Nachdem uns in der letzten Folge Kay von LOCO Veranstaltungsservice GmbH Rede und Antwort gestanden hat (zum Interview geht’s hier), haben wir in dieser Ausgabe unserer Reihe “MusInclusion” mit Mr. Wheelchair aus dem Rübeland in Sachsen-Anhalt gesprochen. Im folgenden Interview erzählt er uns von seinen Social Media Aktivitäten, seinem Leben als Teil der Musikszene und den Orten, an denen er diese Leidenschaft am liebsten auslebt.
Hallo Mr. Wheelchair, schön, dass Du Zeit für uns gefunden hast! Da ich während der ersten Interviews festgestellt habe, dass eine große Verunsicherung diesbezüglich herrscht und ich der Meinung bin, dass sprachliche Barrieren auch Barrierefreiheit verhindern (oder behindern…) würde ich gerne von Dir wissen, was für Dich persönlich die politisch korrekte Bezeichnung von Menschen mit Behinderung ist, bzw. welche Bezeichnung verwendest Du selbst?
Ganz einfach auf die Frage: Ich sehe mich als Rollstuhlfahrer und die Leute zu Fuß als Fußgänger. Ganz normal. Behindert ist für mich auch kein Schimpfwort oder etwas Abwertendes. Aber ich bin da wahrscheinlich auch sowieso etwas anders als der Rest 😉
Erzähl uns doch zunächst etwas über Deine Aktivitäten in den Sozialen Medien als „Mr. Wheelchair„!
Ja, erstmal ist es eine gute Plattform und Möglichkeit um auf mich aufmerksam zu machen, auf das Rollstuhlleben, was noch geht, was nicht mehr geht. Über diese Plattformen kann ich mich gut äußern und erreiche damit auch viele Leute. Ich nutze die Netzwerke auch um mich selbst über alles mögliche zu informieren, zum Beispiel wann und wo die nächsten Konzerte sind, da ich da ja auch noch viel mache (vor und hoffentlich bald wieder nach Corona). Ich habe meinen Blog bei Facebook, bin auf Instagram und habe meinen Mr. Wheelchair Youtube-Channel, auf dem ich in Livestreams über mein Leben im Rollstuhl berichte oder Bands interviewe. Außerdem habe ich ein eigenes, das OWOC Laufteam. 1-2 mal im Jahr gibt es einen Lauf, bei dem Spenden gesammelt werden. Die ersten Spenden kamen mir zugute, da mein Bus, der mir die Teilhabe am Leben ermöglicht, dringend mehrere Reparaturen brauchte. Ansonsten helfen wir mit den gesammelten Spenden anderen Menschen. Einmal im Jahr mache ich bei mir im Garten auch immer ein kleines Festival, das OWOC Festival. Das ist kein öffentliches Festival sondern eine Party von Freunden für Freunde (nur geladene Gäste). Das ist immer ein persönliches Highlight für mich, da ich dort viele Leute und befreundete Bands treffen kann, ohne zig Kilometer fahren zu müssen. Dieses Festival war der Namensgeber für das OWOC Laufteam, auch das Logo wurde mit übernommen 😉 Das alles gibt mir richtig Kraft und einen Sinn.
Du gehst ja in den Sozialen Medien sehr offen mit Deiner Behinderung um – hast Du das Gefühl, dass andere Menschen Dir gegenüber trotzdem gehemmt sind? Was denkst Du, könnten die Gründe dafür sein?
In den Sozialen Medien eher weniger. Da denke ich geht es eigentlich. Ich merke dass sie mich jetzt nicht so beleidigen würden, da sind sie vielleicht doch gehemmt. Fast alle schreiben mit mir normal, aber wenn sie mich dann dass erste mal persönlich treffen, merkt man schon dass sie da Hemmungen vorhanden sind. Da komme ich mit meinem 200kg Rollstuhl an und sehe aus wie Robocop, da haben schon viele Berührungsängste, es sei denn sie haben schon Erfahrungen damit, beruflich oder familiär, dann merkt man das schon. Und viele sind dann erstaunt dass da so´n normaler Typ mit Quatsch im Kopf drin sitzt. Es ist schon ein Unterschied zwischen den Medien und dem Real Life.
Wie lebst Du Deine Leidenschaft zu Musik aus? Gibt es dabei Grenzen aufgrund fehlender Barrierefreiheit?
Dadurch dass ich viel Unterstützung habe, konnten wir bis jetzt alles realisieren was wir machen wollten, aber prinzipiell gibt es schon sehr viele Hindernisse und Sachen die verbessert werden müssten. Oft gibt es keine Rolli-Bühne. Diese ist echt wichtig. Rollstuhlfahrer sollten immer etwas höher stehen als Fußgänger. Erstens ist es gefährlich zwischen den Massen zu stehen, mit deinem 30 000 € Elektrorollstuhl, dann stürzt einer auf dich drauf oder schüttet sein Bier über dich oder die Elektronik und dann raucht und qualmt es nur noch, und du kommst da nicht mehr weg und musst dich im Nachhinein drum kümmern, dass das Ding repariert wird. Ganz abgesehen davon dass man nichts sieht außer Ärsche, wenn man keinen erhöhten Platz findet. Und es gibt noch mehr Gründe – die alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Zum Glück haben wir da viel Unterstützung von Veranstalter- und Bandseite. Natürlich auch, weil wir viele von ihnen seit Ewigkeiten kennen und wir uns im Vorfeld überall genau erkundigen und schauen, was geht, und was eben nicht geht. Eine kleine Rampe sollte eigentlich jeder Veranstalter haben. Das sollte heutzutage kein Problem mehr sein. Viele haben auch schon nachgerüstet oder sogar beim Umbau direkt im Hinterkopf gehabt, den Laden rollstuhlgerecht zu gestalten. Wir haben immer eine eigene Rampe mit dabei, die hat uns schon oft geholfen. Die habe ich übrigens als Spende von MAD Tourbooking vor einigen Jahren bekommen! Kurz zusammengefasst: die meisten versuchen zu helfen, wo sie können. Wir haben auch so unsere Läden, in die wir sehr gerne fahren, weil wir da auch wissen, dass es möglich ist und alle freundlich sind und uns unter die Arme greifen, wie zum Beispiel das Conne Island in Leipzig, KuZ Reichenstrasse in Quedlinburg, SO36 und Coretex in Berlin, die Chemiefabrik in Dresden, der MAU Club in Rostock, um nur einige zu nennen. Die Szene ist wirklich immer bemüht und wir haben überall Freunde, Daumen hoch! Das Endless Summer Festival war immer mega, da konnte ich mit meinem Bus direkt nach hinten fahren und hatte somit immer alles was ich brauche in Reichweite, was sehr wichtig ist wenn man auf Konzerte oder Festivals mit solch einer hohen Lähmung fährt. Das Full Force in Feropolis war jetzt auch wieder für mich möglich. Dort half uns der Verein Barrierefreies Festival und die Jungs von Away from Life haben uns sogar auf dem Festival begleitet und interviewt um zu sehen, wie es für einen hochgelähmten Rollstuhlfahrer dort ist.
Würdest Du Dich als Role Model bezeichnen und hast Du selbst Role Models aus der Musikszene?
Mh, Vorbilder in der Musikszene…Jens Bothge von Isolated war mal schwer krank und er hat seine Krankheit besiegt und sich nicht unterkriegen lassen, der war eigentlich immer ein Vorbild von mir. Vorbilder in der Musikszene habe ich jetzt nicht. Ich habe viele Lieblingsbands und finde es auch geil, wie lange sie ihr Ding schon durchziehen. Ich selbst sehe mich jetzt nicht direkt als Vorbild, allerdings wurde mir schon oft gesagt, dass Leute, wenn es ihnen mal nicht so gut geht, an mich und meine Situation denken und sich dann ihre Probleme relativieren und sie sie leichter nehmen können. Sie sehen mich als Vorbild und finden es stark, wie ich mein Leben noch lebe und viel unterwegs und auf Konzerten bin und es hilft ihnen, trotz extremer Schwierigkeiten, weiter zu machen. Das gibt vielen Leuten Kraft, ohne dass ich es jetzt so direkt mitbekomme.
Wie spontan und selbständig ist es für Dich möglich, ein Konzert zu besuchen und welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?
Das ist gar nicht so einfach. Also so spontan geht nichts, die Planung muss immer im Voraus stehen. Wir müssen gucken in welchen Laden wir können, dann kontaktieren wir den Veranstalter und melden uns quasi an und klären noch ein paar Sachen (vor allem wenn es ein Club ist den wir noch nicht kennen). Dann die Frage ob mit oder ohne Übernachtung, das hängt dann von der Entfernung ab, da geht es bei mir um Sitzzeiten, denn die sind nicht unendlich ausdehnbar, sonst gibt’s nen Dekubitus (Anm.: =Druckgeschwür). Bei Festivals kommt es natürlich auch sehr auf das Wetter an. Da bei mir die Wärmeregulation geschädigt ist, darf ich nicht unterkühlen und auch nicht überhitzen, da mein Körper es nicht selbst regulieren kann. Daher ist es immer wichtig den Bus dabei zu haben, denn da haben wir dann Klamotten und Decken zum Wärmen oder Sprühflasche und Kühlpads zum runterkühlen. Das muss alles bedacht und eingepackt werden. Ansonsten können wir ins nächste Krankenhaus, oder gleich wieder nach Hause fahren. Bis jetzt haben wir alles geschafft was wir uns vorgenommen hatten. Okay, bei den ganz großen Veranstaltern merkt man schon eher Desinteresse da die Rollstuhlfahrer so eine kleine Gruppe sind, dass ihre Interessen eher nur am Rande wahrgenommen werden.
Hast Du das Gefühl, in der Musikszene wird Inklusion bereits ausreichend gelebt?
Da bin ich ein bisschen mit überfragt, weil ich selber nicht so das Problem habe, einfach meinen Rollstuhl zu nehmen und wir fahren dann da hin und finden einfach einen Weg. Aber ich glaube viele trauen sich das auch nicht so, oder haben auch nicht die richtigen Leute, um solche Sachen einfach zu machen. Und klar, die Leute glotzen schon, und das muss man auch abkönnen – sowas ist mir völlig egal. Für jemanden, dem das nicht vertraut ist, wird es schon ätzend sein. Ich kann mich dran erinnern, vor 10 Jahren, meine ersten Konzerte nach dem Unfall, waren der Horror für mich. Früher hast du selbst auf der Bühne gestanden und Gitarre gespielt oder warst der erste und letzte im Moshpit. Und wenn du dann in so eine Situation kommst, wo du das alles selbst nicht mehr kannst, dann ist das erst einmal hart. Bei den ersten Konzerten hatte ich Tränen in den Augen und es war schlimm für mich. Mittlerweile, nach 10 Jahren, ist es für mich normal geworden. Mir fällt immer wieder auf, dass es sehr wenige Rollstuhlfahrer auf Konzerten gibt. Ich hoffe da tut sich in den nächsten Jahren noch etwas und es trauen sich auch mehr Rollstuhlfahrer raus. Klar, es ist alles hundert mal umständlicher, als als Fußgänger, aber es ist es Wert! Und je normaler es wird, dass Rollis im Publikum sind, desto eher klappt es auch mit der Inklusion. Vielleicht kann ich da auch ein Vorbild sein.
Was wolltest Du in diesem Zusammenhang schon immer mal loswerden?
Vielen Dank an euch, dass ihr mir die Möglichkeit gegeben habt, ein paar Worte zum Thema Inklusion in der Musikszene zu sagen. Was möchte ich noch loswerden? Ganz einfach: Seid alle froh da draußen, wenn ihr gesund seid, lebt jeden Tag als wäre es der Letzte, seid froh, dass ihr euch bewegen könnt, dass ihr alles machen könnt! Auch jetzt in der schweren Zeit, in der alles Scheiße ist – aber es wird auch alles wieder besser werden! Jammert nicht, wenn ihr morgens zur Arbeit müsst, das ist alles nichts Schlimmes. Seid nett zueinander. Wir haben es hier alle gut, es gibt so viele Scheiße auf der Welt. Haltet euch das vor Augen und passt aufeinander auf! Seid lieb zueinander. Auf Wiedersehen, euer Mr. Wheelchair !
Vielen Dank für Deine Offenheit!