Ein Künstler, der schon sehr lange unterwegs ist, sehr viel zu erzählen hat und politisch sehr engagiert ist, ist Chaoze One. Die erste, selbstgebrannte CD-r “Neue Kreise” hat er vor 20 Jahren veröffentlicht.
Dieses besondere Album “Venti” ist wohl so betitelt, um diesen Umstand zu feiern. 20 Jahre aktiv als politischer, sozialkritischer Rapper in einer von ziemlich vielen “mein Traum ist eigentlich ein Einfamilienhaus”-Rappern durchzogenen Hiphop-Szene; zumindest kommt dieses Bild viel zu oft rüber. Gerade erst recht, wenn Typen wie Haftbefehl im Feuilleton gelobt werden. Aber was heisst das schon?
Hier hat sich das Label Grand Hotel Van Cleef, welches eigentlich eher für Indie und Punkkram steht, denn für Rapmusik, sich dem Rapper Chaoze One angenommen. Viele Jahre war er zuvor bei Twisted Chords zuhause. Sookee hat einen ambitionierten Pressetext für ihn und seine Platte geschrieben.Ihn zu zitieren überlasse ich aber den andern Reviewern, hier gibts die Mithörgelegenheit. Im Sommer letzten Jahres wurde bekannt, dass der Mannheimer Rapper, den Machern des Labels schon lange bekannt, eben durch sein politisches Engagement, sein altes Label und die ohnehin gegebene Schnittmenge zu linken Musikpräferenzen – Alter, was für ein Satz – bei Grand Hotel van Cleef unterkommt.
Sein “letztes Kapitel” erschien schon 2008; und im Gegenteil, es wurde nicht wirklich still, er hat weiter Musik gemacht, EPs veröffentlicht und ein Buch. Es heisst “Spielverderber: Mein Leben zwischen Rap und Antifa”. Erschienen im dpunkt Verlag. Dieses Buch ist ganz sicher des Lesens wert, nur lenke ich jetzt mal den Blick in euer Gehör, auf dieses außergewöhnliche Doppel Album.
Mit “Venti” erfindet sich Chaoze One nicht neu, er zelebriert seinen eigenen Style und probiert doch Neues. Das Album startet mit dem Videotrack “Memento Moria”. Der Titel sagt alles, zu Gehör kommt ein vertontes Gedicht, ein wütendes SpokenWord, der miese, zwischenmenschliche Zustand dieser Welt in Worte gefasst und vor die Füsse…. gesprochen. Kein harter Rap, trotzdem pragmatische Feststellung.
Chaoze One bringt in über einer Stunde Spielzeit und 17 Tracks ein wahnsinnig abwechslungsreiches, überraschendes Album zu Gehör. Klar, ich könnte jetzt maulen und sagen “das ist doch kein Rap”. Da ich glücklicherweise nur Rap höre, der weitestgehend mit Instrumenten funktioniert, einen guten Punkeinschlag hat – oder zumindest etwas revoltierendes – erfreue ich mich vom ersten Moment an der guten Mischung. Wer die EPs von Chaoze One wahrgenommen hat, wird über seine Kollaboration mit Mal Élevé und der Band Irie Révoltés nicht stolpern.
Und was mich ebenso überrascht hat, wie auch bombastisch erfreut, ist der “Wachkomapatient Kapitalismus 2020” gelesen von Autor Jan Off. Überdosis Grau sind mit dabei, Matze Rossi, Shana Supreme, ein Zitat der Goldenen Zitronen, Torsun von Egotronic, es gibt superviel zu entdecken, was nicht Rap ist. Gut, einigen wir uns auf Sprechgesang.
Ich mag das Album sehr, die Lyrics, die Gedanken dahinter, die versammelten Künstler, die allesamt selbst eine hier nicht unerwähnt bleiben sollende Discographie haben.
Grand Hotel van Cleef haben hier einen 20-Pfünder an Land gezogen, maritim angehaucht, älter geworden, etwas ruhiger vielleicht in der Musik, doch mit dem selben Nachdruck, wie all die Jahre zuvor.
Anspieltipps sind, ganz klar, die durchtriebenen, wissenden, schlauen Spoken Word Tracks “Memento Moria” und der “Wachkomapatient Kapitalismus 2020”, dazu die IndieRapRockNummern, rotzig frech und schlau wie Pippi Langstrumpf “Vive l’Utopie” und “Daloy Politsey”. Wobei es sich bei letzterem um eine jiddische Hymne der anarchistischen, jüdischen Arbeiter*innenbewegung um 1905 in Russland handelt. Hier der ganze Text.
Es gibt so viel zu erfahren, so viel musikalisch zu erleben auf diesem Album, dass ich das hiermit über den Klee gelobt habe.
Die Platte, erschienen am 16.07.2021, gibt es selbstredend im Shop des Labels oder auch bei JPC. Zu allerletzt noch ein paar Worte zum Cover, welches ich sehr gelungen finde. Es deutet an, man versteht auf den ersten Blick die Möwe. Im Innern lodert ein Feuer. Auf den Labels werden die beiden Motive nochmal aufgenommen. Ein Fliegen zwischen Aufbruch und Zuhause. Artwork von Martin Burkhardt.
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