Zwickau, viertgrößte Stadt Sachsens, international bekannt für seine Automobilbatradition und Geburtsort des deutschen Komponisten Robert Schumann, doch für viele bleibt Zwickau vermutlich “nur” eine weitere Stadt auf der deutschen Landkarte. Für Simon Graupner spielt diese Stadt jedoch eine ganz besondere Rolle. Nicht nur, weil er dort geboren wurde, sondern vor allem weil es der Ort ist, wo er mit 14 seine erste Band gründete. Inzwischen ist er besser bekannt unter seinem Pseudonym Shelter Boy und wie es in den besten Geschichten nun mal ist, konnte sich Shelter Boy schnell unter den deutschen SongwriterInnen seiner Generation etablieren – erst als Support von Boy Pablo und Gus Dapperton und seither auch als Headliner mit einer treuen Fangemeinde. Am 26. April 2024 legte Shelter Boy mit “MERCYLAND” sein zweites Studioalbum vor und lädt uns alle ein, in die Welt seiner ganz persönlichen Bildungsreise einzutauchen.
Los ging es einst wie schon erwähnt in Zwickau. Mit Schulfreunden gründete er dort eine Band, um der jugendlichen Langeweile zu entfliehen. Heute könnte man fast sagen, dass diese Langeweile zu seinem größten Kapital geworden ist – schließlich bot sie ihm den Raum, sein Talent zu entdecken. Und Talent hat er definitiv. “Failure Familiar”, sein erstes Studioalbum aus 2021, brachte ihm Vergleiche mit Größen wie King Krule und Mac DeMarco ein. Doch “MERCYLAND” ist kein Abklatsch dieser Vorbilder – es ist ein eigenständiges Werk, das Graupners künstlerische Entwicklung eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Shelter Boy nimmt uns mit “MERCYLAND” mit auf eine Reise von der Adoleszenz ins frühe Erwachsenenalter, und was wir unterwegs erleben, sind nicht nur musikalische Leckerbissen, sondern auch tiefgründige Reflexionen über Themen wie Identität, Liebe und psychische Gesundheit. Ach, und nicht zu vergessen: die Dekonstruktion von Männlichkeit. Also, falls ihr dachtet, das Album handle nur von Herzschmerz und Teenager-Träumen – weit gefehlt! Shelter Boy geht hier richtig in die Tiefe.
Dabei bleibt er aber nie zu schwerfällig. Shelter Boy versteht es, komplexe Themen mit einer Leichtigkeit zu verpacken, die sich zwischen federleichtem Gitarrenpop und introspektiven Lyrics bewegt. Es ist ein bisschen, als ob du mit deinem besten Freund oder deiner besten Freundin bei einem Bier über das Leben philosophierst.
Wer sich hiervon mal ein Bild machen möchte hört an der Stelle einfach mal selbst rein 🙂
Was mir bei “MERCYLAND” besonders positiv auffällt, ist die Balance zwischen emotionaler Tiefe und musikalischer Leichtigkeit. Tracks wie “Messer Up Kids” oder “Growing Pains” verpacken schwere Themen in Melodien, die dich dazu bringen, gleichzeitig mitzusingen und darüber nachzudenken, wann du das letzte Mal wirklich über deine Gefühle nachgedacht hast. Shelter Boy schafft es, dass seine Musik sich anfühlt wie eine Umarmung – warm, beruhigend, aber auch ein wenig melancholisch.
Graupners Stimme, irgendwo zwischen sanft und kraftvoll rauem Gesang, ist das perfekte Vehikel für seine emotionalen Texte. Zeitweise hat mich seine Stimme ein wenig an eine ruhigere Version von Machine Gun Kelly erinnert. Es ist eine Stimme, welche durch die eigenen emotionalen Abgründe begleitet und dich am Ende irgendwie wieder heil an die Oberfläche bringt.
Immer wieder ist es mir eine große Freude, hier beim Keks neue Bands zu entdecken, die ich sonst vermutlich in der schieren Menge an tollen MusikerInnen übersehen hätte. So auch dieses Mal. Mit “MERCYLAND” konnte mich Shelter Boy mehr als nur begeistern und gab mir direkt das Bedürfnis, auch mal in die früheren Veröffentlichungen reinzuhören. Graupners Songs haben mich nicht nur musikalisch abgeholt, sondern auch aufgrund der tiefgründigen Texte und Geschichten. Das Album fühlt sich an wie ein langes Gespräch mit einem alten Freund, der dir seine Seele öffnet, ohne dabei jemals aufdringlich zu sein. Veröffentlicht wurde das Album wurde über Scruff of the Neck Records und wer mag, kann seine eigene Kopie im eigenen Bandshop erwerben.
Übrigens, falls ihr euch fragt, wie das Ganze live klingt: Shelter Boy ist ab Oktober wieder auf Tour. Also, schnappt euch schnell noch eure Tickets, denn wer weiß – vielleicht seid ihr ja beim nächsten großen Kapitel seiner musikalischen Reise dabei.