Zack. Das Licht ist aus. Dunkelheit. Stromausfall. Liegt bestimmt an der Sommerhitze. Da gibt alles irgendwann seinen Geist auf. Die Dunkelheit umgibt mich komplett. Nur das Rote Licht am Plattenspieler leuchtet noch. Hä? Wie ist das denn möglich? Doch kein Stromausfall? Ich realisiere, dass nicht nur das Licht noch leuchtet, nein auch die Musik ist noch zu hören. Das Geräusch, dass ich als Zirpen einer Grille im Hintergrund wahrnehme ist in Wirklichkeit ein Synthesizer mit dem die Schallplatte, die ich kurz vorher auf den Plattenspieler legte, beginnt. Dann setzten die Gitarren ein, der bollernde Bass. das monotone Schlagzeug. The River heißt der erste Song und beamt mich direkt in das dunkle Jahrzent der 1980er Jahre. Deshalb die Abwesenheit von allem Leuchtendem. Vergiftete Flüsse, Waldsterben, Atomare Aufrüstung. Kalter Krieg. No Future. Schlagworte der damaligen Generation. Es hat sich aber immer noch nichts verändert. 2020 ist genauso scheiße wie 1984. Die Probleme sind die gleichen, nur die Fressen, die die Welt ins Chaos stürzen haben sich geändert. Deshalb ist es verständlich und legitim, dass die Musik sich wiederholt.
See.More.Glass sind vier Menschen aus Hamburg, die hier mit “Running” ihren ersten Longplayer via No Spirt veröffentlichen und zwar ziemlich genau vier Jahre nach ihrer ersten E.P. “tomorrow”. Acht Songs in circa 32 Minuten. Acht Songs die klingen als wären sie vor 35- 40 Jahren geschrieben worden. Ich lasse meinen Assoziationen freien Lauf: Joy Division mit kratzigerem Gesang, Bauhaus plays Postpunk, Birthday Party trifft sich auf einen Absacker mit Clair Obscure. Die Iren Fontaines DC spielen 2020 einen ähnlichen Sound und sind damit recht erfolgreich. Ihr wisst nun was euch erwartet.
Mich begeistert das Album sehr. Natürlich ist das Retro-Sound, natürlich ist es deshalb nichts Neues. Aber ich steh drauf. Ich finde bloß nicht die passenden Worte dies zu beschreiben. Die Stimmung, die ganze Atmosphäre die See.More.Glass verbreiten spricht mich an. Melancholische Dunkelheit, die immer wieder durch einzelne Lichtstrahlen in Form von eingestreuten poppigen Melodien aufgehellt wird.
Auch die Bezüge zur Literatur sind Kleinigkeiten, die das Gesamtbild der Band für mich noch interessanter werden lässt. Der Name der Band verweist auf eine Kurzgeschichte des amerikanischen Kultautors J.D. Salinger; der zweite Song des Album heißt Samsa, wie der Protagonist in Franz Kafkas bekanntester Erzählung “Die Verwandlung”. Thematisch geht es nicht nur in diesem Song um Veränderung auf der einen und Stillstand auf der anderen Seite. Der Albumtitel kann durchaus programmatisch gesehen werden. Laufen. Weglaufen. Oder Hinlaufen. Auf jeden Fall laufen. Alles ist besser als verweilen. Stillstand sucks.
Die Platte erscheint in zwei Versionen. Es gibt eine Version mit “normalem” Cover und eine limitierte Version in ganz schwarz, welche mir hier vorliegt. Passt gut. Schwarz wie die Seele der Band. Download Code ist auch dabei. Alles gut also. Keine Worte mehr. Nur noch diese hier: Verdammte Hacke! Das ist eine Platte des Jahres.
Hören. Kaufen. In der Atmosphäre versinken.
Und jetzt Licht an.
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