Jeder hat doch in seinem Leben diese LPs, die er seit Ewigkeiten immer wieder hört, die nie irgendwie in Zweifel geraten sind und über alle Anderen gestellt sind. Zu vielen solcher Platten gibt es Geschichten, die man damit verbindet. Sei es die erste eines Genres, die man selbst erworben hat, sei es ein spezielles Konzert in Zusammenhang mit der LP oder auch nur ein spezielles Lied, welches die Scheibe zu einer Herzensangelegenheit macht.
In dieser Reihe wollen wir euch solche Geschichten erzählen. Vielleicht habt auch ihr die ein oder andere Geschichte zu einer dieser Platten, die ihr euch dazu in Erinnerung rufen könnt. Vielleicht lernt ihr aber auch gute Alben oder Singles kennen, die bisher an euch vorbei gegangen sind. Es geht hier nicht darum, dass „Master of Puppets“, „Killer Queen“ oder „Never mind the bollocks“ Evergreens ihrer jeweiligen Abteilung sind. Hier geht es nur um die persönliche Historie und deren musikalischer Begleitung.
Folge Zwei: Nico´s Platten
So, dann bin wohl ich an der Reihe, hier meine Schallplatten für die persönliche Ewigkeit vor dem Jahr 2000 vorzustellen. Eines vorweg. Ich hab mich extrem schwer getan, was für Platten ich nun aus meiner Sammlung auswählen soll. Teils habe ich die LP´s auch nicht mehr, da man ja im jugendlichen Leichtsinn den ein oder anderen Schatz für paar Kröten locker macht und die ein oder andere hat auch das größer werden meiner Kinder im Babyalter nicht überlebt (aaargggg). Auch muss ich gestehen, dass vieles an Musik aus der Zeit vor 2000 erst viel später den Weg zu meinem Musikgeschmack gefunden hat und deshalb auch hier raus gelassen wurde.
Natürlich gibt es auch viele große Bands, die ebenso mein Leben geprägt haben, ich allerdings nie das große Augenmerk auf die “großen” Bands wie die Toten Hosen oder Die Ärzte hatte. Klar haben auch Bands wie Nirvana, Led Zeppelin, Body Count oder Green Day in den 1990er Jahren mein Leben bestimmt. Ein langer und intensiver Schwenk in den HipHop hatte ich ebenso, allerdings damals eben alles nur auf CD, da auch damals schon Vinyl gerade aus dem Hip Hop Bereich unerschwinglich war und man es dann eben doch auf diese komischen silbernen Dinger gebrannt hat. Gerade im HipHop haben mich zum Beispiel Beginner, Freundeskreis, EinsZwo, Blumentopf und so weiter extrem beschäftigt und als Punker war man mit der Mucke dann oft nicht ganz unten durch, was mir oft extrem viele Sympathiepunkte bei den Möchtegern-Gangstern beschert hatte.
Wenn ich aber nun meine 10 Alben für´s Leben vor dem Millennium vorstelle, dann kommen diese ganz bewußt aus einer Musikrichtung, der ich auch nach 25 Jahren (oh man hört sich das an, als ob ich schon 50 wäre…) noch immer die Treue halte. Dem Deutschpunk!
Auch hier gibt es unzählige Bands wie Dritte Wahl, Dödelhaie, Einleben, Boxhamsters, Toxoplasma, Slime, Boskops und unzählige mehr, die ich bis heute abfeiere und ich muss auch ehrlich gestehen, dass es mich viel Zeit gekostet hat, nun hier die Top-Ten-Alben vorzustellen. ABER, diese Alben haben in meinem Leben sehr viel bewegt und mich beeinflusst und deshalb starte ich nun mit den Geschichten dahinter. Ach, da ich alle gleich wichtig finde, lass ich hier eine Platzierung weg, denn jede ist für sich und mich Platz 1!
WTZ – Deutschpunk Revolte (1999)
Ja, bekanntlich startet die Würm irgendwo bei Sindelfingen und endet in Pforzheim! Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ja, wir waren damals ebenso Würmtalzecken, wie es auch WTZ waren/sind.
Das komplette Album ist bis heute eine wahre Hymne gegen das Spießertum in Stuttgart und Pforzheim. Gleichzeitig sind Songs wie “Breit” und “Bier” der Inbegriff zum Saufen. Und da ich bis heute Discos hasse, muss ich rein zur Bestätigung auch heute immer wieder mal “Disco AG” laufen lassen, denn da wird mir aus der Seele gesungen.
Muff Potter – Muff Potter (1996)
Und neben Turbostaat haben mich auch Muff Potter in den 1990er Jahren extrem angezogen und ich bin bis heute bei der Band hängen geblieben. Mit der Band verbinden mich viele Situationen, die ich selbst auch erlebt habe und in denen Nagels Stimme mir aus der Seele gesprochen hat. Auch hier gilt: die einen lieben Muff Potter und der Rest hasst sie. Ich gehöre zu Ersterem und das nun schon seit 1996!
Loikaemie – Ihr für uns und wir für euch (1996)
Ich kann sagen, über Loikaemie in die Skinhead Szene ein Stück weit rein gerutscht zu sein und obwohl ich damals Iro und rosa Haare hatte, konnte ich an der Band einfach nicht vorbei gehen. Ich denke, Loikaemie ist DIE linke Skinhead Band überhaupt in Deutschland und bis heute kommen nur sehr wenige Bands an das ran, was die Jungs aus Leipzig geschafft haben. Sie haben den Spirit und die Unit zusammengebracht und so zum ersten Mal für mich ein Umdenken bewegt. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass Skinheads nicht gleich rechts sind und seit diesem Album bin ich nie wieder aus der linken Skinhead-Szene weg gekommen. Und wäre ich nicht in diese Szene gerutscht, die im übrigen in Pforzheim aus nicht mal mehr zehn Leuten besteht, wäre ich wohl auch nie zum Ska und Mod gekommen. Und noch eine kleine Anekdote zur Band: Diese hat ungefähr 1997 in Pforzheim in einem Jugendhaus gespielt und die Veranstalter (nein, nicht ich!) haben vergessen, dafür Werbung zu machen und so durfte ich mit etwa 30 anderen Leuten mehr oder weniger ein Privatkonzert mit Loikaemie erleben. Das war verdammt nice damals!
The Lennons – Rache für Elvis (1997)
Mit The Lennons verbindet mich so einiges und so spielt ja unter anderem der Onkel meiner Frau in der Band mit, was ich damals allerdings noch nicht abschätzen konnte. Vielmehr waren The Lennons schon immer DIE Punk Band überhaupt aus dem Raum Pforzheim und so durfte ich noch Konzerte der Band miterleben, wo locker 600 Leute aus ganz Deutschland in die Stadt am Fuße des Nordschwarzwaldes gepilgert sind, um gemeinsam “Claudia” und “Rache für Elvis” zu grölen. Witzig ist auch, dass meine Frau damals beim ersten Album als Vegetarierin bei “Ein Pfund rohe Rinderleber” im Backround gesungen hat und sich das alles aber erst Jahre später zu Einem gefügt hat. Auch hatte ich bei The Lennons tatsächlich meinen ersten Vollrausch auf nem Konzert, was wiederum nicht so amüsant war. Bis heute bin ich mit einem Teil der Band eng verbunden und von daher muss die Platte definitiv hier mit aufgeführt werden!
WIZO – Uuaarrgh! (1994)
Wizo sind in der Anfangszeit völlig an mir vorbei gegangen, bis ich irgendwann auf nem Tape Sampler die unzensierte Version von “Kein Gerede” hörte und von der ersten Minute an völlig hin und weg war. Was für eine Aufbruchstimmung und was für eine Energie haben denn damals WIZO in die Punk Szene rein gebracht? Es gibt keine bessere Hymne für den Aufbruch und gegen das Kapital. Aber bis heute hat es mir “Uuaarrgh!” am meisten angetan. Das ist das wohl beste Album, das die Jungs aus Sindelfingen bis heute veröffentlicht haben. Mit “Kopfschuss”, “Raum der Zeit”, “Hey Thomas”, “Die letzte Sau” und “Das goldene Stück Scheiße” wurde Deutschpunkgeschichte geschrieben.
Rasta Knast – Legal Kriminal (1998)
Über Höhnie und sein Plattenlabel “Höhnie Records”, über welches ich immer gerade den angesagtesten Deutschpunk Shit bezogen hatte, bin ich damals auf seine Band Rasta Knast aufmerksam geworden und hatte mir die längst vergriffene Erstpressung von “Legal Kriminal” bestellt. Ab dem Zeitpunkt hatte mich die Band gefesselt, denn das ist ein absoluter Deutschpunk-Meilenstein, an den bei mir bis heute nur wenige Sachen ran kommen. Damals war mir kein Weg zu weit, auf deren Konzerte zu fahren und danach am Bahnhof zu pennen, bis der erste Zug wieder in Richtung Süden fuhr. Ach, was hab ich unglaublich viele tolle Zeiten mit dieser Band erlebt. Kann man sich heute so eigentlich nicht mehr vorstellen. Danke Höhnie, dass du damals nen Abklatsch zu Asta Kask auf Deutsch an den Start gebracht hast, sonst wäre ich wohl auch nie auf den ganzen Schweden- und Finnland Punk gekommen.
Stage Bottles – Big Kick! (1998)
Tja, was soll ich sagen. Neben Loikaemie ebenso eine der einflussreichsten linken Skinhead-Bands aus Deutschland sind wohl die Stage Bottles gewesen und der raue Strassensound mit Saxophone und anfangs auch mit Skinhead-Girl am Gesang war einmalig und ich denke, Stage Bottles dürfte die erste Band gewesen sein, die den Sound aus England so in der Form nach Deutschland brachten. Ach, was sind Stage Bottles früher hoch und runter gelaufen… leider hat die Band irgendwann aufgehört, sich weiter zu entwickeln und so sind nun die letzten Platten nicht mehr so toll. Schade eigentlich.
Scattergun – Sick Society (1999)
Alter Latz. Damals auf dem Force Attack das erste Mal die Band live gesehen und vorher noch nie eine so krass energiegeladene und gleichzeitig rotzige Frau auf der Bühne gesehen, die es schafft, das gesamte Publikum vom Force Attack mitzunehmen. Das war damals wie eine neue Welt für mich und Patti, der Sängerin von Scattergun, ist es zu verdanken, dass ich mich seit dieser Zeit bis heute sehr mit Frauen im Punk auseinander setze und supporte. Egal ob das noch als Konzertveranstalter, Booking Agent oder aktuell im journalistischen Bereich ist. Ich finde, bis heute wird Frauen in der Punkszene viel zu wenig Beachtung geschenkt und um so wichtiger finde ich es, auf diese aufmerksam zu machen. Scattergun sind bis heute legendär und wer weiß, vielleicht schafft es ja die Band, sich noch einmal zusammen zu finden und ein Album aufzunehmen?
Turbonegro – Ass Cobra (1996)
Boah, was haben mich Turbonegro damals in einen Bann gezogen. Durch Zufall bin ich in einem Plattenladen in Pforzheim auf das Album “Ass Cobra” gestoßen und habe es mehr oder weniger nur wegen dem durchaus genialen Album Cover gekauft. Kaum auf dem Plattenteller gelegt, war das wie eine Sucht. Turbonegro hier, Turbonegro da. Eine Zeit lang bestand mein Leben eigentlich nur noch aus Turbonegro hören und im jugendlichen Leichtsinn feierte man natürlich auch Songs alla “I got Erection” ab. Herrlich, wenn man so zurück blickt.
Ton Steine Scherben – Warum geht es mir so dreckig (1971)
Für viele ist “Keine Macht für Niemand” das Album überhaupt von den Ton Steine Scherben und ja, das ist ja auch verdammt gut, ABER textlich sind auf dem Album “Warum geht es mir so dreckig” definitiv die besseren Songs drauf und Rio Reiser zeigte sich auf dieser Platte hier von seiner besten Seite. Vor allem die Titel “Ich will nicht werden wie mein Alter ist” oder “Warum geht es mir so dreckig” sind Über-Hits und haben in meinem Leben verdammt viel bewegt. Aber auch “Macht kaputt was euch kaputt macht” war einer der Anstöße für mich, gegen das System zu rebellieren. Aber auch gegen die Schule und teils auch gegen die Familie wurde rebelliert und ja, nicht jede Rebellion war sinnvoll, allerdings vollkommen notwendig. Über Rio und Ton Steine Scherben habe ich zudem das erste Mal angefangen, mir Gedanken zu machen, wer ich eigentlich bin und was ich eigentlich will und ob das tatsächlich meine oder die Bedürfnisse anderer sind. Von daher ist das Album hier in meinem Leben ein absoluter Meilenstein und das Album ist zudem eine Erinnerung an einen Freund, der leider nicht mehr unter uns ist und mit welchem ich die Songs oft lautstark nachts im Kuhkaff gesungen habe. Pascal, wir vergessen dich nicht! R.I.P.
Zum Schluss bleibt mir eigentlich nur zu sagen, dass für mich persönlich vor allem in den 1990er Jahren extrem viele Alben, überwiegend aus dem Deutschpunk Bereich, erschienen sind, die bis heute einen ziemlich hohen Stellenwert in meinem Musikranking haben! Vielleicht kommt der ein oder andere ja nach meiner Story hier auch auf den Geschmack und es würde mich freuen, wenn ihr auch was zu den genannten Platten zu sagen habt. Lasst einen Kommentar da und freut euch auf die nächste Ausgabe dann in einem Monat.