Der letzte Montag Abend im Mai, es ist genau 20:42. Die letzten Sonnenstrahlen scheinen durchs Fenster und werfen Schatten an die Wände. Ich bin müde und kraftlos. Es ist einer dieser Tage, an denen so eine bittersüße Stimmung in der Luft liegt, die immer Gegensätzlichkeiten mit sich bringt. Abschied trifft auf Neuanfang, Alleinsein auf Zusammenkunft, Melancholie auf Leichtigkeit und Müdigkeit auf Kreativität. Es sind Abende, die nach Tocotronic oder Element of Crime verlangen, nach “Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben” und “Am Ende Denk ich immer nur an Dich”. Der Bildschirm flimmert, ich schalte den Kassettenrecorder an. Ich schiebe das schwarze Tape von Sven The Slacker, das über glückliche Umstände zu mir gefunden hat, in den alten Panasonic Slimline. Und irgendwie weiß ich, heute ist nicht der richtige Tag für Street Punk, heut will ich schmunzeln statt laut lachen, tanzen statt pogen, Rotwein, statt Bier. Heute ist der perfekte Tag für “Hutch”, so der Name des ersten, im April erschienenen Longplayers von Sven Rosenkötter, den die meisten von Euch bereits vom Post Punk / Cold Wave Duo ROSI kennen dürften. Ich fühle mich geehrt, das erste Tape dieser limitierten Zweitauflage mit schwarzem Cover vor mir liegen zu haben, das es normalerweise ausschließlich auf den Konzerten zu kaufen gibt.
Die Kassette eiert los (was an meinem Recorder, nicht an dem Medium liegt), aber ich finde das sogar schön – das ist für mich wie das Plattenrauschen für Vinyljunkies. Ich falte das handschriftlich kopierte Titelblatt (auf Karo selbstverständlich, herrlich unaufgeregt) auseinander und ich starte. “Allein”. Passenderweise geht die Sonne gerade unter und ich – muss schmunzeln…Ich liebe diese Stimmfarbe, die hier in sämtlichen Graustufen lässig aggressiv, resignierend, turbostaatesk von der leidenden Gitarre von Benjamin Streich (The Trash Templars) flankiert wird.
“Ich bin allein, ich bleib allein, ich scheiß’ mich ein, so soll es sein….”
Mit “Internet” ist es inzwischen dunkel geworden und ich kann bereits nach dem ersten Refrain mitsingen, was ich so sehr fühle…Ein Hasslied auf die Abgründe der Sozialen Medien. Da ich mich tatsächlich bereits fast täglich mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kommentarspaltendiskussionen auf Facebook auseinandersetze und trotzdem nicht aufhören kann, immer wieder meine Nase reinzustecken, nimmt mich dieser Song quasi direkt bei der Hand und lenkt meine Wut über die Inhalte dieser Ekelmonologe in Musik um, wo sie sich dann sogar in Ausläufer von Euphorie verwandelt. (Jetzt muss ich doch lachen, denn just in diesem Moment ploppt hier eine Anzeige für das 9€ Ticket und ein Artikel, über die Angst vor der “Punkinvasion” nach Sylt auf, kein Witz).
“Etwas” ist anders. Mit der von beginnender Liebe getragenen Leichtigkeit, mit weniger Druck wird hier durch den Song getänzelt und Schmetterlinge in Bäuchen verteilt. Ich bin verliebt.
Ein krasser Kontrast folgt mit dem letzten Lied der A-Seite: “Pisse im Kanal” brülle ich gedanklich Richtung Bühne im schrägen Chor, mehrstimmig. Diese Drums will ich live scheppern hören und ich weiß genau, wie es dabei riechen wird.
Die B-Seite startet mit einer Abrechnung mit der “Deutschpunk” Szene:
“Überall die gleichen Bands, egal wohin ich schau, Männer singen alte Lieder (…) Ich scheiß’ auf Deutschpunk”
Und auch hier schafft es Sven The Slacker uns ein (leider) nach wie vor aktuelles Thema direkt und unverhohlen auf den Tisch zu knallen und dabei alles in verhältnismäßig sparsamen Worten zu verpacken – und zwar im Gewand eines Liedes statt eines abgedroschenen Social Media-Kommentars.
Mindestens einen “Andersmann” kennt jede*r von uns, und manchmal bin ich auch selbst ganz schön anders (Während ich hier sitze und schreibe zum Beispiel…). Tanzen wäre jetzt schön. Arme und Beine von mir werfen und mich drehen, bis ich umfalle. Und bei “Klein” wieder zu mir kommen, das mich dann ins Delirium orgelt. Mehr Effekte, die mich im Stakkato in die Perspektivlosigkeit marschieren lassen. “Klein bleibt Klein” klingt frustrierend, der Song bäumt sich am Ende aber dann doch nochmal auf, was mir irgendwie dann doch noch ein bisschen Hoffnung vor die Füße spuckt.
Zu “Erinnerung & Fetzen” fängt es draußen an zu regnen. Es ist spät geworden, ich habe zwischendurch gespult, innegehalten, Texte aufgesaugt. Jetzt denke ich an früher und hab Lust auf die alten Lieder (aber nicht auf Deutschpunk). Da ist es, dieses traurigschöne Gefühl, irgendwo zwischen Frust, Freiheit, Sehnsucht und Hoffnung, das Erinnerung und Realität miteinander verschmelzen lässt.
Ich geh’ jetzt schlafen. Und träumen.
Ich würde Euch wünschen, ihr hättet diese Kassette. Und ihr würdet sie hören. Ganz oft. Ihr bekommt sie entweder direkt über Sven The Slacker oder bei Aldi-Punk.