Was haben Jimi Hendrix, Joy Divison und Beth Ditto gemeinsam? Und was hat Viv Albertine mit Van Morrison und Paul McCartney gemein? Und warum zähle ich jetzt noch Jon Savage, Simon Reynolds und Billy Childish auf? Ich sag es euch: Alle Bücher von oder über den hier genannten Personen sind von der Übersetzerin Conny Lösch aus dem Englischen oder Amerikanischen ins Deutsche übersetzt worden. Da dies nur eine kleine Auswahl der Musiker*Innen und Musikjournalist*Innen ist, die Conny übersetzt hat, zeigt sich schon, wie großartig und wichtig die Arbeit für die Popkultur im Allgemeinen und für die Musik-Literatur im Speziellem ist. Conny hat sich aber auch einen Namen mit fabelhaften Übersetzungen aus dem Krimi-Genre gemacht, unter anderem ist sie für die deutschen Versionen von Don Winslow, Joe R. Lansdale, Ian Rankin oder auch Elmore Leonard verantwortlich. Alles Autoren, die auch mein Bücherregal beheimatet, was lag also näher als Conny um ein Gespräch zu bitten? Dies fand Anfang Februar per Mail statt und ist somit der fünfte Teil der Reihe Musik trifft Literatur.
Zuletzt wurde bekannt gegeben, dass die Leipziger Buchmesse aufgrund der
Corona Pandemie wieder nicht stattfinden kann. Auch die Messe in Frankfurt konnte letztes Jahr leider nicht stattfinden. Wie wichtig sind solche Messen für dich als Übersetzerin? Finden dort normalerweise auch Auftragsvergaben statt?
Buchmessen sind sehr wichtig, vor allem die in Frankfurt. Die ist für mich das schönste Fest des Jahres gleich nach Ostern! Leipzig auch, aber das ist eine Publikumsmesse und aus den Lektoraten sind gar nicht so viele da. Mein Job ist ja ein sehr einsamer. Ich arbeite auch ohne Corona zu Hause am Schreibtisch und kommuniziere nur per Telefon oder E-Mail mit den Leuten, die mit mir an einem Buch beteiligt sind. Die muss ich nicht zwingend sehen und meistens ist auch gar keine Zeit dafür, nicht mal für die aus der eigenen Stadt. In Frankfurt kommen sie einmal im Jahr aus allen Ecken zusammen. Auch wenn’s dort hektisch ist und man nicht immer die intellektuell anspruchsvollsten Gespräche führt, sieht man sich und redet wenigstens überhaupt mal miteinander. Oft tauscht man aber auch innerhalb von drei Minuten mehr Infos über den aktuellen Stand der privaten und professionellen Dinge aus, als sonst im ganzen Jahr. Die Messe, und vor allem die Messeempfänge, bieten viel Raum für Zufälle, durch die man auf Ideen kommt und neue Leute kennenlernt. Ganz egal, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass man jemals zusammen arbeitet. Es ist auch toll, Leute zu treffen, mit denen man als Übersetzerin eigentlich nicht direkt zu tun hat, aus dem Vertrieb oder den Lizenz- und Presseabteilungen, Grafiker, Praktikanten, Journalisten, Autoren, Musiker, ganz egal. Man kann sich überlegen, wen man leiden kann und mit wem man gerne mehr zu tun haben würde. Irgendwann kreuzen sich dann doch die Wege. Und wenn nicht, hat man einfach Spaß gehabt.
Aufträge werden auf der Messe eher selten vergeben, aber es kommt schon vor. Meist wird da aber einfach einer E-mail vorweg gegriffen, die man später sowieso bekommen hätte, das ist nicht geschickter Anschleimerei zu verdanken. Trotzdem sollte man es damit schon aus rein sportlichen Gründen auch immer mal wieder versuchen.
Und wenn du einen Auftrag bekommen hast, wieviel Zeit hast du dann in der Regel zum Übersetzen? Arbeitest du auch schon mal parallel an mehreren Texten?
Ich kann den Auftrag nur annehmen, wenn ich ihn in meinen Zeitplan einbauen kann. Meistens weiß ich genau, was ich im nächsten Jahr oder zumindest in den nächsten sechs Monaten vorhabe, für jedes Projekt bekomme ich feste Abgabetermine. Wieviel Zeit zwischen Auftragsvergabe und Abgabetermin liegt, ist sehr unterschiedlich, manchmal muss es schnell gehen, manchmal wird langfristig geplant. Kann auch sein, dass ein Titel vorgezogen oder verschoben wird, dann muss ich umräumen in meinem Zeitplan. Parallel an mehreren Texten arbeite ich eigentlich nicht, aber es gibt bei jeder Übersetzung mehrere Phasen. Zum Beispiel muss ich das Lektorat abnehmen oder Fahnen lesen, d.h. der Text kommt immer wieder noch mal zu mir zurück, wenn ich schon am nächsten Buch sitze.
Ich habe ein Zitat von dir gefunden, das zusammengefasst aussagt, dass Übersetzen eigentlich ist wie den Text neu schreiben. Nun kann sich ein:e Autor:in eine Schreibflaute eventuell leisten, wie gehst du mit der Situation um, wenn dich die Muse vielleicht mal nicht küsst? Wenn du keinen richtigen Zugang zum Werk oder zur Arbeit findest?
„Neu“ schreiben klingt ein bisschen sehr rücksichtslos dem Autor gegenüber. Vielleicht habe ich eher schreiben gemeint? Es gibt ja Leute, die behaupten, Übersetzer seien verhinderte Autoren. Sollte das stimmen, wäre das wahrscheinlich der falsche Ansatz. Ich bin keine verhinderte Autorin, sondern eher eine faule, ich mag mir nichts ausdenken. Ich hatte noch nie einen Roman im Bauch. Ich nehme das, was ich vor mir habe und übertrage es in eine andere Sprache, dazu muss ich es noch einmal schreiben. Gestern habe ich im Homeschooling meiner Tochter bei einer Aufgabe geholfen. Sie sollte das Haus malen, in dem sie wohnt und war frustriert, weil ihr Bild ihrer Meinung nach nicht danach aussah. Ich hab ihr erklärt, dass Malen mit dem Sehen anfängt. Man muss sich etwas ganz genau anschauen, bevor man es malt. Vielleicht kann man auch sagen, dass man bei einem Text genau hinhören muss, bevor man ihn übersetzt. Fast hätte ich gesagt, bevor man eine Coverversion davon aufnimmt, aber das wäre auch schon wieder viel zu frei. Wenn man etwas covert interpretiert man es um und genau das sollte man beim übersetzen nicht machen.
So betrachtet ist meine Muse ja der Text selbst, er küsst mich und bringt mich auf Ideen, wie er in deutscher Sprache klingen könnte. Bei tollen Texten funktioniert das eigentlich immer. Nur bei blöden nicht, da dreht man sich dann mehr oder weniger angewidert weg. In solchen Fällen versuche ich gelassen zu bleiben und in Absprache mit dem Lektorat das Beste draus zu machen.
Du übersetzt neben Belletristik und Kriminalromanen viele Musikbiografien- und Sachbücher. Die erste Übersetzung, die mir von dir auffiel war Jon Savage: England’s Dreaming, ein Buch über Punkrock und eine der ersten Übersetzungen. Auch Billy Childish hast du früh übersetzt, auch bei ihm gibt es diesen Punkbezug. Ist das damals Zufall gewesen, oder kommst du auch aus dieser Szene?
Szene, weiß ich nicht. Auch nicht, ob’s da nur eine oder vielleicht doch eher zehntausend gibt. Aber ich hatte in den achtziger Jahren komische Haare, wenn du das meinst. Billy Childish ist ein Freund, viele seiner Freunde sind auch meine, vielleicht ist das so was wie eine Szene. Sein Buch wollte ich sowieso übersetzen. Ich hatte Anglistik studiert und eigentlich als Redakteurin gearbeitet. Als ich die Chance gesehen habe, Erich Maas zu überreden, dass er Billys Roman in seinem Verlag veröffentlicht, hab ich sie genutzt.
Ich hab gemerkt, dass mir das Übersetzen mehr Spaß macht, als mein Zeitungsjob, wusste aber nicht, ob ich davon würde leben können. Also hab ich erstmal beides gemacht. Klaus Bittermann kam dann durch Billys Buch auf mich und hat mich „England’s Dreaming“ übersetzen lassen. Und von Jon Savage war’s dann auch kein weiter Weg mehr zum Hannibal Verlag. Vor zwanzig Jahren gab’s in der deutschen Verlagswelt noch nicht so furchtbar viele Leute, die sich mit Popkultur auskannten, deshalb war das damals vielleicht so eine Art Spezialgebiet von mir. Irgendwie ist es das geblieben, auch wenn ich inzwischen hauptsächlich Belletristik übersetze und es genügend andere gibt, die ebenso wenig wie ich auf die Idee kämen, einen Kapitän Rinderherz in einen Text einzubauen.
Man merkt aber deinen Übersetzungen im Musikbereich an, dass du dich in der Materie auskennst. Trotzdem ist die Spanne der Genres der MusikerInnen, die du übersetzt hast, recht groß. Ist da im Vorfeld Recherche notwendig, oder sind die Begriffe und Bands dir soweit geläufig?
Recherche ist immer notwendig, ob man sich auskennt oder nicht. Irgendwas taucht immer auf, das man nicht weiß oder nicht kapiert und manchmal steht man einfach auf dem Schlauch. Aber man recherchiert während des Übersetzens, weniger im Vorfeld. Dank des Internets ist das heute eigentlich kein Problem mehr.
Interessanter ist meistens die Frage, was man Englisch stehen lassen sollte/kann/darf und was nicht. Was ist ein akzeptabler Anglizismus und was ist einfach bloß affig? Erschwerend kommt hinzu, dass die englische Sprache im Bereich Popkultur viel präziser ist als das Deutsche, da gibt es Begriffe für jede einzelne Sorte von Kragen, rund, spitz, geknöpft, bestickt, abgesteppt oder sonst was. Jeder Hut hat einen Namen, einen Bowler kann man stehenlassen oder eine Melone draus machen, aber was ist mit einem Pork Pie Hat oder einer Skull Cap? Und was fängt man mit Brothel Creepers an? Das muss man wirklich im Einzelfall entscheiden, da gibt’s keine Regeln, nur sehr viel Raum für Peinlichkeit. Und die gilt es unbedingt zu vermeiden.
Ich weiß gar nicht, ob das so ein breites Spektrum ist, für das ich mich zuständig fühle. Früher war es wahrscheinlich breiter. Jetzt nehme ich Sachbücher nur noch an, wenn’s wirklich mein Ding ist und das ist auch bei Musikthemen eher selten der Fall. Aber wenn’s passt, dann ist es natürlich umso schöner…
Warum ist das so? Liegt es an der sprachlichen Herausforderung, die dir die Belletristik mehr liefern kann?
Genau. In der Belletristik können sich die Autoren stilistisch viel mehr austoben und ich dann eben auch. Außerdem liebe ich gute Krimis.
Welche Musikerbiografie, die du selbst übersetzt hast, hat dich a) vom Leben des Beschriebenen und b) sprachlich besonders begeistert? Welche Biografie würdest du gerne mal übersetzen?
Viv Albertines Autobiografie steht auf meiner Liste ganz weit oben, im letzten Jahr auch die Oral History von Jon Savage über Joy Division. Vor allem Viv hat sich auch stilistisch was getraut. Biografien und Autobiografien, die einfach nur ein Leben nacherzählen, interessieren mich nicht so wahnsinnig. Kommt aber natürlich auf das Leben an. Womit wir direkt beim zweiten Teil der Frage wären (oder beim dritten?): Ich würde morden, um Mark Lewisohns Beatles-Biografie „Tune In” übersetzen zu dürfen und zwar alle Bände, auch und vor allem die, die noch gar nicht erschienen sind. Abgesehen davon interessiert mich alles, was ein kleines bisschen anders ist. Leider sind das meistens die Bücher, von denen Verleger glauben, dass sie in Deutschland niemand kaufen will. Sobald jemand mit einemgewissen Bekanntheitsgrad im Spiel ist, geht es nur noch darum, ob die Person auch in Deutschland prominent genug ist, um allein mit ihrem Namen Bücher zu verkaufen. Nicht mehr darum, ob das Buch gut ist. Was ich nicht ganz verstehe, weil ein unbekannter Krimi-Autor ja auch nicht prominent sein muss, bevor er sein erstes Buch in Deutschland veröffentlicht. Er wird bekannt durch sein Buch, nicht umgekehrt. Es gibt unzählige Bücher, die ich gerne übersetzt hätte, die aber nie auf deutsch erschienen sind. Jordan Mooneys Autobiografie zum Beispiel, die sie mit Cathi Unsworth geschrieben hat, die ich ganz toll finde, „Defying Gravity“. Und „Memoirs of a Geezer“ von Jah Wobble. Und Billy Braggs Buch über Skiffle. Und „2023“ von The Justified Ancients of Mumu, also The KLF.
Und und und und und.
Ich bilde mir ein, dass ich aus deinen Antworten auch schon Teile deiner Musiksozialisation erkennen kann. Sei doch trotzdem so nett mir diese zu beschreiben. Also was hast du früher gehört, was hat dich geprägt, wofür brennst du heute, wie haben sich deine Hörgewohnheiten geändert usw…..?
Ich hab mit neun Jahren in dem sehr mager bestückten Plattenregal meiner Eltern eine schmale unbeschriftete Box mit Platten gefunden, keine Bilder drauf, nichts. Ich hab sie heimlich aufgelegt und„All My Loving“ war das erste Stück. Seitdem bin ich Beatles-Fan. Das war sozusagen meine Grundausbildung und eine bessere gibt es nicht. Ein paar Jahre später fand ich aufregend, was aus England kam. Tendenziell natürlich eher das in den Independent-Charts, weniger in den anderen, aber so richtig aussuchen konnte man sich das damals ja noch nicht, weil es in der prä-digitalisierten Welt immer auch gewisse Beschaffungsprobleme gab.
Dann wurde es für mich zunehmend in Hamburg interessant, vor allem durch Alfred Hilsberg und seine Labels. Gleichzeitig bin ich über Billy Childish gestolpert und hab ganze Universen an Musik entdeckt. Meine Lieblingsplatte von ihm ist immer noch „Which Dead Donkey Daddy“ mit Sexton Ming. The Fall kann ich immer
hören, egal was wann und wie. Ich hab’s gerne ein bisschen schief und krachig, und ich liebe Songs mit Geschrei. Deshalb hab ich dann auch den Sänger der Band Brüllen geheiratet. Unsere neunjährige Tochter erweitert gerade unseren Musikhorizont. Sie macht selbst Musik und tanzt und hat keinerlei Beschaffungsprobleme, deshalb bekommen wir viel aus den unterschiedlichsten Genres zu hören. Gerade sind hier Nehneh Cherry, Deine Freunde und Childish Gambino angesagt. Und im letzten Sommer vor Covid haben wir zusammen auf einem Festival eine Band für uns entdeckt, Audiobooks. Da hatte ich zum ersten Mal seit Langem wieder Herzklopfen vor lauter Begeisterung.

Gibt es denn eigentlich auch Vorbilder beim Übersetzen? Gibt es dort prägende Kollegen oder Kolleginnen?
Es gibt viele tolle Kollegen und Kolleginnen, deren Arbeit man aber leider gar nicht gut kennt, wenn man selbst übersetzt. Ich habe mich früh für englische Literatur interessiert, Anglistik studiert und bin dann Übersetzerin geworden.
Wann hätte ich da Übersetzungen lesen sollen? Swetlana Geier ist natürlich eine große Heldin. Und Mirjam Pressler auch. Mein Professor an der Uni Frankfurt war Klaus Reichert, der vor seiner Berufung Verlagslektor war. Er war selbst Übersetzer, hat Virginia Woolf und James Joyce herausgegeben und häufig über das Übersetzen gesprochen. Das lief einfach als parallele Tonspur bei seinen Überlegungen zur Literatur mit und ich denke oft daran.
Auch als “normaler” Leser achtet man ja gar nicht immer auf den Übersetzenden. So habe ich zum Beispiel erst im Vorfeld dieses Interviews registriert, dass du Deadwood Dick von Joe R. Lansdale übersetzt hast, obwohl ich das Buch sehr abgefeiert habe. Ist diese schlechte Sichtbarkeit von ÜbersetzerInnen etwas, was dich ärgert, wo die Verlage nachbessern sollten, oder hast du dich damit abgefunden?
Ha, das freut mich sehr. Deadwood Dick war ein tolles Buch, leider haben es nicht viele gekauft…
Auf jeden Fall sollten Verlage Übersetzer mehr ins Rampenlicht stellen! Und auch ein bisschen mehr auf Händen tragen. Das fängt schon bei der Auftragsvergabe an. Ich lasse mich ganz gerne bauchpinseln. Wenn ich das Gefühl bekomme, eigentlich ist es egal, wer’s übersetzt – wenn ich’s nicht mache, macht’s halt jemand anders, dann schwindet mein Elan. Auch diese Team-Übersetzungen sind mir ein Graus. Nicht weil ich nicht im Team arbeiten könnte, sondern weil ich denke, dass das dem Text nicht gut tut. Wenn jeder Übersetzer einen eigenen Stil hat, dann müsste man das ja merken. Tut man wahrscheinlich auch, die Unterschiede werden nur im Lektorat glatt gebügelt. Das mag im Einzelfall unvermeidbar sein, weil es wirklich sehr schnell gehen muss, aber ideal ist das nicht und führt zu charakterlosen Texten. Besser wär’s einen ordentlichen Tempo-Zuschlag zu zahlen, dann kriegt das auch einer allein mit ein paar Nachtschichten hin. Absprechen und Ausbügeln kostet nämlich auch viel Zeit. Ein gutes Honorar ist übrigens grundsätzlich auch eine Form von Wertschätzung. Und für die öffentliche Wahrnehmung könnte man selbstverständlich mühelos viel mehr tun: kurze Übersetzerbios in die Bücher und die Vorschauen setzen und vor allem in die Pressetexte, damit auch Journalisten merken, dass man bei einem übersetzten Buch ruhig was über die Übersetzung sagen darf. Viele fühlen sich auf dem Gebiet nicht kompetent und schweigen, andere kompensieren ihre Inkompetenz, indem sie vermeintliche Fehler herausgreifen und anprangern. Das ist dann natürlich auch fatal. Fehler gibt es überall und immer. In Viv Albertines Autobiografie steht auf ein oder zwei Seiten „der Riff“, statt „das Riff“, da kriege ich heute noch einen roten Kopf, wenn ich dran denke. Da hat ein Korrektor im allerletzten Fahnenlauf zum Duden gegriffen und Recht haben wollen. Ich hab das erst mitbekommen, als mich jemand drauf angesprochen hat. Sonst hat’s aber keiner gemerkt. Glück gehabt.
Aber so was kommt vor. Die Frage ist doch eher, ob sich ein Roman gut liest, ob man das Gefühl hat, da kommt eine bestimmte Atmosphäre rüber, ein bestimmter Stil, ein Rhythmus. Und das kann jeder beurteilen, der das Buch gelesen hat und vielleicht ein bisschen Erfahrung mit Literatur hat. Und wenn das gelungen zu sein scheint, dann darf man auch loben, ohne den Text vorher Zeile für Zeile mit dem Original verglichen zu haben.
Ich kann mir vorstellen, dass es durch die vermehrte Nutzung von Ebooks nicht leichter werden wird, solche Feinheiten den Lesern näher zu bringen, da die Darstellung im kleinen Format dies verhindert. Man kauft nur noch nach Optik, nach kurzer Inhaltsangabe, nach Algorithmus-Empfehlungen…
Beruflich liest du wahrscheinlich digital, wie liest du im Privaten? Gedrucktes Buch oder Ebook?
Gedrucktes Buch. Ganz klar. Ich gestehe, dass ich da sehr altmodisch bin, ich liebe Einbände, ich liebe den Geruch von Büchern, ich liebe es umzublättern.
Ich will ein Buch in die Hand nehmen können. Obwohl ich’s natürlich toll finde, dass es Ebooks gibt, das eröffnet Möglichkeiten. Ich kann’s auch verstehen, dass Leute in der Bahn oder unterwegs Ebooks lesen, würde ich wahrscheinlich auch machen. Aber ich gucke sowieso den ganzen Tag auf einen Bildschirm, Abends sind meine Augen müde, dann will ich keine Displays mehr sehen, egal wie viel oder wenig Blaustich drin ist. Dann will ich auch nichts mehr anklicken. Dann will ich ein Buch. Ich glaube, das geht vielen so. Ich kenne die Zahlen nicht, aber ich glaube, das Problem ist eher, dass die meisten Leute überhaupt nicht lesen, sondern nur Handy spielen und vor Netflix hängen. Es gibt eine ganze Menge vollkommen bücherfreie Wohnungen, das erschreckt mich manchmal. Aber ich weiß gar nicht, ob das eine so neue Entwicklung ist. Meine Schulfreunde früher haben nicht gelesen, mein Vater hat nicht gelesen, meine Großeltern haben nicht gelesen, sehr sehr viele Leute haben nicht gelesen und das ist so geblieben.
Und welches ist Dein Lieblingsmedium beim Musikhören? LP, CD, Download,Stream?
Das ist ein wunder Punkt: ich stehe inzwischen mit allen auf dem Kriegsfuß, weil ich viel zu ungeduldig für irgendwas bin. Ich hab keine Lust, Platten oder CDs zu suchen, weil ich sie nicht alphabetisch einsortiert habe und in meinem Regal Kraut und Rüben herrscht. Außerdem haben meine CDs Kratzer (weil wir sie auch im Auto hören), dann spielt mein Player sie nicht ab. Platten sind super, springen aber, wenn jemand über die Dielen läuft, außerdem muss man sie andauernd umdrehen. Apple Music ist natürlich spitze, aber meistens ist Bluetooth für die falsche Boom aktiviert und wenn man ein Album hören will, dann bekommt irgendwas anderes dazwischen untergejubelt, von diesen ganzen katastrophalen Empfehlungen mal ganz abgesehen. Meistens klicke ich auf das falsche Play-Symbol dann stimmt auch die Reihenfolge nicht. Ich rege mich jedes mal auf, wenn ich Musik hören will und inzwischen nervt es mich auch schon, dass ich mich entscheiden muss, auf welche Weise ich sie hören will. Das ist schlimmer als bei Starbucks Kaffee kaufen.
Haha, das ist einerseits sehr lustig, andererseits hätte das nicht erwartet. Ich bitte zum Abschluss sonst gerne noch um Musiktipps oder aktuelle Lieblingsmusik. Das kann ich mir dann ja wohl sparen, haha. Also schnelle Planänderung: Welches Buch hat dich in letzter Zeit überzeugt und warum? Und noch eine Special Frage: Wenn du den LeserInnen nur ein von dir übersetztes Buch empfehlen müsstest, welches wäre das?
Ach, naja, du kannst schon fragen. Nur weil es mich wahnsinnig macht, hab ich das Musikhören ja trotzdem nicht aufgegeben. Geht gar nicht. Wie gesagt, Audiobooks sind super. Das Album heißt „Now! (in a minute)“ Aber das ist Stand 2019. So richtig aktuell finde ich das Entdecken ja schwierig. Und als Tipp für verhinderte Dylan-Fans, zu denen ich definitiv gehört habe, bevor mir dieses Album die Augen geöffnet hat: „The New And Improved Bob Dylan“ von The William Loveday Intention. Das ist Billy Childish und er hat Dylan tatsächlich verbessert. Bei Büchern hast du’s wahrscheinlich auch eher auf welche mit Musik abgesehen: Da würde ich sagen, Savage über Joy Division ist ziemlich toll, David Keenan traut sich was und außerdem ist noch eins von Tracey Thorn in der Röhre (wurde wohl wegen Corona verschoben). Das ein oder andere mit Musik hab ich hier auch noch auf dem Schreibtisch, darf ich aber noch nicht sagen. Und ohne Musik: „Winter Traffic“ von Stephen Greenall ist gerade erschienen. Der australische Autor hat mir anonym eine Flasche Champagner als Dankeschön geschickt, weil er kaum glauben konnte, dass das jemand übersetzt. Den Roman komplex zu nennen, wäre wahrscheinlich stark untertrieben. Ich wusste trotzdem von wem das Päckchen ist, weil ich so oft nämlich keinen Champagner geschenkt bekomme. Ich erwähne es hier einfach mal in der Hoffnung, dass es Schule macht.
William McIlvanney, die „Laidlaw“-Trilogie, steht in meiner Favoritenliste ganz oben und alle Bücher von Alex Wheatle. Eigentlich sind das Jugendromane, aber das ist der „Fänger im Roggen“ ja auch. Das war jetzt nicht nur ein Buch. Okay, die Frage kann ich nicht beantworten. Wenn ich nur ein Buch auf eine Reise mitnehmen dürfte, würde ich nicht verreisen.
