde nicht nur zu einem treuem Begleiter in eben diesem, sondern auch zu einer von mir meistgehörten Platte des letzten Jahres. Lyrik trifft auf funky Postpunk, diese Kombination aus Poesie und Power hat mich gefesselt.
Sänger und Texter Hendrik Otremba ist aber nicht nur Musiker sondern auch Schriftsteller, der mich bereits 2017 mit seinem Debut, dem SciFi-Action Roman „Über uns der Schaum“ (Verbrecher Verlag), positiv überraschte, da er eine viel direktere, klarere Sprache an den Tag legte, als ich erwartet hatte. Bitte lesen!
Sein zweiter Roman „Kachelbads Erbe“(Hoffmann und Campe) erschien dann 2019 und war deutlich komplexer aufgebaut und thematisierte u.a. den Versuch der Kryonik. Ein toller Roman, philosophisch, experimentell und sprachlich hervorragend gelungen. Auch hier gilt: Bitte lesen!
Ein weiterer Aspekt von Hendriks kreativem Schaffen ist übrigens seine Malerei, die in unserem kleinen Interview zwar nicht zur Sprache kam, aber großartigerweise stellte Hendrik uns als Titelbild ein Selbstportrait von sich zur Verfügung. Der Mann hat sichtbar viele Talente. Es gibt also viele Gründe, Hendrik in der neuen Rubrik „Literatur trifft Musik“ zu Wort kommen zu lassen.
Hallo Hendrik, ich freue mich sehr, dass du dich bereit erklärt hast, bei „Musik trifft Literatur“ dabei zu sein. Letztes Jahr im Februar erschien kurz vor dem durch die Pandemie bedingten ersten Lockdown das neue Album „No future days“ deiner Band Messer. Ein ungünstiger Zeitpunkt, denn normalerweise wären ja wahrscheinlich eine Tour oder Auftritte gefolgt. Was war ursprünglich geplant und was war dann überhaupt möglich, um den Fokus auf die neue Platte zu lenken? Erzähl doch mal wie dein letztes Jahr verlaufen ist, hattest du dadurch mehr Zeit fürs Schreiben oder deine Kunst?
Genau, wir hatten viele Konzerte geplant und konnten leider dem ungewollt prophetischen Titel nach das Album dann nicht live spielen, bis auf ein bestuhltes Konzert und eines vor Kameras. Wir haben die Zeit aber genutzt und mit einem Freund aus Finnland, Toto Belmont, eine komplette Dub-Remix-Platte des Albums gemacht, die dieses Jahr auf Vinyl erscheinen wird. Mir wird zum Glück nicht schnell langweilig und es gibt immer was zu tun, ich habe viel an meinem dritten Roman geschrieben und wieder intensiver mit der Malerei angefangen.
Ja, der Titel kann jetzt rückblickend prophetisch gesehen werden. Aber wie war er ursprünglich gemeint? Er klingt viel parolenhafter als eure vorherigen Titel, sollte es eine Ansage sein oder eher eine Frage?
Der Titel geisterte schon lange bei uns rum, wir planten bereits vor einigen Jahren ein eher elektronisch gefärbtes Album, das so heißen sollte. Da kommen der alte Punk-Slogan und eins unser liebsten Alben von Can drin zusammen, was für uns auch zwei wichtige Pole sind. Mir gefällt da der Widerspruch: es gibt keine Zukunft, aber es ist von mehreren Tagen die Rede.
Der alte Punk-Slogan kam mir auch in den Sinn. Was mir aber auch auffällt ist, dass das Thema Zukunft im Speziellen und das Thema Zeit im Generellen für dich ein wichtiges, immer wiederkehrendes Thema zu sein scheint. Dein erster Roman „Über uns der Schaum“ spielt in einer recht trostlosen Zukunft; die Erde ist verseucht und der Held erträgt diese Welt nur durch Drogen. Und auch bei deinem zweiten Roman „Kachelbads Erbe“ ist die Zeit und das was uns in der Zukunft erwarten könnte ein elementares Thema.
Was reizt dich so an diesem Thema? Bereitet dir die Vorstellung einer ungewissen Zukunft Sorge? Oder ist das einfache nur ein künstlerisches Stilmittel?
Ich würde Zeit eher eine Fläche nennen, und natürlich schaue ich, wie sich die Welt darauf entwickelt und natürlich schlägt sich das dann auch in den Texten nieder. Das geht ja auch nicht anders. Alles hat ein Verhältnis zur Zeit. Deshalb würde ich sagen: Zeit ist nicht das Thema, sondern die Themen, die mich beschäftigen, haben eine eigene Zeit. Und das zu reflektieren wird dann bestimmt auch Gegenstand, wobei ich da jetzt nicht Protokoll führe.
Meine vorherige Frage zielt auch ein bisschen darauf ab, wie viel von dir in den Figuren steckt, die du in deinen Romanen beschreibst. Gerade die Figur Kachelbads scheint dich ja schon länger zu beschäftigen, 2016 erschien ja bereits eine gleichnamige EP mit Messer.
Ist Kachelbads Vorhaben für dich auch in der Realität reizvoll oder nur als Gedankenexperiment?
Mir geht es immer um das Gedankenexperiment, das für mich aber ein Teil der Realität ist. Es geht ja daraus hervor und hat auch Auswirkungen auf meine Entscheidungen. Was meinst du denn mit Kachelbads Vorhaben? Menschen einfrieren: nein, da habe ich kein Interesse dran. Ihre Geschichten aufschreiben: ja, das sehe ich als meine Aufgabe.
Da habe ich mich unglücklich ausgedrückt bezüglich Kachelbad, ich wollte eher wissen, ob die Kryonik eine Technik ist, von der du dir vorstellen könntest, sie für dich selbst anzuwenden. Ein zweites Leben in ferner Zukunft – ein Wunsch oder eher eine Schreckensvorstellung?
Ich weiß nicht, ob ich wissen will, wie die Zukunft aussieht. Wenn man das Leben heute mit den (positiven) Science Fiction-Entwürfen aus der Vergangenheit abgleicht, sind das alles zerplatzte Träume, und manche Dystopie wird heute von den Zuständen der Gegenwart übertrumpft, gerade, wenn man sich das Leben des Einzelnen anschaut und lernt dorthin zu schauen, wo es keine ständige mediale Repräsentation gibt. Meine Prognose ist eher düster. Ich denke, dass die Auseinandersetzung in einem literarischen Sinne für mich vielleicht auch Strategie ist, damit umzugehen. In Kachelbad gibt es ja eine Art Retrofuturismus. Der Roman, an dem ich gerade arbeite, ist da weniger eskapistisch und somit recht schonungslos. Da ist die Gegenwart der Ort des Geschehens.
„Über uns der Schaum“ empfinde ich eher als einen klassischen (Near Future) SciFiThriller, „Kachelbads Erbe“ dagegen birgt viele verschiedene Erzählmethoden und ist nicht einfach einem Genre zuzuorden. In welcher Tradition Schriftsteller siehst du dich? Wie war/ist deine eigene Literatursozialisation verlaufen?
Ich habe immer viel gelesen und bemerke aber, dass sich das gerade wieder ändert, ich einen neuen, aufmerksameren Zugang zur Literatur finde, worüber ich sehr glücklich bin. Ich freue mich darauf, wie es sein wird, mit 60 zu lesen. Für mich waren was das Lesen und das Schreiben betrifft dabei in den letzten Jahren Roberto Bolaño und W.G. Sebald wichtig, aber ich differenziere da nicht so streng und sehe das eher intermedial: ein Auslöser kann alles mögliche sein und auch überall hinführen. Der russische Filmemacher Andrej Tarkowski ist da so eine Konstante, dessen filmisches Erzählen mein Schreiben vielleicht mehr geprägt hat, als irgendein Roman. Auch das Spätwerk von Scott Walker war für meinen letzten Roman sehr wichtig. Die Filmemacherin Lynne Ramsay hat mich zuletzt beim Schreiben beeinflusst. In einem Roman, an dem ich parallel arbeite, werden Klanglandschaften in ihrer Herstellung und ihrem Erscheinen beschrieben, die aber ja beim Lesen abwesend sind, da erfahre ich einen Zusammenhang zwischen Musik und Literatur gerade auf eine völlig neue Art und Weise.
Im Vorfeld dieses Gespräches hast du angemerkt, dass du bei „Kachelbads Erbe“ mehr Schnittpunkte zu dem Thema Musik und Literatur siehst als bei „Über uns der Schaum“. Bei den Figuren, die du beschreibst, spielt Musik aber in beiden Romanen keine große Rolle. Woran machst du die Bezüge zur Musik fest?
Es geht mir da mehr um die Sprache und ihre Musikalität, aber auch um Dramaturgien, die der Musik entlehnt sind, Stimmungen, Geräusche, Klangfarben. Musik also im weitesten Sinne. Bei Über uns der Schaum spielte das auch eine Rolle, aber vielleicht fielen da Textzitate von Messer und lyrische Fragmente mehr ins Auge. Bei Kachelbads Erbe, um da konkreter zu werden, habe ich mich eher an der Dramaturgie etwa eines Scott Walker-Stückes gehalten als an den konventionellen Aufbau eines Romans. Nun, und ich höre auch viel Musik beim Schreiben und experimentiere damit auch mit meinen Studierenden – aber das findet dann eher im Hintergrund statt.
Das kann ich als „normaler“ Leser also vielleicht gar nicht erkennen, weil ich zum Beispiel gar nicht das Scott Walker Lied kenne, das du im Kopf hattest. Ärgert dich das, dass deine eigentliche Intention nicht erkannt wird? Oder anders formuliert: Ich habe bei Messer schon immer die poetischen Texte sehr geschätzt, hab mir aber natürlich immer meine eigene Interpretation zurecht gelegt. Bei deiner Prosa ist die Aussage auf den ersten Blick ja recht klar, die Metaebenen könnte man ignorieren und den Roman trotzdem verstehen. Wie wichtig ist dir, dass der/die LeserIn auch bei deinen Prosatexten die verschiedenen Ebenen beachtet? Ist Prosa vielleicht immer etwas oberflächlicher als Lyrik?
Es geht mir zu keinem Zeitpunkt darum, dass etwas dechiffriert werden soll. So gesehen gibt es keine Intention, die ich rübergebracht wissen will. Mein Ziel ist, dass etwas entsteht, in dem Menschen einen Anlass finden, sich selbst mit den Fragen zu beschäftigen, die ich aufwerfe. Das Beispiel Scott Walker, damit meine ich eher meine Herangehensweise, das Handwerk, den Entstehungsprozess. Mehr nicht. Den finde ich erstmal nur für mich relevant. Ich will damit ein Rätsel sozusagen bereitstellen, nicht auflösen. Das ist mir sehr wichtig, es soll nämlich ganz bestimmt nicht darum gehen, da zwischen einem „normalen“ und einem „voraussetzungsreichen“ Leser zu differenzieren. Im Gegenteil will ich stilistisch durch eine musikalische Schreibweise den Text öffnen. Deshalb ärgert mich da nichts. Vielleicht kann man sagen, dass lyrische Texte mehr Interpretation zulassen und Prosa konkreter wird – aber das Verstehen spielt da für mich eben so wenig eine Rolle. Ich würde stattdessen den Begriff des „Annehmens“ unterstreichen. Dass dabei alle Ebenen betrachtet werden, also wenn jemand lesen will, davon gehe ich dann aus. Ich muss eben dafür sorgen, dass sich diese Ebenen anbieten. Mich ärgert nur, wenn etwa die Literaturkritik dann so eindimensional an einen Text geht, dass sie das Verhältnis mehrerer Ebenen gar nicht in Betracht zieht. Da würde ich sagen: Beruf verfehlt. Und zu deiner letzten Frage: vielleicht kann man darauf antworten, dass Prosa einfach mehr Oberfläche bietet und Lyrik eben nicht. Oder in einem Bild: Kontinent hier, Insel dort – und dann eben entsprechend wenig oder viel, was noch im Wasser verborgen liegt.
Der Buchhandel steckt aufgrund der Digitalisierung mitten in einem Wandel, ähnlich dem, den die Musikindustrie vor Jahren durchgemacht hat. Da du in beide Zweige Einblicke hast, was glaubst du: Droht der Buchbranche ein ähnliches Schicksal wie der Musik-Industrie? Macht der Buchhandel etwas besser oder anders? Oder ist das aufgrund der schnelleren Konsumierbarkeit von Musik im Gegensatz zu einem Buch nicht vergleichbar?
Ich habe da keine genaue Kenntnis. Ich versuche auch, über sowas nicht viel nachzudenken, um mich auf das für mich Wesentliche zu konzentrieren. Von einigen Verlagen weiß ich aber, dass sie seit Beginn der Covid-19-Zeit konstant Bücher verkaufen, und meine Buchhändlerin etwa hatte 2020 komplett Weihnachtsgeschäft. Ob das so bleibt, weiß ich nicht. Die Digitalisierung macht da sicher nicht Halt, und ich merke auch leider, dass die Verlage bei nicht so geradliniger Literatur vorsichtiger sind, aber das liegt vielleicht auch daran, dass der Buchmarkt so übersättigt ist und generell weniger gelesen wird. Langweiliges und frustrierendes Thema. Sicher ist, dass Musik und Literatur im Hinblick auf ihre Medialität nur bedingt vergleichbar sind. Ich glaube, wie die Leute lesen und wie sie Musik hören, driftet immer weiter auseinander. Musik wird einem nachgeschmissen, das ist furchtbar. Das meine ich jetzt nicht ökonomisch. Aber der Respekt vor dem musikalischen Schaffen sinkt. Weil Musik oft im Hintergrund stattfindet, ist die Wertschätzung da vielleicht auch geringer als bei einem Buch, das ja eine Konzentration zwingender erfordert. Aber das ist so komplex, da kann ich wirklich nur mutmaßen.
Du erwähntest am Anfang, dass Messer in diesem Jahr noch eine weitere Schallplatte veröffentlicht. Ist Vinyl auch dein favorisiertes Medium?
Und wie sieht es bei Büchern aus? Nur in Papierform oder hat ein E-book durchaus einen Reiz für dich?
Ja, ich höre am liebsten Schallplatten. Und auch was das Lesen angeht, bin ich old fashioned. Ich habe mir gerade ein neues Bücherregal kaufen müssen, das alte war voll. Gerade lese ich die zwei Romane von Axel Ruoff und Dead Zone von Stephen King, und dann ist da auch immer der Stapel mit Büchern, die ich für meinen Roman lese. Wobei sich das auch vermischt. Es wird nicht langweilig.
Du hörst beim Schreiben Musik, und du hast letztes Jahr am neuen Roman gearbeitet. Verrätst du uns, welche Musik/Band/KünstlerIn dich letztes Jahr beim Schreiben begleitet hat? Was war dein Musik Highlight 2020?
Beim Schreiben höre ich oft Jazz, das kann dann zwischen ECM und FMP alles mögliche sein, auch Klassiker, Miles und so. Gut fand ich die neue Protomartyr, aber das taugt nicht zum Schreiben. Die letzte Bohren fand ich auch total stark, die höre ich auch viel während der Arbeit am Roman. Alles in Allem von den Neubauten fand ich auch großartig, die habe ich intensiv gehört, weil ich für die Platte den Promotext und einen Essay geschrieben habe. Ein schöner Anlass, sich mal wieder tiefergehend mit einem deutschsprachigen Album auseinanderzusetzen. In den letzten Wochen habe ich, aufgewirbelt von seinem Tod, wieder viel MF Doom gehört, genau so war es mit Harold Budd. Ach, und eine Lieblingsband meiner Jugend, Louise Cyphre, haben ihre Diskographie auf Vinyl rausgebracht, das hat mir einige nostalgische Momente beschert. Jedem ans Herz gelegt sei außerdem das Album von meinem Freund P.A. Hülsenbeck und dem Organisten Michael Schönheit: Reaping From The Conflux. Das ist unfassbar schön und lässt ein tiefes Abtauchen zu.
Interpret | Keine Daten vorhanden |
Titel | Keine Daten vorhanden |
Veröffentlichung | Keine Daten vorhanden |
Label: | Keine Daten vorhanden |
Ich höre gerade aber eher ältere Sachen. Ende letzten Jahres ist ein Freund von mir an Krebs gestorben, der mich musikalisch in meiner Jugend sehr geprägt hat, und der wollte, dass ich mir was aussuche aus seiner gigantischen Plattensammlung. Da habe ich überwiegend Sachen mitgenommen, von denen ich noch nie gehört hatte. Das ist auch ein schöner Weg, neue Musik zu entdecken, und irgendwie finde ich es auch gut, seine Platten dadurch zu bewahren. Die freuen sich ja auch, wenn sie gehört werden.