“Es ist normal, verschieden zu sein” lautet die Botschaft, die Graf Fidi, unser heutiger Interviewpartner bei “MusInclusion”, in die Welt hinein rappt. Als Sozialarbeiter und Inklusionsbotschafter engagiert er sich gegen Diskriminierung und für Inklusion und seine Leidenschaft ist die Musik. Seine angeborene Behinderung ist dabei mitunter Thema, aber steht nicht permanent im Fokus. Noch in diesem Jahr wird sein neues Album “Friendly Cripple” erscheinen, also haltet die Ohren auf, es lohnt sich!
Im Folgenden haben wir uns mit ihm unter anderem über sein Leben und seine vielseitigen Aktivitäten, seine Ansichten in Bezug auf Barrierefreiheit in unserer Kulturlandschaft und wie er durch die Rap Musik seine persönliche Stärke gefunden hat, unterhalten.
(Anmerkung: Das Interview wurde bereits im April geführt!)
Hi Fidi, schön, dass Du ein bisschen Zeit hast bei Deinem vollen Terminkalender. Erzähl uns doch zuerst einmal ein bisschen etwas über Dich!
Hi, Ich heiße Fidi Baum, bin 40 Jahre alt und komme aus Berlin. Ich bin studierter Sozialpädagoge, Singer-/Songwriter, Übersetzer in “Leichter Sprache” und Inklusionsbotschafter.
Wow, Das ist ja einiges…Was genau sind Deine Aufgaben als “Übersetzer in Leichter Sprache”?
Das bedeutet, dass ich in der Lage bin, Texte aus “Schwerer Sprache”, also die Sprache, die uns alle täglich umgibt, übersetzen kann in “Leichte Sprache”. Ich bin also ausgebildeter Übersetzer für Texte in “Leichte Sprache.”
Es geht also dabei darum, die Texte für möglichst viele zugänglich zu machen?
Die Hauptzielgruppe von Texten in Leichter Sprache sind Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber es profitieren auch Menschen mit Lese-/Rechtschreibschwäche, Menschen mit Migrationshintergrund oder ältere Menschen davon – also eigentlich Alle. Du kennt das ja sicher selbst, Du bekommst Briefe vom Anwalt, vom Amt oder der Krankenkasse und fragst dich “Hä, was steht da jetzt eigentlich drin?”. Ich könnte es dann nach den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache übersetzen. Neben meinen freiberuflichen Tätigkeiten bin ich bei der Caritas fest angestellt und dort bei einer Lehrgangentwicklung mit tätig. Das heißt, ich entwickle Lerneinheiten und eine Lernplattform, damit Menschen mit Lernschwierigkeiten aus Behindertenwerkstätten rauskommen, den Weg in den ersten Arbeitsmarkt finden und im besten Falle in einer einjährigen Weiterbildung zu Prüfern der “Leichten Sprache” ausgebildet werden. Diese Weiterbildung habe ich in den letzten Jahren mit betreut, mitgestaltet, und jetzt wird sie gerade durchgeführt – in Corona Zeiten eben auch komplett online und digital. Dazu habe ich auch die Plattform gebaut und jetzt bin ich gerade mit mehreren Kolleginnen aus Berlin und Augsburg dabei, diese Weiterbildung noch weiter zu modifizieren.
Wahnsinn – Wie viele Stunden hat Dein Tag so, 48h???
Haha, ne, der hat auch 24h. In der Woche bin ich bei diesem Projekt 35 Stunden angestellt und nebenbei mach ich eben auch noch freiberuflich Sachen.
Das hört sich nach sehr viel an, vor Allem nach sehr viel Spannendem…Wie kamst Du jetzt zu dieser Stelle, war das direkt anschließend an Deine Arbeit als Sozialarbeiter in der Jugendeinrichtung – von letzterer hatte ich zumindest in Deinem Lebenslauf gelesen…
Ne, nach der Jugendarbeit hab ich nochmal 2 Jahre bei ‘nem Pflegedienst für Menschen mit Behinderung gearbeitet und habe dort ein Schulungsbüro mit aufgebaut und selbst dort auch doziert. Aber meine Hauptaufgabe war da, das Büro zu betreiben und Dozent:innen zu finden für Schulungsauffrischungen der Mitarbeiter:innen. Da mein damaliger Chef das nicht auslagern wollte, haben wir einfach einen Büroraum angemietet und dort hab ich das dann selbst für 2 Jahre gemacht. Als mein Vertrag dann ausgelaufen ist, hab ich meinen jetzigen Job über Tinder gefunden! Ich hatte ein Tinder-Date, aus dem zwar nichts wurde, aber dieses Tinder-Date hat mir eben diese Ausschreibung zugeschickt und dann hab ich mich beworben.
Haha, großartig. Nochmal zurück zur Jugendarbeit: Du hast damals mit einem mobilen Tonstudio Rap Workshops gegeben, wie können wir uns das vorstellen?
Mobiles Tonstudio heißt, ich hab hier mein MacBook, ein portables Mikrofon und ich kann eben in Schulen oder so gehen und Aufnahmen dort machen. In der Jugendeinrichtung war ich neben den Rap-Workshops natürlich auch dafür da, um für die Kinder erste Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung zu schaffen, da ich dort der einzige Mensch mit Behinderung war – manchmal sogar der erste Mensch mit Behinderung, den sie überhaupt kennengelernt haben. Zu der Einrichtung bin ich über eine Freundin gekommen. Sie haben damals ein Video gemacht, um ihre Einrichtung vorzustellen, und haben einen “Fachmann” gesucht, der die Einrichtung auf Inklusion und Barrierefreiheit prüft. Und dann hab ich irgendwann den Chef gefragt “Ey, ich bin jetzt bald mit meinem Studium fertig, könntet ihr jemanden gebrauchen…” und so kam das dann zustande.
Wie sind denn die Jugendlichen damals mit Deiner Behinderung umgegangen? Bist Du damals auch in Situationen gekommen, wo es für Dich unangenehm wurde, und wenn ja, wie bist Du damit umgegangen?
Für die Jugendlichen war ich schon ein Erwachsener, und die haben mich immer respektiert. Für die war ich halt auch cool, weil die wussten, der macht Rap Musik, und haben sich das dann auch auf YouTube angeschaut. Aber natürlich haben sie ganz oft in meinem Beisein, ohne mich damit zu meinen, “Spast”, “Krüppel” oder “behindert” als Synonym für “Scheiße” verwendet, und das hat mich natürlich gefuchst.
Hast Du in diesen Momenten dann etwas gesagt?
Am Anfang ja. Irgendwann hab ich aber damit aufgehört, weil ich gemerkt habe, das kostet mich zu viel Energie. Alle halbe Jahre kamen neue Kinder und die alle dann in einem persönlichen Gespräch dafür zu sensibilisieren – dafür hatte ich gar nicht die Zeit und Kraft und letztendlich sagen die Kinder dann “Äh, sorry, das wusst’ ich gar nicht, und wenn ich behindert sage, dann mein’ ich gar nicht Dich, weil, Fidi, für uns BIST Du gar nicht behindert!”. Aber was es bei mir auslöst, und was ich denen damit sagen will, das haben die gar nicht verstanden. Und die kommen da ja auch nicht hin, damit ich denen ‘ne Lektion über Inklusion oder “Wie spricht man mit seinem Mitmenschen, wenn sie/er eine Behinderung hat” erteile, deswegen hab ich das dann auch gelassen. Es gab ein paar, die das dann auch verstanden haben, das waren dann übrigens meistens Mädchen, die dann auch immer als Co-Dozentin für mich eingestiegen sind und immer wenn andere Kinder was in die Richtung gesagt haben, entgegneten sie denen: “Ey,sag das mal nicht, der Fidi ist doch behindert!” Meine Idee ist, dass ich dazu einen Song mache oder ein Video mit dem Titel “Behinderung ist kein Synonym für Scheiße”. Da hab ich auch schon ein Konzept dazu…
Dein Video “Mitten im Leben” finde ich übrigens auch sehr bewegend. Wir haben ja auch eine Tochter mit Behinderung. Wir sind ja noch ganz am Anfang, da sie noch relativ jung ist, aber die ganzen Themen, die Du da ansprichst, sind ja auch Themen, die in der ein oder anderen Form auf unsere Tochter und uns zukommen werden. Im Kindergarten kommen jetzt die ersten Fragen. Was uns immer wieder begegnet und was ich auch während der Interviews häufig feststelle ist, dass sich viele Menschen, vor allem die Menschen ohne Behinderung, an dem Wort “Behinderung” selbst stören, bzw. sich bei dessen Verwendung unbehaglich fühlen. Ich selbst verwende dieses Wort ganz bewusst, denn es ist eben “kein Synonym für Scheiße”, und auch eben kein Euphemismus. Im Idealfall frage ich mein Gegenüber selbst, weil ich finde, dass das jede:r für sich selbst entscheiden soll. Mit welcher “Bezeichnung” fühlst Du selbst Dich denn am wohlsten?
Ich bin in erster Linie Fidi, ich bin in erster Linie Inklusionsbotschafter, Singer-/Songwriter, Fachmann für “Leichte Sprache”, studiere Sozialpädagogik und die Behinderung ist ein Teil von mir. Wenn Du mich jetzt fragst, ob “Menschen mit Behinderung” oder “behinderte Menschen” ist mir das völlig egal. Ich mach’ gerade ne Studioaufnahme in “Leichter Sprache” für die Zielgruppe für Menschen mit Lernschwierigkeiten und ich hatte in einer Songzeile, die ich geschrieben hatte “Menschen mit Behinderung”. Dann wollten die das geändert haben, weil sie sagten, wir möchten nicht “behindert” genannt werden und dann musste ich es ändern in “beeinträchtigte Menschen”. Frag’ die Sozialhelden, frag Raul Krauthausen, frag Leute von der Lebenshilfe, jede:r wird Dir irgendetwas anderes erzählen. Wenn wir uns aber jetzt auf was einigen wollen, dann vertrete ich schon auch die Meinung der breiten Community (Anm.: der Menschen mit Behinderung), dass man erst “Mensch” sagt und dann “mit Behinderung”, damit eben der Mensch im Vordergrund steht und nicht die Behinderung. Ich komm aus dem Rap, da muss ich ganz andere Sachen in Freestyle Battles über mich ergehen lassen…Eine “Aktion Mensch” hieß ja vor 20 Jahren auch noch anders (Anm.: ”Aktion Sorgenkind”) und es ist ja wichtig, dass da eben ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet und Menschen mit Behinderungen eben nicht als Last oder als “Sorgenkinder” empfunden werden, sondern in erster Linie als Mensch.
Es gibt auch Menschen in unserem persönlichen Umfeld, die mich nach den ersten Interviews darauf angesprochen hatten, dass sie fänden, “Behinderung” kann ich doch nicht sagen, das klingt so “hart”. Ich weiß, dass vor allem die Generation unserer Eltern oft gelernt hat, dass man “Behinderung” eben nicht sagt und das Wort “Handicap” das “bessere” Wort ist. Aber das ist ja gerade das Problematische, weil dadurch das Wort so negativ ausgelegt wird, und damit die Behinderung an sich auch.
Ja genau, denn kuck mal: Das ist ja eigentlich, wie wenn man eine Schublade nimmt und ein einfach nur ein anderes Label draufklebt, der Inhalt bleibt ja derselbe. Nicht behinderte Menschen werden immer denken, egal ob “Mensch mit besonderen Bedürfnissen”, “gehandicapt” oder “behindert”, dass die/der weniger kann. Und deswegen ist das meiner Meinung egal. Das was die Menschen verstehen müssen ist: Ich wach ja morgens nicht auf und denke “Ach Scheiße, ich bin behindert.” Meine Behinderung ist ein Teil von mir, der wird niemals weggehen. Aber meine Behinderung macht mich zu dem Menschen, der ich bin! Und nur WEIL ich diese Behinderung habe, hab ich zum Beispiel gerade jemanden hier gehabt und hab einen Song aufgenommen, und werde von der Lebenshilfe dafür bezahlt. WEIL ich die Behinderung habe, konnte ich Rap Workshops in Mittelamerika machen, WEIL ich meine Behinderung habe bin ich der Typ, bei dem Du jetzt denkst, dass sein Tag 48 Stunden hat. Wenn ich diese Behinderung nicht hätte, würde ich vielleicht irgendwo einen normalen Bürojob machen und nur ein passiver Rap Hörer sein. Die Behinderung macht mich eben auch zu dem Menschen, der etwas zu sagen hat, der sich auch für Menschen mit Behinderung einsetzen kann, für Menschen die eben aufgrund ihrer Behinderung vielleicht keine Stimme haben oder sich nicht so gut äußern können. Und das könnte ich ohne die Behinderung nicht und deswegen find ich das großartig behindert zu sein, weil ich es auch nicht anders kenne. Es ist ja auch ein Unterschied, ob ich damit geboren werde, und das sind 4% in Deutschland, oder ob ich im Laufe meines Lebens durch Unfall , Alter, Erbkrankheit oder wie auch immer eine Behinderung erlange. Und das ist etwas, was eben nicht behinderte Menschen auch dann oft denken: ”Oh Gott, das dürfen wir nicht sagen, weil das irgendwas schlechtes ist”.
Ich glaube tatsächlich dass es in unserem persönlichen Umfeld, gerade bei nahen Angehörigen, auch ein bisschen mit Verdrängung zu tun hat. Denn gerade wenn ich das Wort “Behinderung” im Bezug auf unsere Tochter verwende ist das etwas, das sie vielleicht gar nicht hören wollen, weil sie es auch nicht wahrhaben wollen. Das würden sie natürlich so nie sagen, sie versuchen uns da natürlich auch zu unterstützen. Manchmal ist das für mich selbst auch sehr schwierig ist, weil ich zum Beispiel jemand bin, die damit nach außen geht. Ich halte meine Tochter so gut es geht dahingehend raus, was z.B. Details zu ihrer Behinderung betrifft, weil ich denke, dass sie selbst, wenn sie alt genug ist, entscheiden soll, wie offen sie damit selbst umgehen will. Aber wir versuchen eben, ihr Offenheit vorzuleben, zum Beispiel indem ich in der Öffentlichkeit aktiv bin, sei es durch diese Serie, durch die Teilnahme an Aktionen Pflegender Angehöriger oder durch die Gründung unserer Selbsthilfegruppe.
Und genau das ist ja das Problem. Das Nicht-Benennen ist problematisch. Also wenn z.B. Deine Mutter es nicht schafft zu sagen, dass ihre Enkeltochter eine Behinderung hat, sondern versucht es zu “umschiffen”, dann wird sie eben vermutlich auch, wenn sie mit ihr alleine ist, ein Problem haben. Deine Tochter wird immer behindert bleiben, und es ist auch wichtig, das zu benennen, und es ist klar, dass Deine Tochter eben nicht all das machen kann, wie ein Mädchen ohne Spina Bifida. Aber das heißt ja nicht, dass sie weniger wert ist, oder dass sie darunter leidet. Das finde ich auch immer so schlimm wenn Leute sagen XY “leidet” unter ihrer/seiner Behinderung”, und das sagen eben auch immer nur Menschen, die eben keine Behinderung haben.
Wir könnten da jetzt stundenlang weitermachen, aber so viel Zeit haben wir beide leider nicht, also gehen wir mal weiter. Du hast vorher schon angesprochen, dass Du als Rapper in Freestyles auch mit ganz anderen Situationen zu tun hast. Es gibt ja auch sehr erfolgreiche und beliebte Rapper, die nicht vor Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderungen zurückscheuen. Hast Du in Freestyle Battles schon mit Diskriminierung zu tun gehabt und wie gehst Du dann damit um?
Also wenn ich in Freestyle Battles bin, dann ist das halt Battle, das ist wie in den Ring steigen. Wenn ich in den Ring steige und jemand auf die Fresse geben will, dann muss ich auch damit rechnen, auf die Fresse zu bekommen. Das ist eben Battle Rap, und das ist, wie der Name schon sagt, Battle – da ist alles erlaubt. Das muss ich aushalten. Wenn mir das so jemand sagt, auf der Straße, dann ist das was anderes. Wenn ich mir Rap Interviews anhöre, dann zuck’ ich innerlich schon zusammen, wenn da kommt “Ey, bist Du behindert”, oder “Du Spast”, das trifft mich natürlich. Deswegen will ich da auch unbedingt den Song drüber machen und auch Bezug nehmen, auf ein paar aktuelle Rapper. Weil die Jugendlichen ja diese Interviews auf YouTube kucken, und wenn die sehen, das ein Bushido oder Fler täglich “Spast” als geflügeltes Wort verwenden, dann übernehmen die das natürlich – und das ist ein großes Problem. Aber an und für sich hab ich im Rap-Kontext damit bisher kein Problem gehabt. Bei Veranstaltungen zum Beispiel wird mit mir respektvoll umgegangen und wenn es jetzt nicht im Battle-Kontext ist, werde ich auch von Rappern komplett auf Augenhöhe behandelt. Weil ich ja eben auch was kann, da hole ich mir ja den Respekt, weil ich gut rappe und nicht durch den Mitleidsbonus, weil ich 6 Finger habe und ab und zu im Rollstuhl sitze.
Wann hast Du denn mit rappen bzw. überhaupt mit Musik angefangen?
Hm, so ungefähr vor 25 Jahren…
Und gab es da irgendwie auf deinem Weg mal den Punkt, an dem Du gedacht hast, “Es geht jetzt nicht weiter”, aufgrund fehlender Barrierefreiheit, wenn es zum Beispiel um Zugänge zu Bühnen ging?
Die Frage auf die Du ja abzielst, ist, ist unsere Kulturlandschaft barrierefrei genug und wäre das für mich in irgendeiner Form eine Hürde gewesen. Nein, für mich nicht, weil ich mich ja auch immer als Teilzeit Rollstuhlfahrer bezeichne. Ich kann kurze Strecken laufen, ich kann Treppen steigen, ich hab’ keine barrierefreie Wohnung, ich hab ‘ne Wohnung im 3.Stock mit Fahrstuhl. Aber wenn ich auf Gigs gehe, bin ich im Rollstuhl, wenn ich in Clubs gehe, bin ich im Rollstuhl, wenn ich verreise bin ich im Rollstuhl. Aber zu meiner Arbeit z.B. fahr ich mit dem Fahrdienst und lauf’ da zu Fuß im Büro rum. Und wenn ich auf Gigs war, und dann war da keine Rampe, dann wurde ich entweder im Rollstuhl hochgehievt, oder wenn da an der Seite ‘ne Treppe war, dann bin ich da an der Seite mit Hilfe oder am Handlauf hochgelaufen. Aber trotzdem, Rollstuhlfahrer:in ist nicht gleich Rollstuhlfahrer:in. Menschen denken ja immer, ein:e Rollstuhlfahrer:in kann nicht laufen, und meistens ist sie/er auch noch geistig beeinträchtigt. Ich selbst bin bisher auf jede Bühne gekommen und konnte mein Programm runterspielen. Aber zur Gesamtfrage: Ist unserer Kulturlandschaft barrierearm genug? Nein, natürlich nicht…
Es gibt ja viele schnuckelige, kleine Clubs, in denen es alleine aufgrund der baulichen Voraussetzungen schwierig wäre, diese barrierefrei umzugestalten. Das sehe ich auch ein, aber oft findet sich ja eine Lösung, wenn die/der entsprechende Betreiber:in offen für ein inklusives Publikum ist, wie z.B. durch mobile Rollstuhlrampen oder das Freihalten von Behinderten WCs, wenn diese schonmal vorhanden sind (statt Nutzung letzterer als Abstellkammer, weil man eh davon ausgeht, es kommen ja keine Menschen mit Behinderung zum Konzert). Die Intention für diese Interviewreihe war schon auch, dass ich halt auch Bock hab’, wenn meine Tochter alt genug ist, mit ihr mal ein Konzert zu besuchen, aber in den Locations, in denen ich bisher so auf Konzerten unterwegs war, wäre es fast bei allen zumindest problematisch bis hin zu unmöglich, wenn sie sich bis dahin im Rollstuhl fortbewegen würde. Und dann gibt es ja auch noch die Clubs, wo man das Gefühl hat, da werden Menschen mit Behinderung überhaupt nicht mitgedacht bzw. sind schlichtweg unerwünscht, wie ich z.B. auch aus Erzählungen in vorangegangenen Interviews weiß…
Ja, kenn ich auch alles, aber: Ich selbst bin bisher in keinen Club NICHT reingekommen. Klar ich kann aufstehen und Treppen laufen. Manchmal war ich dann vielleicht auch schon zu besoffen, aber da gab es immer z.B. geiles Türsteher Personal, dass sich darum gekloppt hat, den Rollstuhlfahrer im Rollstuhl die Wendeltreppe hoch und runter zu tragen, also zumindest in Berlin. Und wenn ich auf Gigs war, haben sich sowieso immer alle darum gekümmert, dass es mir gut geht, da hab ich natürlich auch den Musiker Bonus. Privat bin ich meistens in Hip Hop Clubs, aber ich war auch im SO36, die z.B. ziemlich barrierefrei sind und auch ein Behinderten WC haben, oder im alten Tresor. Ich war schon echt viel unterwegs, hab aber nie das Gefühl gehabt, nur weil eine Gehbehinderung und einen Rollstuhl habe, dass ich mein Nachtleben nicht voll und ganz ausleben kann. Ein Raul Krauthausen, der Glasknochen hat, bei dem sieht das natürlich wieder anders aus. Oder überhaupt jemand, der einen E-Rollstuhl hat, den kann man nicht mal kurz zu zweit oder zu dritt die Treppe hochtragen. Aber Du fragst mich ja nach meiner Perspektive, und das ist das, was ich eben erlebt habe.
Du wirkst auf mich total selbstbewusst und in Dir ruhend, das spüre ich förmlich durchs Telefon 😉 Meinst Du das hat auch damit zu tun, dass es Dir durch dieses Auftreten auch leichter fällt, zu sagen,was Du brauchst oder um Hilfe zu bitten? Ich kenne auch Menschen, denen ist dieses Art von “im Mittelpunkt stehen” ultra unangenehm und die gehen da dann einfach nicht mehr hin, wenn sie zu viel Hilfe erbitten müssen, um eine barrierefreie, entspannte Zeit dort verbringen zu können. Hast Du eine Idee, wie man diese Menschen dabei unterstützen könnte, sich nicht zurückzuziehen?
Ja, zwei Sachen: Die eine ist meine Behinderung. Du hast ja im Song “Mitten im Leben” gehört, dass ich früher auch gemobbt wurde. Und ich war ein sehr introvertierter, wütender Junge, der wirklich auch das Gefühl hatte “Keiner mag mich”, so wie das ja auch viele Kinder schon erlebt haben oder immer noch erleben. Und es gab dann irgendwann den Punkt, wo ich gedacht hab, ich muss mich bemerkbar machen, sonst wird das nichts. Was mir sicher geholfen hat, ist die Rap Musik. Rap ist ja erstmal Mittel zum Ausdruck und war für mich wie Tagebuch schreiben, Dinge verarbeiten. Also nicht so wie heute, wo jeder mit YouTube aufwächst und jeder dritte Junge will Rapper werden und damit Kohle verdienen. Sondern als ich damit angefangen hab, vor ungefähr 25 Jahren, da saß ich in meinem Kämmerlein und hab mir Dinge von der Seele geschrieben. Und dann war ich mal auf ner Privatparty und hab vor mich hingerappt und plötzlich standen da Leute um mich herum mit offenem Mund und sagten “Oh, krass”. Und dann hab ich gemerkt, “Ok, gut, ich schein da eine Begabung für zu haben.” So hat sich das entwickelt, Und natürlich musst Du als Musiker:in oder als Künstler:in in der Regel einen Drang haben, dich zu präsentieren (auch wenn meine Freundin z.B. ausgebildete Opernsängerin ist und es hasst, auf der Bühne zu stehen).
Meine Behinderung hat mich letztendlich auch zu diesem extrovertierten Menschen gemacht, der ich heute bin, da ich viele Dinge eben nicht TROTZ sondern WEGEN meiner Behinderung gemacht habe. Ich habe gelernt, wenn ich im Club bin, und will meinen Gin Tonic oder meinen Wodka Red Bull haben, dann muss ich halt laut die Fresse aufmachen und rufen “Ey, hier, ich bin auch noch da!”: Das hab ich halt irgendwann gemerkt, dass ich das dann machen muss und durch das Rappen und einen gewissen Bekanntheitsgrad hat sich dann dieses Selbstbewusstsein auch verstärkt. Und es ist schön, wenn Du sagst, man hört, dass ich in mir ruhe. Denn ich hab’ auch immer noch das Gefühl, wie wir alle, dass ich auf der Suche bin, aber ich merke schon, dass ich immer zufriedener mit mir bin, weil ich immer besser weiß, was und wer ich bin, und was ich nicht kann. Aber eben vor allen Dingen auch, was ich kann. Ich hab früher auch immer versucht Dinge zu tun, die ich nicht kann. Und irgendwann hab ich gedacht “Schuster, bleib bei Deinen Leisten, aber mach das halt gut oder zumindest noch besser”. Und ich kann jetzt von mir sagen, dass ich der Künstler oder Rap Musiker bin, in dem Bereich Inklusion, Menschen mit Behinderung, der sich da auch einen Namen erarbeitet hat, und darauf bin ich auch stolz und das gibt mir Selbstsicherheit. Das ist aber nichts, was man in einer Woche in ‘nem Workshop erlernt, das war jahrzehntelange Arbeit! Und das eine hat das andere ergeben. Und die Rap Musik war sicherlich ein großer, wichtiger Faktor. Aber es muss ja nicht Rap sein, es kann ja auch z.B. andere Musik sein. Wobei eben Rap noch immer sehr männerdominiert ist, sehr viel Macho Gehabe, und wenn Du es da schaffst, Dich gerade als Mensch mit Behinderung zu behaupten, dann ist das vielleicht doch nochmal was anderes, als wenn ich jetzt Jazz Musik gemacht hätte.
Aber gab es mal die Situation, dass Du Dich nicht ernst genommen gefühlt hast? Also dass jemand gesagt hat “Du rappst aber gut, für jemanden, der…” (Das kenn’ ich zum Beispiel in Bezug auf meine Weiblichkeit, also z.B: “Für eine Frau spielst Du ja ganz gut Schlagzeug”). Bei mir hat es wirklich lang gedauert, bis ich mich mal getraut habe, zu machen, was ich wirklich will. Ich habe ganz viele Instrumente angefangen und wieder aufgehört. Ich hatte zum Beispiel einen Schlagzeuglehrer, bei dem ich irgendwann das Gefühl nicht losgeworden bin, dass der mich bewusst klein halten will, indem er immer wieder einen Schritt mit mir zurückgegangen ist, obwohl ich wusste (und ich neige eher zu Understatement als mich zu überschätzen), ich würde schon mehr können. Ich hab mich schon oft gerade in Bezug auf Musik auch das Gefühl gehabt, gerade in jungen Jahren, nicht ernst genommen zu werden. Also so dass ich mir immer doppelt so viel Mühe geben muss, um mich zu behaupten. Das ist heute anders, weil ich eben auch an einem anderen Punkt im Leben bin und mich mehr traue.
Das höre ich von ganz vielen Freundinnen auch, auch aus dem Arbeitsleben und das ist echt schlimm. Ich kann nur sagen, zum Thema Gleichberechtigung Männer und Frauen, ich mach da mal so ne Gleichung auf: Wenn wir für die Gleichberechtigung von Mann und Frau noch ca. 200 Jahre brauchen, dann brauchen wir für der Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung wahrscheinlich noch 400 Jahre… Und deswegen ist es gut, dass Deine Tochter Dich hat, dass Du da mit ‘nem guten Beispiel vorgehst und ihr eben schonmal einen anderen Weg zeichnest. Meine Mutter hat mich mit 40 bekommen, und ist nächstes Jahr 80. Ganz vieles kann sie gar nicht verstehen, allein von den Bezeichnungen her. Da sag ich oft “Ey Mama, das kannst Du nicht mehr sagen”, da versteh ich aber auch, dass das ein Generationen Ding ist und ich hab irgendwann aufgehört, das zu verteufeln. Jede Generation hat(te) ihre eigenen Herausforderungen und Konflikte und ich will mir jetzt nicht anmaßen zu behaupten, dass ich immer Up-To-Date bin oder sein werde, wer weiß wie ich mit 70 oder 80 bin und was mir dann mein Sohn sagen würde, wenn der dann 40 wäre.
Meine Mutter z.B. liest jedes meiner Interviews (und auch jeden anderen Artikel übrigens) und bemüht sich wirklich, Interesse zu zeigen und umzudenken oder Offenheit zu üben. Auch wenn das bestimmt nicht immer einfach ist, weil sie eben aus einer anderen Generation kommt und ganz andere Dinge beigebracht bekommen hat, aber die Bereitschaft ist da. Sowohl bei meiner Mutter jetzt, als auch bei anderen Menschen, die wir um uns herum haben, ist mir wichtig, dass diese Bereitschaft da ist, dass unsere Tochter gesehen wird, und zwar so, wie sie ist, mit ihrer Behinderung, aber eben nicht ausschließlich ihre Behinderung. Und eben dass der Umgang mit dem Thema offen und enttabuisiert ist.
Ja, das ist das Allerallerwichtigste!!! Das ist nicht schlimm, wenn sich die Menschen in eurem Umfeld dann da ab und zu noch schwer tun, oder was Falsches sagen. Wichtig ist, dass sie wirkliches Interesse haben. Dass sie ernsthaft daran interessiert sind, sich damit zu beschäftigen. Und das halte ich auch meiner Mama zu Gute, selbst mein Vater, zu dem das Verhältnis auch anders, und anders schwierig ist.
Ich glaube auch, dass ich mit meinen Eltern jetzt eine Ebene gefunden habe, wo ich nicht mehr denke, meine Eltern sind die, die mir die Welt erklären, sondern wir sind jetzt auf Augenhöhe. Ich bin eben jetzt ein erwachsener Mann geworden, und ich habe meine eigene Sichtweise und meine Eltern lernen auch von mir, also Themen aus dem Leben zum Beispiel, weil ich mich eben mit Dingen beschäftige, mit denen sie sich vielleicht nicht beschäftigen.
Es ist einfach auch was, was in jeder Familie zwischen Eltern und Kind stattfindet, also nicht nur in Familien, in denen ein Kind eine Behinderung hat. Gibt es etwas, was Du mir als Mutter einer Tochter mit Behinderung raten würdest, was Dir vielleicht damals gefehlt hat und Du Dir gewünscht hättest?
Also in der Phase als ich damals gemobbt wurde, konnte mich meine Mutter nicht richtig unterstützen, da die das gar nicht richtig mitbekommen hat, weil sie eben auch arbeiten war. Wenn Deine Tochter auf die Schule kommt, könntest Du die Eltern ihrer Mitschüler:innen sensibilisieren durch Gespräche. Denn natürlich werden die Mitschülerinnen fragen stellen, die Deine Tochter nicht alle beantworten kann, die Du vielleicht auch nicht beantworten kannst, aber wenn die Eltern informiert sind und ihre Kinder dann dafür sensibilisieren, das ist schon viel wert. Das hätte ich mir glaube ich gewünscht, dass die Eltern so ein bisschen “geteacht” werden. Wenn die Eltern zu ihren Kindern sagen “Das ist total normal”, dann nehmen die Kinder das total schnell auf. Und Deine Tochter, wenn sie so offen erzogen wird, wird das auch selbst übernehmen und Fachfrau in eigener Sache werden.
Was für mich außerdem der absolute Game Changer war, war der Kontakt mit anderen Kindern und Jugendlichen, die eine Behinderung hatten, also der Wechsel auf die Schollschule. Da hatte ich neben Raul Krauthausen Mitschüler mit Hörgerät und Trisomie 21 ,und hab auf einmal gemerkt: ”Wow, es gibt nicht nur mich”.
Vorher war die Sichtweise eher “Ich und die anderen”, da wurde ich dann auch irgendwann gemobbt, weil ich nicht so schnell laufen und mit den anderen Jungs Fußball spielen konnte und weil ich auf Partys nicht tanzen konnte etc.. Und plötzlich war ich “Einer UNTER anderen.”
Lieber Fidi, Vielen Dank, für Deine Offenheit und Deine Zeit, ich fand das Gespräch sehr schön und lehrreich. Wir wünschen Dir Alles Gute für Deine weitere Zukunft!