Jeder hat doch in seinem Leben diese LPs, die er seit Ewigkeiten immer wieder hört, die nie irgendwie in Zweifel geraten sind und über alle Anderen gestellt sind. Zu vielen solcher Platten gibt es Geschichten, die man damit verbindet. Sei es die erste eines Genres, die man selbst erworben hat, sei es ein spezielles Konzert in Zusammenhang mit der LP oder auch nur ein spezielles Lied, welches die Scheibe zu einer Herzensangelegenheit macht.
In dieser Reihe wollen wir euch solche Geschichten erzählen. Vielleicht habt auch ihr die ein oder andere Geschichte zu einer dieser Platten, die ihr euch dazu in Erinnerung rufen könnt. Vielleicht lernt ihr aber auch gute Alben oder Singles kennen, die bisher an euch vorbei gegangen sind. Es geht hier nicht darum, dass „Master of Puppets“, „Killer Queen“ oder „Never mind the bollocks“ Evergreens ihrer jeweiligen Abteilung sind. Hier geht es nur um die persönliche Historie und deren musikalischer Begleitung.
Folge Sechs: Philip’s Platten
Ich fühlte mich von diesem anstehenden Text zu Beginn etwas herausgefordert. Meine Lieblingsplatten vor 2000. Um vorweg etwas klarzustellen, im Jahr 2000 war ich pickelige 15, mitten in der Pubertät und chronisch Pleite. Das bisschen Geld dass ich hatte gab ich also für CDs aus. Von den Jahren davor fang ich gar nicht erst an. Da gab es von den Eltern vielleicht mal ne CD zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Und Schallplatten? Schallplatten hat mein Vater gehört aber ich doch nicht. Schallplatten waren für mich zu dieser Zeit etwas für die Alten und DJs. Aber doch nicht für einen hormongesteuerten Lauch, der nicht weiter denkt als seine nicht vorhandenen Barthaare, die er sich so wünscht. Trotzdem, Schallplatten gab es in unserem Haus. Sogar eine recht ansehnliche Sammlung nur damals eben nicht mein Geschmack. Außerdem konnte man sich einen Plattenspieler nicht so praktisch wie einen Discman in die eigene Hosentasche quetschen. Erst ein paar Jahre später lernte ich das Abspielen von Platten zu schätzen. CDs waren nicht mehr so gefragt und wurden durch lieblose MP3-Dateien abgelöst, Streamingdienste gab es noch so gut wie gar nicht. Auf der Couch oder dem Bett liegen, das Cover in der Hand und die stille Vereinbarung mit sich selbst einfach liegen zu bleiben bis die B-Seite dran war. Irgendwie war ich dann doch wieder 15. Lag einfach da und hörte Musik und fing an zu sammeln.
JUDAS PRIEST – British Steel (1980)
Meine erste, selbst gekaufte Schallplatte. Wenn ich sie in der Hand halte glaube ich noch den Zigarettenrauch zu riechen der damals in dem Plattenladen rumwaberte. Ich hab mich immer sehr für die Einflüsse von Musikern und Bands interessiert. So stieß ich dann über Slayer und Kerry King auf Judas Priest. Was sie so sympathisch machte? Als Hobby-Gitarrist ist „Reign in Blood“ schon eine gewisse Herausforderung. Aber Songs wie „Living after Midnight“ oder „Grinder“ gingen doch irgendwie lockerer von der Hand und machten Spaß. Irgendwie waren Judas Priest auf einmal da. Ich hörte Priest, mein bester Freund Andy hörte Priest. Alle anderen auf der Geburtstagsparty hörten Priest nicht, also waren die prinzipiell Scheiße. Wir verließen die Party mit ein paar Flaschen Bier, setzten uns in Andys Auto und hörten „British Steel“. Als das Bier leer und die CD (!) fertig war, gingen wir wieder zur Party rein. Wenn Priest in Deutschland und in unserer Nähe spielte, war der Ticketkauf fast eine Selbstverständlichkeit. Als ich die Vinyl im Laden hielt, musste ich also nicht lange überlegen ob ich sie mitnehme.
FATS DOMINO – Here comes Fats Domino (1970)
Meine, sentimental betrachtet, wertvollste Platte. Mein Vater verstand nicht so ganz, wie ich nun auf den Trichter gekommen bin mir einen Plattenspieler in die Wohnung zu stellen. „Wo kriegst’n du jetzt noch Schallplatten her?“. Wie bereits eingangs erwähnt, es gab jede Menge Schallplatten zuhause, nur hatten wir keinen Plattenspieler mehr. Etwas später an dem Tag gab mir mein Vater diese Platte mit den Worten: „Schenk ich dir. Dann hast du ne Platte für deinen Plattenspieler.“ Ich mochte Fats Domino, aber erklärte ihm dass es schon noch Schallplatten zu kaufen gäbe, er bräuchte mir jetzt nicht seine geliebte Fats Domino Platte schenken. „Macht nix, ich hab die doppelt.“ Hatte er tatsächlich wie er mir anschließend bewies. Warum, wusste er nicht mehr. Ich nahm sie dankbar an. Danke Papa.
JOHN WILLIAMS, THE LONDON SYMPHONY ORCHESTRA – Star Wars, The Empire Strikes Back (1980)
Was kann man hierzu jetzt noch groß schreiben? Zum Film „Das Imperium schlägt zurück“ werd ich jetzt nicht viel schreiben, immerhin will ich nicht spoilern. Aber wenn die Platte mit dem Darth Vader Theme „The Imperial March“ beginnt… Ich bin dann wieder Kind, sitze auf der Couch meiner Eltern, fiebere mit bei der Schlacht von Hoth, übe mich im Umgang mit der Macht, möchte ein Laserschwert haben und falle aus allen Wolken als, halt nee, ich wollte ja nichts verraten. Ich habe keinerlei Ahnung von klassischer Musik und Orchester-Arrangements und kann nicht einmal ansatzweise das Scherzo vom Menuett unterscheiden aber wenn man mich zu solch einer Aufführung einladen würde, würde ich ablehnen weil ich bei der Musik nicht dem Drang widerstehen kann mir die Filme anzuschauen.
JOHNNY CASH – With his hot and blue Guitar (1957)
Wie schon gesagt, die väterliche Plattensammlung war groß. So standen u.a. Fats Domino, Dean Martin, Freddy Quinn und Johnny Cash im Regal. Und good ol‘ Johnny lief wochenends bereits in der Frühe noch vor dem Frühstück. Als Kind machte ich mir wenig daraus, etwas später war die Musik der Eltern prinzipiell eh „uncool“ aber als ich bewusst die Songzeile „I shot a man in Reno, just to watch him die“ hörte wurde ich doch neugierig und die Cash-Sammlung meines Vater war glücklicherweise groß. Wann immer er eine Platte in der Hand hielt, sang er ein paar Worte jeden Liedes, welches auf der Platte vorhanden war. Und so fand Johnny Cash schlussendlich auch seinen Weg zu mir und leistete mir an so manchem Wochenende morgens in der Früh bereits Gesellschaft.
SOCIAL DISTORTION – Social Distortion (1990)
Das erste mal hörte ich Social Distortion mit ihrem 96er-Album „White Light, White Heat, White Trash“. Mike Ness‘ Stimme hat mich einfach sofort begeistert. Von da an blieben Social Distortion auf meinem Schirm, auch Mike Ness alleine mit seinen beiden Soloalben. Vielleicht ist es diese Mischung aus Punkrock und Outlaw-Country die mich so begeistert und für mich „the Best of both Worlds“ darstellt. Die darauf enthaltene Coverversion von Johnny Cashs „Ring of Fire“ ist für mich natürlich auch nochmal ein Sahnehäubchen. Und wer entdeckt sich nicht wenigstens ein bisschen in dieser Songzeile aus „Story of my Life“ wieder? „Well, high school seemed like such a blur / I didn’t have much interest in sports or school elections / And in class I dreamed all day / About a rock ‘n’ roll weekend …” Und mit zunehmendem Alter gewinnt “Life goes by so fast / You only want to do what you think is right / Close your eyes and then it’s past” mehr an Bedeutung für mich.
JERRY LEE LEWIS – Live at the Star-Club Hamburg (1964)
Für mich ist diese Aufnahme reinstes Rock ‚n‘ Roll Kondensat. Jerry Lee Lewis am Flügel, begleitet von den Nashville Teens. Sieht auf dem Albumcover nach nicht viel aus aber wenn die Platte läuft, wäre man doch selber irgendwie gerne dabei gewesen 1964, auf St. Pauli, Große Freiheit 39. Den Star-Club gibt es seit 1969 nicht mehr und auch wenn er noch lebt, Jerry Lee Lewis werde ich wohl auch nicht mehr live erleben. Aber ich mochte und mag seine Musik noch heute und als ich auf der Suche nach eine Album von ihm war stieß ich auf ein Review dieser Liveplatte. Als Opener der „Mean Woman Blues“ bei dem er das Gaspedal schon so durchdrückt dass die Band kaum mithalten kann und er scheinbar dieses Tempo und diesen Druck das Album über durchgehend aufrecht erhält.
GORILLA BISCUITS – Gorilla Biscuits (1988)
An dieser Stelle möchte ich meinen lieben Freund und Keks-Kollegen Tobi grüßen, der das Gorilla Biscuits Album „Start Today“ in seiner Plattensammlung bereits erwähnt hat. Da es langweilig wäre, jetzt ebenfalls das Album vorzustellen, greife ich ein Jahr vor und picke mir die 7“-EP raus. Spielt auch keine Rolle, Gorilla Biscuits dürfen in dieser Liste einfach nicht fehlen. Positiver, gute Laune erzeugender New York Hardcore. „Hold your ground / Be yourself and be the best you can / Step out”
JOHNNY CASH – At Folsom Prison (1968)
Schon wieder Johnny Cash, aber eines meiner liebsten Live-Alben überhaupt. Ich stelle mir beim hören die Atmosphäre vor: knapp 2000 Häftlinge, wer weiß warum sie ausgerechnet in Folsom einsitzen, Wärter mit Maschinengewehren, Gefängnisdurchsagen, Aussagen wie „Dieses Konzert wird für ein Album bei Columbia Records aufgezeichnet, deswegen sollt ihr nicht ‚Hölle‘ oder ‚Scheiße‘ oder irgendetwas in die Richtung sagen.“ Natürlich darf ausgerechnet an diesem Ort sein Song „Folsom Prison“ nicht fehlen, mindestens genauso wenig wie der „Cocaine Blues“ der für johlenden Applaus sorgt.
KISS – Love Gun (1977)
Ich kann mich nicht mehr erinnern wie alt ich gewesen sein muss als ich KISS zum ersten mal hörte. Mit großer Sicherheit jünger als 15. Bis dato hielt ich mich schon für ziemlich verwegen weil ich die Toten Hosen und die Ärzte hörte. Aber die ersten Akkorde vom Opener und Titeltrack waren auf einmal etwas völlig anderes. Das war kein Schulhof-Pogo, das war Stadion-Rock! Und ich muss zugeben, KISS viele Jahre später live zu erleben entsprach in etwa dem was ich mir als Kind in meinem Kopf damals ausgemalt habe.
INSIDE OUT – No Spiritual Surrender (1990)
Lange bevor Zach de la Rocha den Rock-Olymp erklomm damit auf Studentenparties “Fuck you, I won’t do what you tell me” gegrölt werden kann, sang er für Inside Out. Auch wenn der Output von Inside Out sich einzig und allein auf diese eine EP beschränkt, ist der Einfluss auf Bands wie Have Heart, Stick to your Guns enorm. Und der Einfluss der Bands die wiederum aus Mitgliedern von Inside Out bestand, wie Gorilla Biscuits, Chain of Strength oder eben Rage against the Machine bedarf, glaub ich, keiner näheren Beschreibung. Daher gehört diese EP für mich auf jeden Fall in diese Sparte.