“Jedes Album ist eine Art Greatest Hits für mich”
(Matt im Tough Magazine, Januar 2021)
Abgesehen davon, dass ich Matt uneingeschränkt zustimmen muss, handelt es sich bei der neusten Veröffentlichung aus dem Hause DeeCRACKS um alles andere, als eine gewöhnliche “Greatest Hits”- Compilation. Die drei Österreicher haben für ihre 20 Jahre-Jubiläums-Release nämlich 26 ihrer Lieblingssongs mit Gesangsharmonien, Gitarrenparts oder Keyboards (!) im Studio upgegradet, 2 komplett neue Stücke dazu gepackt, alles perfekt durchproduziert und via Pirates Press Records in Form eines Sets mit 3-fachem, farbigen 10″ Vinyl gepresst.
Ok, fackeln wir nicht lang rum: Ich bin begeistert von diesem Format und kann Euch außerdem schonmal vorab sagen: Ich glaube ich habe noch nie ein Review über eine Band verfasst, die so präsent im Netz ist und mit so viel Herzblut und Liebe zum Detail agiert. Von Band Pics inklusive Infos, z.B. eine topaktuelle und lückenlose Vita, über Lyrics zu jedem Song oder Musikvideos en Masse auf YouTube – Nicht nur alles einfach so vorhanden und leicht zu finden, sondern auch alles extrem stilvoll gestaltet.
Wer jetzt kritisch die Augenbrauen hochzieht, weil Punk ja immer schnoddrig, DIY und Low Budget sein muss, der/dem sag ich: Nö. Denn ich bin der Meinung, wer so viel Arbeit und Leidenschaft in die Musik und alles drumherum steckt, wie Matt, Mike und Yeahman, kann von mir aus in einem 5-Sterne-Hotel nächtigen und sich mit Schampus die Haare waschen – und ist für mich trotzdem Punk. Denn Punk ist, wie ich finde, wenn man auch mal gönnen kann. Und ich gönne der Band genau das, was sie sich als Früchte für ihre Mühen eben so wünschen (auch wenn das vermutlich weder das 5-Sterne-Hotel, noch das Schampus Shampoo sind). Ich bin jedenfalls addicted, nicht nur weil sie 2003 als Ramones-Coverband auf Matts 18. Geburtstag begonnen hat (ok, vielleicht deswegen noch ein bisschen mehr). Damals noch als The Cretins unterwegs, wurde ihnen vom Label der Kieler Band The Creetins schnell nahegelegt, doch bitte ihren Namen zu ändern. So entstand letztendlich die eingedeutschte und Dee Dee Ramone angelehnte Variante von “The Cracks”: Die DeeCRACKS waren geboren.
An die 900 Konzerte (Stand 2021) in Europa, USA, Israel, Mexiko, Kanada, Russland & Japan, zahlreiche Veröffentlichungen (Alben, EPs, Split Singles, Sampler Beiträge…), und schöne Begegnungen haben sie in den letzten 20 Jahren gesammelt. Und all diese Erfahrungen haben sie jetzt in diese Sammlung gesteckt.
Schon die Aufmachung liebe ich: Geschmackvolles, mattes Pappsleeve in schwarz-weiß-gelb bedruckt. Die einzelnen, farbigen Vinyls stecken in glänzenden Innersleeves. Diese sind mit Fotocollagen aus Erinnerungsstücken der Band aus den letzten 20 Jahren bedruckt. (Vom russischen Busticket über Backstage-Pässe oder die Sockenpuppen aus dem Video zu “We Can’t Help It”.)
Außerdem ein großes Band Pic, auf dessen Rückseite eine kleine Liebeserklärung an ihre Fans und Infos zur Platte zu finden sind. Also dann, los geht’s….
Die erste der 3 Platten startet unvermittelt und BÄÄÄÄM! mit einem der beiden neuen Songs: “Burnt Out” drückt mich mit voller Wucht in meinen Stuhl (ok, es ist ein Sessel). Dagegengehalten wird mit dem zweiten Song aus dem ersten Album, damals noch als The Cretins, “Another Time Bomb” von 2007. Kaum vorstellbar, dass zwischen den beiden Songs 16 Jahre liegen sollen… Es folgen weitere Hits der letzten Jahrzehnte. Es fällt mir wirklich schwer einen Song besonders hervorzuheben. Aber genau das ist eben das besondere an DeeCRACKS. Jeder Song klingt anders. Da wird hier mal ein bisschen am Tempo gedreht, die Position des obligatorischen 1-2-3-4 verändert, Singalongs eingebaut, der Gitarrensound variiert – und trotzdem verlieren die einzelnen Stücke niemals an Wiedererkennungswert. “Not Another Minute” hätte uns Joey nicht lässiger vor die Füße rotzen können. Das besondere aber an Matts Gesang ist für mich, trotz der für ihn typisch rauhen Stimmfarbe, dass sie sich mit jedem Text anpasst, eine Nuance verändert und somit bei jedem einzelnen Lied extrem überzeugend und authentisch klingt. Ich fühle “(…)breaking my head in two, with shambles, cigarettes and you” in “Shambles”… Die B-Seite beginnt mit “One And A Million Miles” der 2014er EP “Adderall” – spätestens jetzt hält mich hier nichts mehr auf dem Stuhl, ultratight gespielte Drums dancen mit vollen Gitarrenriffs und ultralässig gespieltem Bass und mir um die Wette- “(…)and i don’t need to fit in!”. Bittersüßer, melodischer Herzschmerz aus 2021 folgt mit “We Can’t Help It”, Mit “I Need A Nurse” springen wir wieder ein paar Jahre zurück. Die erste 10″ endet mit dem gediegenen “You Messed My Head Up” und ich “Oooohe” mich zur nächsten Platte. Wer sich fragt, was da noch an musikalischen Krachern übrig bleiben soll, der/dem sei gesagt: So einiges!
Ich habe ja absichtlich in der Genrebeschreibung des Reviews “Ramonescore” weggelassen. Denn auch wenn sich bestimmt viel Ramones in, um und um DeeCRACKS herum befinden, so finde ich doch, dass es ihnen nicht würdig erscheinen würde, sie in den Schatten der amerikanischen Kultpunkern zu stellen -weil sie einfach einen ganz eigene, unverkennbare Note in ihrer Musik mitbringen. Trotzdem erscheint mir die C-Seite eine versteckte -naja, eher offensichtliche – Hommage an die mighty mighty Ramones: Statt nach Shock Treatment wird hier nach Plastic Surgery verlangt, “My Baby Quit Rehab” strotzt nur so vor “Ohh Yeah Yeah Yeah” und “No No Nos” und “Get You Out Of My Head” ähnelt sowohl im Titel, also auch inhaltlich und tempomäßig dem ramonschen “I Can’t Get You Outta My Mind”. Bei “Adderall” ist’s für mich die ramoneske Gitarre am Anfang und in “Valentine” hab’ ich den ein oder anderen Jeffrey Hyman Moment…
Die D-Seite startet mit “Rat In A Trap” deutlich rock’n’rolliger, als hätte Matt die Nacht zuvor mit Lemmy lecker Jack Daniel’s gesoffen. “Just Wanna Play” kommt gefälliger um die Ecke, in “Kill Or Cure” und “Don’t Rely On Me” (Ohwurmalarm Deluxe!) knüpfen gesanglich und stilistisch an den Opener an, und die Gitarre – ein Lederjackenträumchen… “Monkey Boy” gibt es in der männlichen, surfigen “Sandcastle Version”, die 2023 für den Punkrock Raduno Sampler Vol.6 neu aufgenommen wurde.
Und zack, schon liegt die dritte und letzte Platte unter der Nadel:
“Stroll The Streets” wird eingetrommelt, hier darf die Rhythmusgruppe mal ordentlich angeben, Bass und Schlagzeug dominieren und der “Ohhh-Teppich” wird vor der Gitarre ausgerollt. “Standing On My Head” ist dem 2018er Album “Sonic Delusions” entnommen, dem ersten Longplayer von DeeCRACKS, der auf Pirates Press Records erschienen ist. “I Wanted It All” wiederum ist der erste Song des ersten Albums als DeeCRACKS “Attention! Deficit Disorder” (2010, Re-Issue 2020). Veröffentlicht wurde die Platte damals über das österreichische Label Monster Zero Records, welches dem Schoße des Monster Zero Mash Festival entsprungen war und sich zur Aufgabe gemacht hat, sämtliche Bands mit Ramones-Anleihen aus der ganzen Welt aufzuspüren und zu vereinen. In “Metal Mind” clasht Street Punk Attitude auf Pop Punk Lässigkeit, die Seite schließt ab mit dem süßlich-schönen “Don’t Turn Your Heart Off”.
Und schon sind wir bei Seite F – und damit bei der letzten Seite – angelangt. “Mentalane” und “Charité Forever” gehören für mich zu den stärksten Stücken des Platten – Trios. Und ich kann gar nicht genau sagen, warum. Ich mag den Gesang bei den Songs, ich mag die Lyrics, ich mag die scheppernden Drums, begleitet von Tambourin und Handclaps, den Drive, mit dem Gitarre und Bass anschieben, die wellenartigen Steigerungsmomente, den vollen Gesamtsound, alles auf den Punkt, nicht zu viel und nicht zu wenig – einfach Liebe dafür! Mit “Where We Belong” gibt es kurz vor Ende den zweiten, neuen Song. Eingängig surfige Uptempo-Nummer mit geilem Gitarrensolo. Mit “Wooo-Ohhh-Ohh” – Rockaway “Beach 90” endet diese Knallertrilogie.
Ich glaube ich kann jetzt schon sagen, dass die dritte EP die sein wird, die am häufigsten ihre Runden auf meinem Plattenteller drehen wird. Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist dass nun der letzte Platz (Also der letzte freie Platz) für die Erstellung meiner persönlichen Top10 Hitliste für 2023 belegt ist.
Die Platte gibt es als Insomnia Vinyl (clear & black with neon yellow splatter) und Galaxy Vinyl (neon yellow & black) ab 17. 11. zu kaufen – ihr könnt sie aber jetzt schon bei JPC vorbestellen.
Achtung: Am 17. und 18. 11. findet in der Arena Wien außerdem das DeeCRACKS 20 Years Fest (Tickets könnt ihr hier bestellen) statt, im Anschluss daran folgt die 20th Anniversary Japan Tour.
Wenn ihr die Möglichkeit habt, DeeCRACKS mal live zu sehen, rate ich euch eindringlich: Hin da!
Außerdem möchte ich Euch auch noch dringend als Goodie die Solo Release von Sänger Matt ans Herz legen – Akustik Punk vom Feinsten, hört mal hier bei Bandcamp rein!
There was no goal, no intention to become rich or famous or any of that crap. Just Punkrock”
(DeeCRACKS)