Wisst ihr, wie sich ein Dönerspieß in einer tibetanischen Kaschemme fühlt? Die Bude ist heiß und die zum Durchschneiden dicke Luft riecht so eindeutig süßlich, dass der Schweiß auf der Haut ebenfalls süßliche Aromen entwickelt. Nicht nur, dass meine Augen aufgrund der Hitze rotgerändert aussehen wie bei der Schlange Kaa, als sie Mogli einwickelt und per Schlaflied und mit hypnotischem Augenrollen versucht, ihn zum Schlafen zu bringen. Dazu kommt, dass mir alle paar Minuten jemand eine dünnen Scheibe vom Hirn wegsäbelt.
Gary Ramon, der Meister hinter Sun Dial hat seine Klampfe geschärft und sägt sich mir gerade bei den ersten Songs mit einem asiatischen Touch in den Kopf. Das erste Stück „Mountain of Fire & Miracles“ mit seinem spiritistischen Ansatz bohrt sich – mit neun Minuten voller dunkler, asiatischer, sich mantraartig wiederholender Melodien und einem Baritongesang wie vom Hohepriester selbst – ins Hirn. Ich gebe zu, dass mich dieses psychedelische Werk „Mind Control – The Ultimate Control“ schon früh voll ins Mark getroffen hat!
Was ihr noch wissen müsst: Multiinstrumentalist Gary Ramon gründete 1990 Sun Dial und spielte schon viel in anderen Bands und Projekten. Er betreibt sogar sein eigenes Label. Das Album „Mind Control“ erschien ursprünglich bereits 2012. Gab es schon 2015 eine Auflage mit zwei Bonustracks, so hat es die aktuelle Edition einmal mehr in sich, wie uns bereits der Titel unmissverständlich signalisiert. Nun erscheint die ultimative Edition mit zwei Bonustracks auf LP Nummer eins plus einer kompletten Scheibe namens „Flashbacks From The Aether“ mit zehn bislang unveröffentlichten Songs aus derselben Zeit ohne Überschneidungen zum Album. Ein umfangreiches, psychedelisches Meisterwerk mit einer Mischung aus Psychedelic-Rock, Krautrock und mit recht unkonventionellen elektronischen Klängen. Wie so etwas klingt? Hier ein Beispiel…
Das 2012er Line-up von Sun Dial bestand aus Gary Ramon (guitars, vocals, mellotron, mini-moog, arp, hammond organ, drums), Scorpio (bass guitar, 6-string bass guitar, moog taurus 3 bass pedals), Conrad Farmer (drums), Joolie Wood (violin, melodica, flute, bass recorder) und Cleo Ramon (moog source). Kenner*innen werden schon am Chirurgenbesteck erahnen, wo die Reise hingeht. Die siebzehn Songs addieren sich etwa auf 100 Minuten Laufzeit. 100 Minuten psychoaktive Beeinflussung des Bewusstseins – „Mind Control“ eben. Man hört wirklich viele Zitate aus den Bereichen Psychedelic Rock, Space Rock und Krautrock. Und was mich dabei total begeistert, ist das Wimmelbild der Zitate und die Herangehensweise an die Songs, die immer wieder zu neuen, ganz eigenen Stücken führt. Das ist ganz großes Tennis!
Der Opener „Mountains of Fire & Miracles“ hat herrliche Trance-Sequenzen und trieft vor Pink Floyd-Einflüssen. Dann gibt es mit „Last Rays of the Sun“ fiktive Filmmusik für Halluzinationen. Oder das Titelstück „Mind Rock“ mit Space Rock und einem Schuss Kraut. Für mich persönlich gibt es noch ein Highlight: Das Cover des Roxy Music Stücks „In every dream house a heartache“, das ausgehend von Folk in Gothic-Glam endet.
Das Bonusprogramm besteht weitgehend aus unveröffentlichten Songs oder alternativen Versionen des ursprünglichen „Mind Control“-Materials. Es wabert so schön spacig durch „Lost and Found“ und „I can tell“, wird psychedelisch mit „Liquid grey“ und löst sich dann in Schwaden und irren Sound-Landscapes auf wie in „Mask of Dawn“ und „Siren Song“.
Zum Schluß hier für euch noch der über neun Minuten lange Opener mit der Hirnsäge-Gitarre und dem Bariton des Hohepriesters – wer jetzt nicht das Ticket nach Nepal bucht, ist selbst schuld.
Mir liegt die wunderschöne, auf 480 Stück limitierte Edition im Gatefold mit zwei mal gelb-schwarzem Splatter-180-Gramm-Vinyl vor. Beide Platten überzeugen in puncto Klangbild und Dynamik, ebenso wie in der Schärfe. Da fehlt es an nichts und ich kann allen Freund*innen des Genres nur zum Kauf raten. Hier ist der kürzeste Weg.