Wer Kinder und Instrumente im Haus hat, kennt es vermutlich. Aus zwei Zimmern ertönen gänzlich unterschiedliche Melodien und steigern sich gegenseitig in Intensität und Lautstärke und dem Wunsch sein*ihr Können hervorzuheben, was häufig mit einer zunehmenden Lautstärke einher geht, weil der Irrglaube herrscht, wer lauter ist spielt auch besser, vermutlich ist diese Annahme hergeleitet aus dem Irrglauben: wer lauter ist hat recht. Was dann aus den Zimmern als komplexer Sound ins Wohnzimmer wabert ist am ehesten dem Genre “Krach” zuzuschreiben. Was hilft, Kopfhörer auf und aufdrehen. Wenn dann aus den Hörstöpseln das neue Album “Flora Eallin” von Leagus zu hören ist, dann nimmt mensch hier zunächst einen zarte Klaviemelodie war, unter die sich bald ein noch zarterer, aber sich mit einer Dringlichkeit steigernder Klangteppich legt, der eine gänzlich andere Textur hat. Der Unterschied zur “Kinderzimmermusik” (kurz KiZiMu) scheint marginal, in beiden Fällen zwei unterschiedliche Instrumente, die zeitgleich zwei völlig unterschiedliche Dinge spielen, aber ist doch weitreichend. Denn was aus den Kopfhörern ins Hirn rauscht und dieses beruhigt und beseelt ist Musik. Der Unterschied zur KiZiMu liegt zum einen im Können, zum anderen im Miteinander. Auf “Flora Eallin” versucht kein Instrument das andere zu übertrumpfen, sie scheinen sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren und finden so immer wieder zueinander, gehen auf einander zu, begegnen sich und bereichern sich, wachsen miteinander.
An dieser Stelle ließe sich problemlos einen Gesellschaftsanalogie stricken, aber es geht ja um Musik.
Hinter dem Jazzduo Leagus verbergen sich Pianist Herborg Rundberg und Gitarrist Kristian Svalestad Olstad. Gemeinsam mit dem Nordnorsk Jazzensemble haben sie “Flora Eallin” aufgenommen. Neben Klavier und Gitarre sind somit auch Schlagzeug, Bass, Saxophone und Gesang zu hören. Die ich sonst so gerne auf die Texte eingehe, muss an dieser Stelle leider passen, ich verstehe kein Wort Norwegisch, aber da ich den Gesang “nur” als ein weiteres Instrument wahrnehme, da dieser sich in die instrumentale Struktur einwebt, macht diese Sprachbarriere nichts. Eher das Gegenteil ist der Fall, es verleiht der Gesamtheit der Komposition mehr Raum zum Zuhören, da die Aufmerksamkeit nicht von Worten und der Suche nach ihrer Bedeutungen abgelenkt wird.
Die Kompositionen sind reduziert, die Motive scheinen sich offen und bisweilen improvisiert zu begegnen und in der Begegnung einen gemeinsame Dynamik zu entwickeln. Dadurch ist das Album auch jenen zu empfehlen, die sich sonst mit Jazz schwerer tun, weil er ihnen zu anstrengt, zu fordert erscheint. Aber hier wirkt sich diese wohlwollende Begegnung der Töne auch auf die Zuhörenden aus und scheinen ihnen die Hand zu reichen, sie mitnehmen zu wollen.
“Flora Eallin” von Leagus unter Mitwirkung des Nordnorsk Jazzensemble ist am 28.04. als Doppelvinyl, im Gatefold verpackt, auf Is It Jazz? Records erschienen und nicht nur jenen zu empfehlen, die mal kurzzeitige den Geräuschen des Alltags zu entfliehen versuchen um sich in einen wohligen Klangteppich, der wie einen Hängematte aus Blumen gewachsen zu sein scheint, fallen zu lassen. Erhältlich ist das Album unter anderem hier.