Wie war das mit dem alten Hund und den neuen Tricks? Als alter Punkrocker bin ich an Bord des Vinyl-Keks-Dampfers gestiegen, um spannende neue Platten voll mit lauten Gitarren und gepflegter Mittelfinger-Attitüde zu besprechen. Und nun also Jazz. Ich habe keine Ahnung von Jazz. Mein Fachwissen beschränkt sich in etwa auf die Aussage “Ja, haha, Helge Schneider ist ja auch voll der gute Musiker”. Ansonsten: Ignoranz.
Schon mal ein dickes Sorry vorab also an alle Jazz-Ultras für diesen Text. Ganz besonders natürlich an Nicole Johänntgen, die ja auch nichts dafür kann. Was sie sehr gut kann, zeigt sich dagegen auf dieser Platte – dem dritten Teil einer Albumserie, deren ersten beiden Ausgaben nicht ganz überraschend “Henry I” und “Henry II” heißen.
Der dritte Henry wurde 2018 live im Jazzclub Domicil in Pforzheim aufgenommen – also damals in dieser grauen Vorzeit, als es noch richtige Konzerte gab. Begleitet wird die Saxophonistin und Komponistin von bewährten Mitstreitern aus New Orleans: Jon Ramm an der Posaune, Steven Glenn am Sousafon und dem Schlagzeuger Paul Thibodeaux. Der erdige Sound aus Louisiana bildet dann auch das Grundgerüst für die sieben Stücke, die Nicole Johänntgen und ihre Band immer wieder für Improvisationen nutzen.
Von der ersten Note an ist klar, dass hier absolute Könner:innen am Werk sind, die mit viel Spielfreude und technisch auf absolutem Top-Niveau unterwegs sind. Auch die Live-Atmosphäre kommt hervorragend rüber – man merkt, dass das Publikum den Musiker:innen förmlich an den Lippen – ähhh, Instrumenten – hängt und jede Minute genießt.
Das gilt im Grunde auch für diesen alten Punkrocker hier, der aber zumindest anmerken möchte, dass er sich noch ein bisschen mehr Funkyness gewünscht hätte. Aber, ihr wisst ja: Ignorant.
Highlights sind für mich hier die Eröffnungsnummer “Life”, die selbst für ungeschulten Ohren typisch nach New Orleans klingt, und das getragene “Dig Deep”, bei dem es eine:n nicht wundern würde, wenn jeden Moment Tom Waits‘ knarzende Stimme einsetzen würde.
Fazit: Ein schönes Jazz-Album auch für Nicht-Jazz-Hörer:innen von einer sympathischen Musikerin mit einer erstklassigen Band. Erschienen ist die Platte bei Selmabirds Records. Kaufen könnt ihr sie direkt auf der Homepage von Nicole Johänntgen.