Und wieder einmal kommt hier ein durchaus bekanntes Gesicht bei unserer wöchentlichen Vinylsünde zur Wort. Dem geneigten Deutschpunk Hörer dürfte Gabi und dessen Bands Gleichaufschwankung, BlumentoPferde sowie Soko Linx wohl ein Begriff sein. Vor allem erstere Kapelle ist vor allem im Osten der Republik eine richtige Größe und so freut es mich umso mehr, nun an dieser Stelle an Gabi zu übergeben.
Als mich Nico fragte, ob ich einen Beitrag für die Vinylsünde beisteuern möchte, fühlte ich mich geehrt und die Freude war groß. Dann jedoch fing es an, in mir zu arbeiten. Vor allem da oben in der Gehirnregion. Passe ich überhaupt in dieses Format? Besitze ich eine Sünde auf schwarzem Polyvinylchlorid?
Meine Großmutter mütterlicherseits brachte mir mit ca. zwei oder drei Jahren über Schallplatten die Freude zur Musik nahe (Udo Jürgens – „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“: Ein Hit, der die Sofagarnitur der VEB Polstermöbel erbeben ließ!). Bei gesellschaftlichen Anlässen pflegte sie zu sagen: „Eigentlich bin ich ja satt.“ Und so verhält es sich mit mir und der Vinylsünde: Eigentlich passe ich hier nicht hin. Wenn ich in einer Plattenwühlkiste eine LP von Blue System oder der Kelly Family entdecke, dann MUSS ich die einpacken. Right Said Fred, Achim Mentzel oder Milli Vanilli – an diesen Platten komme ich einfach nicht vorbei. Keine Chance. In meiner Plattensammlung gibt es eine eigene Kategorie für sogenannten Trash. Was für andere Menschen Müll ist (vermutlich zu Recht), das sind bei mir die wahren auf PVC gepressten Perlen. Zu Weihnachtsfeiern verschenke ich bevorzugt LPs von Modern Talking. Manchmal bricht es mir regelrecht das Herz, diese Platten zu verschenken. Jedoch nicht aus dem Grund, dass mein Gegenüber sich mit diesem Geschenk beleidigt oder nicht wertgeschätzt fühlen könnte, sondern weil ich diese Platten gerne selbst behalten möchte.
Wenn meine Großmutter sagte, dass sie eigentlich satt sei, dann nahm sie sich immer noch ein bisschen von Diesem oder Jenem auf den Teller und verspeiste es genüsslich. Und wenn ich weiter oben behauptet habe, dass ich eigentlich nicht für die Kategorie Vinylsünde geeignet bin, dann liegt die Betonung auch hier auf dem Wort eigentlich. Denn natürlich befinden sich in meiner Plattensammlung LPs, die das Presswerk besser nie verlassen hätten. Zugegeben, ich musste eine Weile suchen und zahlreiche Machwerke durchstöbern, bis ich fündig wurde. Aber: Wer suchet, der findet!
Genau genommen gibt es zwei Alben, die getrost als Sünde bezeichnet werden dürfen:
Die erste Platte ist von Fips Asmussen und schimpft sich „Eine Mütze voller Witze“. Diese LP ist bei näherer Betrachtung gar keine Sünde, sondern sie gehört auf den Index. Das kann ich ruhigen Gewissens sagen, ohne diese Platte je gehört zu haben. Das Cover zu betrachten, reicht völlig aus. Mal davon abgesehen, dass dieser Tüp nicht witzig war (ich wiederhole und betone: Der war NICHT witzig!!!), ist ein anderer Punkt entscheidend. Das, was er seinem Publikum präsentierte, war zum Teil sexistisch und rassistisch. Und welche Kalauer es nicht waren, strotzten nur so vom dummen deutschen Biedermeier. Nico bat mich, ein Foto mit meiner Vinylsünde beizusteuern. Lieber Nico, ich muss diesbezüglich ablehnen. Ich möchte nicht auf einem Bild mit Fips Asmussen auftauchen. Wie wir alle wissen, vergisst dieses sogenannte Internet nicht. Wie ich an diese Platte kam? Zum Band-Weihnachtsessen im letzten Jahr überreichte mir der Gitarrist dieses Unwerk. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, beschleicht mich das Gefühl, dass er mich echt abgrundtief hassen muss. Wer bitte verschenkt Fips Asmussen?! Und dafür bekam er eine Blue System LP von mir. Blue System!!! AAARRRGGGHHHH #$%&?@YQ!§=#
Die zweite Sünde ist von Frank Duval und eine „Greatest Hits“. Dieses Album brachte AMIGA, das staatliche Plattenlabel der DDR, 1988 auf den Markt und kostete klassische 16,10 Mark (Ost), was konservativ umgerechnet heute ungefähr vier Euro entsprechen würde. Oder anders gedacht: Circa ein Drittel Monatsmiete in der Zone. Wenn ich mich zwischen diesem Frank Duval Album und dem Wohnen in einer Pappschachtel für zwölf Euro Miete entscheiden müsste, würde ich ganz klar Letzteres wählen. Auf diesem Album befinden sich Titel, die auf Namen wie „Stone Flowers“ oder „Time To Make A Break Now“ gehorchen müssen. Mein persönlicher Anspieltipp ist „Angel of Mine“. Schnulzig trällernd mit der Stimmlage eines kastrierten Thomaner Chor Mitgliedes, garniert mit musikalischen Ausflügen in Sphären a la Ricky King und versehen mit Textzeilen wie „Help me to change my thoughts, Help me to free my soul, Help me to love this life, Angel of Mine“ eignet sich dieses Lied hervorragend, um von der CIA beim nächsten Auslandseinsatz als Foltermethode angewandt zu werden. Dieser Song verstößt definitiv gegen die Genfer Konventionen. Und hat fast eine Million Klicks auf YouTube. Diese Welt ist echt im Arsch. Pro-Tipp: Wer sich blutende Ohren holen will, der muss nicht zwangsläufig zu Silvester einen auf Hilfsterminator am Connewitzer Kreuz machen. Einfach diese Frank Duval Platte auflegen, das reicht schon aus. Wie ich an diese LP gelangt bin, weiß ich nicht mehr. Gekauft habe ich sie mir garantiert nicht und als Hass-Geschenk ist sie einfach zu grausam. So viel Hass kann ein einzelner Mensch nicht in sich tragen. Ich arbeitete in meinen Zwanzigern eine Zeit lang nebenbei für ein Transportunternehmen, bei dem auch Haushaltsauflösungen Bestandteil der Arbeit waren. Hin und wieder entdeckten wir auf Dachböden Kisten mit Schallplatten, die wir uns einsackten. Vermutlich hat sich Franki-Boy so in meine Sammlung geschlichen, dieses langhaarige olle Hippie-Schlitzohr.
Ich habe für diesen Beitrag ein bisschen im Neuland herumgeklickt und bin dabei auf das Album „Die schönsten Melodien aus Derrick und Der Alte“ gestoßen, welches ebenfalls Herr Duval zu verantworten hat. Falls Eine*r von euch dieses Album besitzt, meldet euch bei mir und wir können gerne einen Tausch aushandeln. Im Angebot hätte ich da z.B. eine Fips Asmussen Scheibe. Deal? Anyone?
Abschließend bleibt nur noch eine Frage offen: Wie bitte schön bekomme ich jetzt „Angel of Mine“ wieder aus meinem Kopf? Herr Bockelmann, bitte übernehmen Sie!
PS: Dieser Text eignet sich hervorragend für Psychologie-Student*innen des ersten Semesters.