Was flattert denn da für ein geiles Tape rein? It’s Eleven Records aus Chemnitz meinen es richtig gut mit uns und veröffentlichten bereits im September ein Tape von TOOTHPAINT mit dem schönen Titel „Digital Sex“! Das Werk gab es bisher nur als eine auf 30 Stück limitierte Vinyl-Version. Nun erhältlich in größerer Stückzahl für die gemeine Hörerschaft als high-quality Tape.
Ich liebe ja Tapes, diese Technik aus dem letzten Jahrtausend, die einfach ein ganz spezielles Handling und Gerätschaften verlangt. Herrlich antiquiert und sowas von non-digital. Warum gibt es eigentlich keinen Tuesday-for-Tapes. Das wäre doch mal eine Ansage!
Aber sei es drum. Hören wir mal rein, was Henry Arthur Hamann (Bassist bei L‘APPEL DU VIDE, einer Gloom-Punk aus Chemnitz und auch auf dem Label It’s Eleven Records vertreten) mit seinem Side Projekt TOOTHPAINT auf das Magnetband gebannt hat. Während des Lockdowns hat TOOTHPAINT die Zeit genutzt und dieses durchaus agile, energetische Kleinod in die Welt gesetzt. Das fotografisch kolorierte Bild eines menschlichen Auges starrt ein wenig apathisch den Konsumenten an. Davon sollte sich der geneigte Musikliebhaber aber nicht beeinflussen lassen. Wie schon erwähnt: spiegelt der Inhalt nicht den Eindruck der Verpackung wider.
Das Fünf-Track Tape „Digital Sex“ sollte man unbedingt laut hören. Dann erst entfalten die Synthie Smasher ihr volles aurales Bouquet und reißen den Hörer:in vom ersten Ton an mit und verbreiten etwa 15 Minuten ein wohldurchdachtes Chaos, das einerseits herrlichen DIY-Sound aus den Boxen drückt, aber anderseits durchaus wohlüberlegte Akzente setzt. Chaos und Ordnung sind die beiden Pole zwischen denen „Digital Sex“ sich bewegt.
Schon der Opener „Dumb enough to think” ist textlich schon mal ein Statement und musikalisch interessant. Während die elektronische Abteilung durchaus Druck aufbaut und Beats pumpt, bleibt der Gesang in etwa gleichbleibender Tonlage und bildet so einen interessanten Gegensatz.
„Hot Flush Fridays“ blinkt dann nochmal links, bevor der Song auf die Überholspur geht. Dieser Track klingt ein wenig nach Industrial EBM und zielt nur auf Bewegung ab. Wer da ruhig sitzen bleibt, sollte mal seine Bio-Werte prüfen oder die Gehörgänge frei pusten. Die Musik ist so herrlich aufgekratzt wie ein Kind nach Genuss von 1,5 Liter Coca-Cola. Dieses elektronische Gezappel nimmt TOOTHPAINT gleich mal als Blaupause mit in den nächsten Song „Boundaries“. Dazu garniert er ein paar Samples, Loops und Sounds und lässt die verfremdete Stimme passend zum Nervous Beat shouten.
Das unter 2 Minuten angelegte „Post-Office“ ist ein fantastisches Punk Gedresche, das bei entsprechender Lautstärke auch die Nachbarschaft erfreuen dürfte. Die stark verfremdete Stimme, das High-Speed Getrampel der Drums und die zärtlich gezupften Noise-Gitarren geben ordentlich was auf die Ohren. Großes Tennis!
Das Video ist eine interessante Version von „Digital Sex“ als Drum-Cover, die ein gewisser Karl Fagerstrom ins Netz gestellt hat.
Danach folgt der Titelsong „Digital Sex“, steigert sich über seine Laufzeit zu einer Elektro-Noise-Punk-Kakophonie, die von einem unbarmherzigen Beat angetrieben wird und dazu nervige Melodie-Fragmente, Synthie-Attacken und die Mantra-Vocals repetierend wütend aus den Boxen schleudert. Dieses wilde Raubtier muss erstmal gebändigt werden. Am Ende löst sich das Chaos in Rauschen auf und es verbleibt Stille. War das jetzt der Höhepunkt? Der Orgasmus des „Digital Sex“?
TOOTHPAINT schafft mit dem Viertelstünder trotz nerviger, verstörender Klänge die im Kontext der Pandemie vorhandene negative Energie durch seinen Synthie-Häcksler zu jagen und in durchaus neue positive Energie zu wandeln. Diese Art der Energiewandlung (laut Physik, der ein oder andere erinnert sich, gilt Energie-Erhaltung) ist absolut gelungen und hörenswert.
Unter IER – 008 ist TOOTHPAINT “Digital Sex” als Tape auf It`s Eleven Records veröffentlicht worden. Kaufen könnt ihr euch das Tape hier.