Deutschpunk polarisiert. Zumindest auf Anhieb fällt mir kein Genre ein, an dem sich die Geister so dermaßen scheiden, wie bei auf Deutsch vorgetragenem 3-Akkorde-Krach. Man liebt ihn, oder man hasst ihn. Und wenn eine Band sich dann auch noch Bei Bedarf nennt, werden diejenigen, die auf der Seite des Hasses stehen erst recht laut aufschreien. Womöglich werden sie die Band aus Berlin auch ungehört in die No-Go-Schublade stecken, die da heißt: “pseudolustige Belanglostexte mit stumpfsinnigem Beat, vorgetragen von talentfreien Leuten braucht keine Sau.” Oder so ähnlich. Die (Selbst-)Erfahrung zeigt, dass es zumindest für das kritische Publikum, i.d.R. über 14, mit gebundenem Schuhwerk, jedoch ohne zerrissenem APPD-Shirt in Größe XXL und selbstgebasteltem Mohawk in verwaschenem Lila auf dem Kopf, eine solche Schublade auch berechtigterweise geben darf, ohne dass ich jetzt an dieser Stelle bestimmte Bands diffamierend benennen will. Ihr alle kennt sie aber vermutlich eh aus euren hiesigen städtischen Jugendhäusern.
So. Bevor euer Kopfkino sich nun zu sehr in den Vordergrund drängt und euch keine Chance mehr auf eine sachliche Diskussion zu “10 Jahre in 30 Minuten”, dem auf Bakraufarfita Records erschienenen neuesten Album von Bei Bedarf, lässt, kommen wir besser schleunigst zu eben diesem zurück. Solltet ihr von vornherein zu keiner sachlichen Diskussion bereit sein, so gehört ihr eventuell zu oben beschriebenem kritischen Publikum und könnt euch aus Selbstschutzgründen mit sofortiger Wirkung aus der Diskussion ausklinken.
Bei Bedarf machen nämlich eben jenen Deutschpunk, der (für kritische Menschen) in die Schublade passen könnte. Was mir sofort ins Gehör sticht, ist der fast schon programmatische stumpfe Gustav an den Drums, der ebenso programmatische, leicht metallisch angehauchte Zerrsound der Gitarren und die durchaus gut hängenbleibenden Gesangsmelodien. Deutschpunk halt. Jetzt aber einfach weiterzuskippen, wäre Bei Bedarf gegenüber jedoch nicht gerecht, sofern man die notwendige Toleranz aufbringen kann.
Bei Bedarf sind nämlich weitaus reifer als die Jugendhauscombos und vermutlich auch schon älter als 14. Zeuge davon sind die immer wieder überraschenden und unverhofften songwriterischen Kehrtwenden sowie die Texte mit Köpfchen, die zu verstehen es mitunter erfordert, sich davor keine zwei Liter Billigsangria aus dem Tetrapak hinter verschlossener Tür auf der Damentoilette des Jugendhauses reingekippt zu haben. Dem Zeitgeist entsprechend rechnen Bei Bedarf mit dem maßlosen und unreflektierten Konsumverhalten der (deutschen) Gesellschaft auf Kosten unseres Planeten, v.a. aber wiederkehrend mit dem Egoismus (es gibt Stimmen die sagen, dieser habe sich durch Corona extrem gesteigert) der einzelnen Individuen ab. Das ist gut und regt zum Nachdenken an. Nix da also mit bloßer Deutschpunk-Plattitüde.
So. Solltet ihr anhand der oben im Text angeführten Erläuterungen noch nicht ganz durchgestiegen sein, wie denn eigentlich der olle Riedinger dem Deutschpunk gesonnen ist: Ich gehöre doch eher dem kritischen Publikum an. Allerdings lassen mich Bands wie Bei Bedarf dem Genre gegenüber weitaus wohlgesonnener werden, als es alte Recken wie WIZO oder ZSK jemals könnten. Neuen Deutschpunk (Bei Bedarf gibt’s übrigens aber auch schon seit 2013) braucht das Land und in diesem Sinne werden Bei Bedarf all denjenigen als Frischzellenkur dienen, die dem Genre was abgewinnen können. Der Rest: …tut was ihr nicht lassen könnt.
“10 Jahre in 30 Minuten” kommt auf solidem Schwarz und mit Zombieartwork zu euch. Dazu gibt’s ein ausführlich bedrucktes Inlay und das komplette Album on top auf CD im Pappschuber und mit Download-Code. Viele Möglichkeiten also, sich Bei Bedarf schön zu gönnen. Schaut mal z.B. bei JPC.